Nr. 26

22. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen

Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder

Die Gleichbett erscheint alle vierzehn Tage einmal. Drets der Nummer 10 Pfennig, durch die Poft vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig.

Jabres- Abonnement 2,60 Mart.

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Stuttgart 18. September 1912

Inhaltsverzeichnis. Zum bevorstehenden Parteitag der Sozialdemokratie. Unsere Jugendarbeit. Von Mathilde Wurm . Die Frau in der Indu­strie und Landwirtschaft Württembergs. Schlußkapitel. Von m. Die Toten mahnen. Von fk. Aus der Bewegung: Aus den Organisationen. Jahresberichte der Genossinnen Leipzigs und des 16. sächsischen Reichstagswahlkreises. Weibliche Delegierte zur Landesversammlung der Sozialdemo­traten in Sachsen . Jahresbericht der Kinderschutzkommission Gewerkschaft Mannheims. Politische Rundschau. Von H. B. liche Rundschau. Aus der Tertilarbeiterbewegung. Von sk. Genossenschaftliche Rundschau. Von H. F. Notizenteil: Dienstbotenfrage. Arbeitsbedingungen der Arbeite­rinnen.Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.- Frauen­stimmrecht. Die Frau in öffentlichen Ämtern. Verschiedenes.

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Zum bevorstehenden Parteitag der Sozialdemokratie.

Es ist gewiß verlockend, die Situation, in der die deutsche Sozialdemokratie ihren diesjährigen großen Kriegsrat ab­hält, zuerst und vor allem in der bengalischen Beleuchtung des glänzenden Sieges der Partei bei den Reichstagswahlen zu erblicken. Doch die Zeichen der Zeit zwingen uns, sie im scharfen, kalten Lichte der allgemeinen gesellschaftlichen Dinge zu sehen, die an der Wurzel unseres Sieges liegen und die der Sozialdemokratie für die Zukunft Aufgaben von wach­sender Schwierigkeit und Bedeutung zuweisen. Wie im vorigen Jahre schon, so tagt auch heuer wieder unsere Partei in einer Situation, die durch die jetzige Periode stürmischer Entwicklung der kapitalistischen Produktion mit ihren Be­gleiterscheinungen das Gepräge erhält. Ja diese ihre charakte ristischen Züge sind seither noch ausgesprochener, noch unzwei­deutiger geworden, wie dies namentlich an zwei Gruppen von Zeitumständen zutage tritt: dem internationalen Rü­stungswahnsinn und der internationalen Lebensmittelteuerung. Vor Jahresfrist war es die Marokkoaffäre mit ihrem Drum und Dran und in ihrem Kielwasser der Raubzug Italiens nach Nordafrika , die die blutige Gefahr eines drohenden Weltkrieges vor aller Augen stellten und das sozialistische Proletariat als einzigen zuverlässigen Hüter des Friedens auf den Plan riefen. Wohl ist bis heute kein Blitz aus der Wetterwolfe niedergezuckt, die sich von Agadir bis Tripolis über dem schwarzen Erdteil zusammengeballt hat und heute auch das Ägäische Meer und die Dardanellen überschattet. Allein rings auf dem Erdball hat sich in der politischen Atmosphäre immer mehr Zündstoff für verderben schwangere internationale Zusammenstöße gehäuft. In Spa­ nien und Portugal , in Rußland , auf dem Balkan , in Klein­ asien und Persien , in China und Japan , in Südamerika ist der Kapitalismus am Werke, die Welt umzuwälzen und nach seinem Bilde neu zu schaffen.

In den Ländern mit weit fortgeschrittener kapitalistischer Entwicklung finden die besitzenden und ausbeutenden Klassen nicht mehr genügenden Spielraum für ihren Herrn und Gott: das Kapital. Zu eng ist diesem hier die Welt geworden,

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Zuschriften an dte Redaktion der Gleichbett find zu richten an Frau Klara Zetkin ( 3undel), Wilhelmshöhe, Doft Degerloch bei Stuttgart . Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furtbach- Straße 12.

in der er seine Wunder wirken kann, deren letztes Ziel immer die Auspressung von Mehrwert, und zwar von steigendem Mehrwert aus den breitesten Massen bleibt. Denn das Ka­pital wächst und wächst, genährt von der unbezahlten, sich aufspeichernden Arbeit, die es dem Ausgebeuteten abzwingt, und gewaltiger wie vollkommener werden die Produktions­mittel, riesenhafter die Arbeiterbeere, die seiner Kommando­gewalt unterstehen. Aber auch zu unsicher wird dem Kapital die alte Heimat. Sein Wachstum erfolgt unter der Herrschaft des Privateigentums, inmitten einer Ordnung der Unord­nung, der gesellschaftlichen Planlosigkeit, und die Ausbeu­tung der Arbeit bleibt sein Mutterboden. Unter diesen Be­dingungen ist es unvermeidlich, daß mit der vorwärts­stürmenden Entfaltung des ausbeutenden Kapitals und seiner Macht auch alle die Gegensäße sich weiten und ver­tiefen, die die heutige Gesellschaft in sich trägt. Auf dem Ge­biet des Wirtschaftslebens offenbaren sie sich in greifbarster Gestalt in den periodischen Krisen, jederzeit aber in dem Widerspruch bis zum vollendeten Widersinn gesteigert zwischen der zunehmenden Gewaltigkeit und Ergiebigkeit der Produktionsmittel und Produktivkräfte und dem ge­ringen Anteil, den die produktiv tätigen Massen an dent materiellen und kulturellen Reichtum haben, den sie erzeugen. Alle wirtschaftlichen und sozialen Gegensäße der bürgerlichen Ordnung aber treten zu Fleisch und Blut verkörpert auf das geschichtliche Blachfeld in dem Ringen zwischen der ausbeu­tenden Minderheit und der millionenköpfigen Arbeiterklasse, einem Ringen, das bei der erreichten Entwicklungsstufe der kapitalistischen Wirtschaft nicht allein mehr um den Grad der Ausbeutung geht, sondern mit wachsender Zielflarheit zu einem Kampfe für und gegen die Ausbeutung selbst wird. Wie bei den Krisen die Dinge von der Ohnmacht der herr­schenden Schichten reden, das Spiel der entfesselten Produk­tivkräfte zum Wohle der Gesamtheit zu lenken und zu leiten, so kündet der proletarische Befreiungskampf, daß die Men­schen bereit werden, durch den Umsturz" der heutigen Ord­nung im Zeichen des Sozialismus bewußt die Schlußfolge­rungen aus den Dingen zu ziehen. Die ausbeutenden Nut­nießer des Kapitalismus empfinden heute, daß die Tafeln ihres Lebensbanketts auf einem Vulkan stehen, dessen lo­dernde Gluten unter der Oberfläche näher und näher züngeln. Auch dieser vielverschlungene Zusammenhang von Entwick­lungserscheinungen hezt den internationalen Kapitalis­mus über Gebirge und Meere, um mit der Ausdehnung seiner Herrschaftsgewalt zugleich längere, gesicherte Dauer seiner Existenz zu gewinnen.

Die Regierungen aller Staaten, in denen die kapitalistische Produktion triumphiert, bereiten dem Kapital als dienstwil­lige Geschäftsführer durch Nänke und Gewalt, durch Verträge und Eroberungen den Weg, der zu gesicherten neuen Queller an Rohstoffen und Lebensmitteln, neuen Absatzgebieten für Waren, neuen Betätigungsfeldern für kapitalisti.je Produk­tionsmittel und kapitalistisch ausgebeutete Arbeitskräfte führen soll. Wie dieses Streben sich durchsetzt, indem es mit