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Die Gleichheit
Drüfen 12,2 Prozent der Stadtfinder und 15,5 Prozent der Vorortskinder, an Skoliose 10,1 bezw. 5,1 Prozent, an ausgeprägter Rachitis 5,2 Prozent der Stadtkinder, 10,7 Prozent der Vorortskinder; Adenoiden( Wucherungen) wurden festgestellt bei 27,3 Prozent der Stadtkinder und 22,5 Prozent der Vorortskinder, an den Augen litten 12,5 bezw. 14,3 Prozent der Kinder; lungenleidend waren 18,1 bezw. 2,9 Prozent.
Die Zahlen lassen erkennen, in welch erbärmlichen Verhältnissen die große Masse der arbeitenden Bevölkerung dahinvegetiert, denn in anderen Städten ist es nicht besser, zum Teil sogar noch schlimmer. Die dürren Ziffern offenbaren aber zugleich ein Meer von Mutterleid und Frauentränen der unglücklichen Proletarierinnen, die trotz allem Fleiße und aller Entbehrungen nicht imstande sind, ihren Kindern auch nur satt Brot zu geben. Mit all feinen vielgepriesenen sozialen Reformen ist der heutige Staat und die herrschende Gesellschaft nicht einmal fähig, die übergroße Zahl der Kinder des Volkes vor dem chronischen Hunger zu schüßen! Gibt es aufreizendere Reden als diese nackte Tatsache; ein eindringlicheres Argument für die Notwendigkeit, die Schülerspeisung auf Kosten der Gemeinde einzuführen?
Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.
m.
Die zweite Vierteljahrsversammlung des Internationalen Sozialistischen Frauenrats für Großbritannien hat am 8. Juli unter dem Vorsitz der Genossin Dr. Bentham stattgefunden. Genoffin Macpherson berichtete über die Schritte, die sie betreffs Information über die nächste Internationale Sozialistische Frauenkonferenz unternommen hat. Genossin Sanger, Mitglied des Internationalen Rats für Arbeiterschutzgesetzgebung, gab ein ausführliches Referat über Kinderarbeit im Ausland. Ihm folgte ein Vortrag von Genossin Phillips über Kinderarbeit in England. Bis zur nächsten Tagung der Körperschaft soll zur Frage der Kinderarbeit eine Resolution ausgearbeitet werden, die für die Tagesordnung der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Vorschlag kommt. Genossin Macpherson erhielt den Auftrag, sich behufs rechtzeitiger Benachrichtigung mit der Internationalen Sektion der Sozialistischen Frauen in Verbindung zu sehen, wie auch mit Genossin Popp in Wien , wo die nächste Konferenz tagen wird.
Frauenstimmrecht.
Daß das Ziel der englischen Suffragetten nur ein Damenwahlrecht ist, dafür sind die großen Summen fennzeichnend, die ihrem Kampffonds zufließen, der bereits eine Höhe von 132 718 Pfund erreicht hat. Nach der lezten Abrechnung sind ihm in einer Woche allein über 1000 Pfund, das ist mehr als 20 000 Mt. zugeflossen, davon stammten aber nur rund 62 Mt. von Mitgliederbeiträgen her. Lauter als je heißt es in England, daß der Kampffonds in der Hauptsache von konservativen Frauen und Männern gespeist wird, die ein beschränktes Damenwahlrecht als Damm gegen die Einführung des allgemeinen Wahlrechts aller Großjährigen vertreten. Jedenfalls rühren die einlaufenden großen Beiträge weder aus den Kreisen des werktätigen Volkes her noch werden sie von den kämpfenden Suffragetten selbst aufgebracht. Die Begeisterung reaktionärer Elemente für das Ziel der Suffra= getten begreift sich. Erklärte doch eine ihrer angesehensten Führerinnen, Miß Christabel Pankhurst :„ Viele stehen noch unter dem Eindruck, daß wir das Stimmrecht für jede Frau fordern, aber das ist nicht der Fall. Im Gegenteil. Unsere Forderung ist die wesentlich gemäßigte, daß in die Wählerliste nur Frauen eingetragen werden sollen, die eine Position inne haben oder eine Verantwortlichkeit tragen, wie sie heute dem Manne das Wahlrecht zusichert. Sollen auch die verheirateten Frauen das Stimmrecht erhalten? Auf diese häufige Frage antworten wir, daß wir für sie kein Stimmrecht erwarten, es sei denn, daß wir persönlich die Bedingungen erfüllen, an die der Besitz des Wahlrechts geInüpft ist."(" Daily Mail" vom 13. Juni 1908.) Unzweideutiger fann nicht ausgesprochen werden, daß die Suffragetten nicht Vorfämpferinnen für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts sind, sondern nur Verfechterinnen des Vorrechts einer Minderheit von Begüterten. Die Bewegung ist das Geld der Konservativen wert. Eine Demonstration für das Franenwahlrecht in Detroit ( Michigan ) hat gelegentlich der Feier stattgefunden, die dem 201. Jahrestag der Gründung dieser Stadt galt. Der Glanzpunkt des dreitägigen pompösen Festes war ein Zug von 5000 reichgeschmückten Automobilen Detroit soll das größte Zentrum für den Bau von Kraftwagen sein. Die Frauenstimmrechtsorganisa
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Nr. 25
tionen der Stadt stellten für diesen Zug eine Gruppe von 50 Autos, die entsprechend geschmückt und mit Fahnen, Standarten usw. versehen der Agitation für die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts dienten. Die Gruppe wurde von der Bevölkerung mit großem Jubel begrüßt, der nicht bloß der reichen Dekoration, sondern dem Ziele der Agitation galt, wie die zahlreichen Rufe auf das Frauenwahlrecht bekundeten. Amerikanischer Gepflogenheit entsprechend war der Festzug mit Preisverteilung für die schönsten Autos verbunden. Mehrere frauenrechtlerische Wagen wurden durch Preise ausgezeichnet. Die Veranstaltung läßt erkennen, welchen großen Anteil gerade die Frauen der besitzenden Klassen in den Vereinigten Staaten an der Bewegung für das Frauenwahlrecht nehmen. Sie verband das Nützliche die politische Agitation mit dem Angenehmen einem Prunkfest Reicher und Sehrreicher.
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Verschiedenes.
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Thüringer Frauen. An den Abhängen der mehr oder weniger steilen Berge des Meininger Unterlandes nennen die Proletarierinnen ein Stückchen Ackerland ihr eigen, und seine Bestellung ist Obliegenheit der Frau. Im Frühjahr befördern die Frauen auf einfachen Karren den Dünger bis zum Fuße des Berges. Ist diese mühevolle Arbeit getan, so beginnt erst die eigentliche Plage, die sehr große Anforderungen an die Körpertraft stellt. Es ist dies das Heraufschaffen des Düngers bis zum hochgelegenen Abhang, auf dem das kleine Feld oder Gärtchen liegt. In Körben oder in Kiepen aus Zink , die auf dem Rücken getragen werden, schleppen die Frauen den nassen, schweren Dung den Berg hinan, Schritt für Schritt, oftmals Halt machend, um Luft zu schöpfen. Auch die übrigen Arbeiten zur Bestellung des Fleckchens Grund und Boden lasten auf ihnen, und ebenso ist es das schwache Geschlecht", das ernten darf oder richtiger muß, wo es gegraben, gehackt, gesteckt usw. hat. Und was ist die Frucht des Mühens und Quälens? Ein paar Säcke Kartoffeln zum Nationalgericht der Thüringer Proletarier. Kartoffeln, die mit Heringen oder gar bloß mit Salz genossen werden, weil die Löhne der Arbeiter zu Fleisch nicht reichen. Bestenfalls erntet die proletarische Frau noch etwas Kraut oder Gemüse. Gerade in Thüringen züchtigt das ausbeutende Kapital die Habenichtse mit Skorpionen. Das Leben der Arbeiterfamilie ist ein so ärmliches, daß die Frau, die Mutter schwer mit Pflichten und Mühen bebürdet ist, auch wenn sie nicht dem Erwerb nachgeht. Wie in allen armen Gegenden, so ist der Kinderreichtum in Thüringen ein sehr großer. Das ewige Sorgen, Rechnen und Plagen läßt die Frauen frühzeitig altern. Sie sind abgehärmt und abgearbeitet in einem Alter, in dem die Bourgeoisdame noch in der Blüte steht. Neben allem anderem trägt die Unterernährung viel dazu bei, die wohl schon Generationen währt. Eine Folge der ewigen Entbehrungen, der ständigen Not ist naturgemäß, daß das Alltägliche auch den Geist der Frauen zu Boden drückt. Es macht sie stumpf und hoffnungslos. Deshalb bedarf es angestrengter, zäher Arbeit, um die Herzen und Köpfe der Thüringer Frauen für die Heilsbotschaft des Sozialismus zu gewinnen. Ein Schritt vorwärts ist namentlich bei der letzten Reichstagswahl getan worden. Die Proletarierinnen sind dort, wo eine Frau gesprochen hat, in die Versammlungen gekommen, haben mit Interesse zugehört und werden bei künftigen Veranstaltungen nicht fehlen. In den größeren Städten dieser Gegend liegen die Dinge beträchtlich besser für unsere Aufklärungsarbeit. Hier bedarf es mitunter nur eines leisen Anstoßes, damit die Frauen aufwachen und sich in unsere Reihen stellen. Hier befommen wir festen Boden, auf dem sich bauen läßt. Die mit dem Geiste des Sozialismus erfüllten Proletarierinnen der Städte werden mit der Zeit Erhebliches leisten in der Kleinarbeit auf den Dörfern. Es kann dann erfolgreich den frommen Frauenvereinen entgegengewirkt werden, die mit Kaffeekränzchen und Gebetstunden die Frauen über ihre Not hinwegtäuschen. Wenn den Frauen erst klar wird, daß sie und die ihrigen bei harter Fron vor kärglichen Schüsseln sizzen müssen, damit ihre Arbeit, ihre Entbehrungen wenige Reiche noch reicher machen, so wird gerechte Empörung sie zu uns führen, damit sie mit uns den Kampf führen gegen den blutsaugerischen Kapitalismus. Der Sozialismus allein kann den Thüringer Frauen die Hoffnung auf eine Zeit geben, in der sie nicht mehr, von schweren Lasten gedrückt, achtlos an der wundervollen Natur vorüberkeuchen. Er allein kann ihnen Zustände schaffen, unter denen sie als freie Menschen in vollen Zügen alle Schönheiten des herrlichen Ländchens genießen. E. R. Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Sundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart .
Druck und Berlag von J. H. W. Diet Nachf. G.m.b.8. in Stuttgart .