Nr. 25

Die Gleichheit

plötzlich der Belagerungszustand verhängt. Der Bar ist seiner Flotte nicht sicher. Sie hat schon 1905 in der Revolution eine bedeutende Rolle gespielt, und die Machthaber haben wohl Grund zu fürchten, die Flotte werde auch jetzt wieder handeln, da die russische Ar­beiterbewegung nach dem furchtbaren Aderlaß der Gegenrevolution wieder im Aufstieg begriffen ist. Jm Heer hat es übrigens gleich falls schon vereinzelte Meutereien gegeben, die zu umfangreichen Prozessen und grausamen Bluturteilen geführt haben. Das Blut­und Knutenregiment Nikolaus II.   ist, wie man sieht, nicht allzufest gegründet.

In Frankreich   betätigt sich die radikale Regierung zurzeit nach dem Wunsche der Reaktionäre als die Verfolgerin der Lehrer­gewerkschaft. Der Kassationshof, der oberste Gerichtshof der Repu­blik, hat das entsetzliche Urteil der Klassenjustiz aufgehoben, das über den Gewerkschaftsangestellten Durand die Todesstrafe ver­hängte, weil er angeblich zur Ermordung eines Streifbrechers an­gestiftet haben sollte. Durand war bekanntlich auf die machtvolle Protestbewegung der Arbeiterschaft gegen diesen kaum noch ver­hüllten Justizmord hin schon vor längerer Zeit aus der Haft ent= lassen worden. Aber diese Maßregel kam zu spät, Durand war im Gefängnis wahnsinnig geworden. Die neue Verhandlung vor dem Gericht, an das der Kaffationshof den Prozeß verwies, wird des­halb voraussichtlich nie stattfinden. Der Klassenhaß der Herrschen­den, der sich in dem Todesurteil austobte, hat sein Opfer dahin!

Aus Amerika   kommen Meldungen, die schier russische Zu­stände in der Dollarrepublik aufdeden. Hervorragende Glieder der New Yorker Polizei sind der Anstiftung zur Ermordung eines Spielhöllenbesitzers überführt. Schlimmer noch ist, daß die gesamte Polizei solidarisch für die beamteten Verbrecher eintritt und alles tut, um die Aufhellung der Tat und die Feststellung der Schuldigen zu verhindern. Zugleich wird wieder einmal er­wiesen, daß die Polizei mit Verbrechern, Spielhöllen- und Bordell­besitzern unter einer Decke steckt, daß sie gegen riesige Bestechungs­gelder allen dunklen Existenzen Raum gibt zur Betreibung ihrer unsauberen Geschäfte. Dem erschossenen Spieler Rosenthal waren die Ansprüche der Polizei zu groß geworden. Er hatte Schritte getan, um ihr Treiben zu enthüllen. Er hat den Versuch mit dem Leben bezahlen müssen. Der Anstifter des Mordes, der Polizeileut­nant Becker, soll in einem Jahre über 2 Mill. Dollar erpreßt haben. Die Verhältnisse in der Türkei   werden immer verworrener. Burzeit scheint es allerdings, als habe die neue Regierung den gefährlichen Aufstand der Albanesen durch Versprechungen und Zugeständnisse zum Stillstand gebracht. Der albanische Auf­stand und die Zerrüttung der Regierungsmaschine, die mit dem Sturz der Jungtürken   in die Erscheinung trat, ermutigt die Nach­barn der Türkei   zum Angriff. An der montenegrinischen Grenze fam es zu heftigen Grenzkämpfen, die schon nahe an Krieg streiften. Augenblicklich soll wieder durch Vermittlung der Groß­mächte, die das Kriegsfeuer am Balkan   fürchten, eine Verein­barung zwischen Montenegro und der Türkei   zustande gekommen sein. Die Bulgaren   sind sehr kriegslustig eine furchtbare Mezelei, die die Türken unter der bulgarischen Bevölkerung der Stadt Kotschana verübt haben, hat das Land aufgewühlt und der Agitation der Kriegsheber geneigt gemacht. Die Türfen waren zu diesem Gemezel durch Bombenattentate gereizt worden, die viele Opfer gefordert hatten. Die Bombenattentate werden der bul­ garisch  - revolutionären Organisation zugeschrieben, die auf dem Anschluß der bulgarischen Teile der Türkei   an Bulgarien   hin­arbeitet. Die nationalistischen Revolutionäre gedenken durch solche Mittel die Zustände in Makedonien   unhaltbar zu machen, so daß die Großmächte eingreifen und die Türkei   zwingen müssen, den Bulgaren   beziehungsweise Serben und Griechen, die ihr noch angehören, weitgehende Selbständigkeit zu gewähren als Vorstufe zur Angliederung an die Staaten der genannten Nationalitäten. Jetzt werden fast täglich aus Makedonien   Bomben­und andere Attentate gemeldet; die Revolutionäre suchen die Ver­mirrung in der Türkei   auszunüßen. Währenddessen folgt in Non­ftantinopel eine Ministerkrise auf die andere, die herrschen­den Kreise sind in vollster Uneinigkeit.

-

Gewerkschaftliche Rundschau.

H. B.

Die Streitbrechervermittlung bleibt in letzter Beit nicht mehr einzig das Gewerbe privater Ehrenmänner, auch die Behörden beschmutzen sich die Finger mit diesem Geschäft. So machte die Essener Polizei einem wegen Arbeitsscheu Ver­hafteten das Anerbieten, bei einer bestreiften Firma Arbeit zu nehmen; wolle er das nicht, so müsse er sich am folgenden Tag auf dem Polizeibureau melden, um von dort den Weg ins Arbeitshaus

397

anzutreten. Vor diese Wahl gestellt, nahm der Verhaftete in seiner Zwangslage auch wirklich bei der bestreikten Firma Arbeit. Ein ähnliches Stück lieferte das Gewerbegericht in Crim  = mitschau. Gine bestreikte Firma hatte einen Kupferschmied int Ausland ergattert. Als der Arbeiter aber über sein unkamerad­schaftliches Verhalten aufgeklärt worden war, stellte er die Arbeit bei der Firma ein. Der Unternehmer händigte ihm nun wohl seine Papiere aus, verweigerte ihm aber den Lohn. Da der Kupfer­schmied nur wenig Deutsch sprechen konnte, so ging ein Arbeits­genosse mit ihm auf das Gewerbegericht, um dort die Klage um den Lohn einzureichen. Auf der Gerichtsschreiberei mußte der Begleiter des Kupferschmieds das Zimmer verlassen, weil der Gerichts­schreiber mit dem Kläger allein verhandeln wollte. Der Erfolg dieser Verhandlung war, daß nach kurzer Zeit ein Schuhmann er­schien und den Ausländer wieder an seine Arbeitsstätte zu­rückführte. In diesem Falle teilten sich also Polizei und Gewerbe­gericht in den Ruhm des Streitbrecherpressens. Durch ungesetzliche Gingriffe der Behörden, die die ausgebeuteten Massen mit ihren Steuern erhalten müssen, werden den Arbeitern ihre Lohnkämpfe schon genug erschwert, und die Effener und Crimmitschauer   Polizei sind als Gegner der Arbeiterbewegung berüchtigt. Sollen es die Proletarier aber auch noch dulden, daß die Gerichte nicht nur durch Rechtsbeugungen und juristische Auslegungskünste, sondern auch durch Wettbewerb mit schmutzigen Streifbrechervermittlern ihr Streben um bessere Lebensbedingungen zu erdrosseln suchen?

Die Art und Weise, in der die Polizei neuerdings den Schuh der Arbeitswilligen betreibt, erschien sogar einem deut­schen Gericht unglaublich. Beim Streik der Rheinschiffer tat bekanntlich die Polizei des Guten etwas viel. Wie in der Tages­presse gemeldet wurde, schossen die Gendarmen öfters ohne jeden Anlaß auf die Streikenden. Ju Bingen knallten sie ohne wei­teres auf einen sich einem Schiffe nähernden Nachen los, nur weil sie wußten, daß dieser den Streifenden gehörte. 8 bis 12 Schüsse wurden auf den Nachen abgegeben, und ein Angestellter des Heizer­verbandes erhielt dabei einen Schuß in den Oberschenkel. Diesen Vorgang schilderte ein Angestellter des Transportarbeiterverbandes in einer Versammlung und er bezeichnete das Vorgehen der Be­amten mit Recht als das von Bluthunden. Daraufhin erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen ihn. In der Gerichtsverhandlung bezeugte der Angestellte des Heizerverbandes, daß der Vorgang sich so abgespielt habe, wie er in der Versammlung geschildert worden war. Der Staatsanwalt beantragte 200 Mt. Geldstrafe, das Ge­richt verurteilte den Angeklagten zu 6 Wochen Gefängnis! In der Urteilsbegründung wurde ausgeführt, daß das Gericht nicht annehmen könne, daß die Gendarmen in der vom Zeugen befun­deten Weise vorgegangen wären; so etwas sei unglaublich. Unglaublich schon, aber wahr. Als ob in unserem Rechtsstaat etwas unmöglich wäre, weil es unglaublich ist. Nunmehr wird die Bc= rufungsinstanz darüber zu entscheiden haben, ob der Unglaube eines hohen Gerichts beweiskräftiger ist als die Aussage einwand­freier Zeugen.

Nicht nur der Arbeitswilligenschutz, sondern auch die Ar= beitswilligenausbildung scheint nunmehr staatlich be­trieben zu werden. Der Verein sächsischer Strohhut­fabrikanten hatte sich unter Mitwirkung des Dresdener Ge­werkverbandes für die Heimarbeiterinnen an die sächsische Regic­rung und an die Stadt Dresden   gewandt, um Zuschüsse für eine zu errichtende Strohhutnähschule zu erlangen. Zu den auf jähr lich 6000 Mt. veranschlagten Unterhaltskosten will der Unter­nehmerverein 1500 Mt. bezahlen. Das Schulgeld von 140 Ler­nenden à 10 Mt. soll weitere 1400 Mt. bringen, den Rest von 3000 Mt. sollen zu gleichen Teilen die Stadt Dresden   und der sächsische Staat zahlen. Der Unternehmerverband begründete sein Ersuchen damit, daß die Strohhutindustrie im Dresdener   Bezirk, in dem 5800 Arbeiterinnen, darunter 8600 Strohhutnäherinnen, beschäftigt werden, in der Saison den Bestellungen nicht gerecht werden könnte. Sie hätte deshalb schon öfter wertvolle Aufträge zurückweisen müssen. Anstatt daß die Behörden durch Anfragen bei der Organisation der Sutmacher sich Gewißheit verschaff­ten über die Notwendigkeit einer solchen Schule, bewilligten sie aus dem Steuersäckel ohne weiteres die Zuschüsse. Später hat sich dann das Unternehmerorgan, die Strohhutzeitung", über den wahren Zweck der Einrichtung verplappert. Sie meinte, ein Streit, wie 1911 bei der Firma Schulze Söhne in Kreischa  , wäre nie ausgebrochen, wenn die Branche über eine Nähschule verfügt hätte. So müssen also die sächsischen Steuerzahler für die Aus­bildung von Arbeitswilligen aufkommen.

Das Arbeiterrecht erfährt in letzter Zeit die sonderbarsten Auslegungen durch die Gerichte. Ist es doch geschehen, daß ein An­