390
Die Gleichheit
Nr. 25
Die Frau in der Industrie und Landwirtschaft Württembergs.
VI.
In der Industrie der Holz- und Schnitstoffe sank die Zahl der Gewerbebetriebe Württembergs von 17072 im Jahre 1882 auf 15 604 im Jahre 1895 und 14 752 im Jahre 1907. Diese Zahlen haben die Nebenbetriebe miterfaßt. Betrachtet man die Hauptbetriebe gesondert, so ergibt sich ein Rückgang der Alleinbetriebe von 8697 im Jahre 1882 auf 4973 im Jahre 1907. Die Zahl der Betriebe mit Mitinhabern, Gehilfen oder Motoren stieg dagegen in dieser Zeit von 5266 auf 6340. Bezeichnend für die Entwicklung in der Holzindustrie ist auch, daß in den Kleinwerkstätten mit ein bis fünf Personen die Zahl der beschäftigten Arbeitskräfte zurückgegangen ist. Die Betriebsleiter eingeschlossen betrug sie 1895 noch 13 585, um bis 1907 auf 12 827 au sinken. In den Mittelbetrieben mit 6 bis 10 Personen hat sich die Zahl der Er werbstätigen nur wenig erhöht, nämlich von 2461 auf 3065. Dagegen schnellte sie in den größeren Betrieben in der Vergleichszeit stark empor. Von 3729 auf 7347 ftieg sie in den Betrieben mit 11 bis 50 Personen, in denen mit einem Arbeitspersonal von 51 bis 200 Personen ging sie von 3875 auf 6205 in die Höhe, in den größten Betrieben von 200 bis 1000 Personen hat sie sich mehr als verdoppelt, denn sie betrug 2436 gegen 1117.
Innerhalb der Betriebsstätten wurden beschäftigt 1882: 25 093 Personen; 1895: 30 537; 1907: 36 835. Die Zahl der Frauen darunter betrug in den drei Vergleichsjahren 980, 1323 und 2116, sie hat sich also reichlich verdoppelt. In den Betrieben der Möbeltischlerei wurden gezählt 144 Frauen, Verfertigung von groben Holzwaren 114, sonstige Tischlerei 280, Drechslerei 245, Bürsten und Pinselfabrikation usw. Die von der Berufs( nicht Betriebs-) statistik ermittelten Zahlen sind erheblich niedriger. Sie beziffert die Gesamtzahl der Arbeiterinnen auf 1215, die der weiblichen selbständigen Gewerbetreibenden der Holzindustrie auf 218, des Verwaltungs- und Aufsichtspersonals auf 121 Frauen. Die höheren Zahlen der Betriebsstatistik dürften der Wirklichkeit näher kommen, die Gesamtzahl der in der Holzindustrie tätigen Frauen aber trotzdem längst nicht vollständig erfassen. Die Löhne der Arbeiterinnen bewegen sich in den verschiedenen Zweigen der Holzindustrie zwischen 8 und 15 Mk. wöchentlich. Im Afford wird bisweilen ein etwas höherer Lohnsatz erreicht, doch soll das selten genug der Fall sein.
-
Die Papierindustrie zeigt den gleichen Entwicklungsgang wie die Holzindustrie: Rückgang der Alleinbetriebe von 365 im Jahre 1882 auf 283 im Jahre 1907, 8 unahme der größeren Betriebe von 437 auf 519, Anwachsen des in den, Betrieben beschäftigten Personals von 5442 auf 11 852 Köpfe. Auch hier spielt die Frauenarbeit eine immer größere Rolle. 1895 wurden 2089 weibliche Erwerbstätige verzeichnet, 1907 aber 4369. Das Hauptkontingent der weiblichen Arbeitskräfte verwendet die Buchbinderei und Kartonnagefabritation. 2346 weibliche Erwerbstätige einschließlich der Heimarbeiterinnen ermittelte hier die Berufszählung von 1907; bei der Verfertigung von Papier, Pappe und Papierwaren waren 1462 Frauen und Mädchen beschäftigt. Der Durchschnittslohn pendelt um 15 Mt. wöchent lich herum, im Akkord kann es eine Arbeiterin bis auf 18 Mr. bringen: Dieser Verdienst gilt für Stuttgart . Hier hat sich der Verband der Arbeiter und Arbeiterinnen des Buchbindergewerbes und verwandter Berufe seit langen Jahren bemüht, die Arbeitsbedingungen günstiger zu gestalten. Und da es ihm in erfreulicher Weise gelingt, auch die Arbeiterinnen aufzuklären und seinen Reihen einzugliedern, so sind seine Bemühungen nicht ohne Erfolg geblieben. In fleineren Orten, wo die Organisation nicht bessernd eingrei
fen kann, weil die Arbeiterinnen ihr fern stehen, sinken die Wochenlöhne bis 8 Mr. und noch darunter.
Im photographischen Gewerbe finden wir verhältnismäßig günstige Lohn- und Arbeitsbedingungen für die Arbeiterinnen. Sie sind dem Verband der Buchund Steindruckereihilfsarbeiter und-arbeiterinnen zu verdanken, der zu organisieren und zu kämpfen versteht. Auch im photographischen Gewerbe ist die weibliche Arbeitskraft im Vordringen begriffen. Die Zahl der innerhalb von Betriebsstätten beschäftigten weiblichen Erwerbstätigen erhöhte sich von 546 im Jahre 1882 auf 722 im Jahre 1895 und 1799 im Jahre 1907. Davon sind 1107 in Buchdruckereien, 108 in Steindruckereien beschäftigt als Anlegerinnen, Bunktiererinnen, Bogenfängerinnen, beim Goldauflegen, Prägen und Stanzen, Retuschieren, Falzen, Rollieren usw. Die letzte Lohnbewegung hat der Mehrzahl der älteren Arbeiterinnen einen Wochenlohn von 18 bis 19,50 Mt. gebracht. In den tariftreuen Geschäf ten ist die Arbeitszeit dieselbe, die der Buchdruckerverband für seine Mitglieder errungen hat, sie beträgt 53 Stunden wöchentlich.
Besondere Beachtung verdient die Frauenarbeit im Nahrungs- und Genußmittelgewerbe. 8917 hauptberuflich tätige Frauen wurden hier 1907 gezählt, darunter 8117 Arbeiterinnen. An der Spize steht die Tabakindustrie, die weit mehr Frauen als Männer beschäf tigt. 1907 ermittelte man in ihr 3204 Arbeiterinnen neben nur 1411 Arbeitern. Heilbronn , Heidenheim , Stuttgart , Ulm , Calw , Schorndorf , Dürr. menz- Mühlacker sind als Hauptsitze der Tabak-, Zigarren und Zigarettenindustrie bekannt. Die Firma Gebr. Schäfer in Heidenheim beschäftigt zuzeiten an die 1500 Arbeiter und Arbeiterinnen. Die Jahresproduktion an Zigarren beziffert sich bei ihr auf rund 80 Millionen Stück. In UI m floriert die Rauch- und Schnupftabaksfabrikation, Stuttgart ist Standort für die Herstellung von Zigaretten. In der Zigarrenfabrikation macht sich das Bestreben geltend, den Betrieb zu dezentralisieren durch die Errichtung von Filialen auf dem Lande und durch die Ausbreitung der Heimarbeit. Der Verdienst der Frauen übersteigt selten 10 Mr. in der Woche, zumeist bleibt er um 3 bis 4 Mk. unter diesem Saz zurück, und das tro 14- bis 16stündiger, Arbeitszeit, die entweder bei der Heimarbeit geleistet wird, oder bei Fabrikarbeiterinnen dadurch herauskommt, daß sie„ nebenbei". noch nach Feierabend und Sonntags zu Hause dem Erwerb nachgehen.
Eine rühmliche Ausnahme betreffs der Arbeitsbedingungen macht die Tabakarbeitergenossenschaft Zag- Gen", Zigarettenfabrik in Stuttgart . Von entlassenen Arbeitern der Waldorf- Astoria- Kompanie" in Stuttgart Anfang 1910 mit einem Rapital von 360 Mr. gegründet, beschäftigt sie jetzt statt der zwei Arbeitskräfte, mit denen der Betrieb begann, bereits über 50 Arbeiter und Arbeiterinnen. Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 45%, Stun den, der durchschnittliche Stundenlohn 66% Pf., ein Verdienst, der bei feiner anderen Firma der Zigarettenindustrie auch nur annähernd erreicht wird. Bei den meisten von ihnen bleibt der Lohn um die Hälfte und mehr hinter diesem Satz zurück. Die Arbeitsräume der Tag- Gen" sind musterhaft eingerichtet. Troß der höheren Entlohnung und den sonstigen günstigen Arbeitsbedingungen hat sich das Unternehmen als durchaus konkurrenzfähig erwiesen, ja mehr noch, es muß fich infolge des stetig steigenden Absages vergrößern. Ein Beweis dafür, welche Gewinne den fapitalistischen Unternehmern in der Tabakindustrie trotz ihres Geschreis blühen, daß sie außerstande sind, ihre Arbeitskräfte besserzustellen.
In der Bäckerei und Konditorei wie im Fleischergewerbe werden die jungen Mädchen zumeist als Verkäuferinnen beschäftigt. Sehr schnell hat sich die fabrikmäßige Herstellung von Nudeln, Suppeneinlagen und Makkaroni in Württemberg aus dem