Nr. 1
Die Gleichheit
eine entscheidende Losung. Er begnügte sich, die bloße Fortführung der Protestaktion gegen die Teuerung zu fordern und ließ die Frage offen: was weiter, wenn diese Fortführung erfolglos bleibt. Sollen die Werktätigen weiter entbehren und hungern, oder ist es dann nicht ein Gebot der Selbsterhaltung, die Aktion zu steigern? Uns will bedünken, daß die großartige Demonstration der Stuttgarter Arbeiterschaft an Stelle des Parteitags die Antwort auf diese Frage erteilt hat.
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Auch in der heiß umstrittenen Frage des Stichwahl abkommens war das Verhalten des Parteitages von der Unentschiedenheit Blässe angetränkelt. Es war ſelbſtverständlich, daß keine Zeit mit der Erörterung der höchst müßigen Frage vergeudet wurde, ob ein Stichwahlabkommen ,, prinzipiell" erlaubt oder verwerflich sei. Diese Frage ist überhaupt keine Frage, ebensowenig wie ein Stichwahlabkommen an und für sich" ein Etwas ist, das diskutabel wäre. über Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Vereinbarung mit gegnerischen Parteien entscheiden die Umstände, die Bedingungen. Gegenstand der Auseinandersetzung war deshalb auch lediglich das ganz bestimmte, konkrete Stich wahlabkommen zwischen Parteivorstand und der Fortschritt lichen Volkspartei , das uns als Neuerung die berüchtigte Dämpfung des Wahlkampfes beschert hatte. Scheidemanns glänzende, wißige Beredsamkeit die allerdings später durch die allerdings später durch Cohns sachliche, eindrucksvolle Ausführungen einen fatalen Nachgeschmack erhielt- vermochte die Schwäche der sachlichen Gründe für die Abmachung nicht zu verdecken. Die angerufene ,, außerordentliche Situation" brach in sich zusammen, die Bedeutung der Niederlage des schwarzblauen Blocks schrumpfte ganz beträchtlich ein, sobald man die Dinge nicht als ein Rechenerempel der parlamentarischen Konstellation betrachtete. Es zeigte sich dann, daß der Wahlkampf für das Proletariat letzten Endes nicht um den schwarzblauen Block ging, sondern um den Imperialismus, unter dessen Banner sich die Liberalen bis zum letzten Fortschrittler mit Junkern und Klerikalen zusammenfanden. Die Vorgänge im Reichstag haben das seither vollauf bestätigt. Das kam auch in den Reden aller Delegierten zum Ausdruck, die sich gegen die Dämpfung wandten. Obgleich das Stichwahlabkommen nur vereinzelt und recht schwach verteidigt worden war, schob der Parteitag sowohl Mißbilligungs- wie Billigungsanträge zur Seite und ging zur Tagesordnung über. Sicherlich war dabei die überzeugung mitbestimmend, daß die Dämpfung eine nicht wiederkehrende Eintagserscheinung bleiben werde, ferner auch der Wunsch, eine schärfere Meinungsäußerung gegen den Parteivorstand zu vermeiden, dessen Tätigkeit im allgemeinen und im Wahlkampf insbesondere die Partei anerkannte. Jedoch sprach dabei auch das Bestreben ein gewichtiges Wort, einer gründlicheren und wahrscheinlich leidenschaftlicheren Auseinanderseßung über das Wahlbündnis zwischen Sozialdemokraten und Liberalen in Bayern , über die Großblodtaktik in Baden aus dem Wege zu gehen. Die liberale Presse jubelt denn auch ob der unschlüssigkeit des Parteitags in den höchsten Tönen. Sie fabuliert von nichts geringerem als von einer Billigung" des Stichwahlabkommens, ein plumpes Taschenspielerstückchen der Ausdeutelung, dem eine trockene Tatsache die Spize abbricht: der rechte Flügel unserer Partei, der die Billigung der Vereinbarung beantragt hatte, stimmte gegen den übergang zur Tagesordnung.
Wie wenig Grund der Liberalismus hat, von der so heiß ersehnten verbürgerlichenden Mauserung der Sozialdemofratie zu fingen und zu sagen, das beweist die mit vier Fünfteln Majorität gefallene Entscheidung über den Ausschluß Gerhard Hildebrands. Die Sache ist gemessen an anderen Dingen so belanglos, daß sie zu den kaum bemerkten Einzelheiten eines Parteitags gehört hätte. Mit den Nichtungen innerhalb der Sozialdemokratie hatte sie von Haus aus gar nichts zu tun. Für die Sozialdemokratie handelte es sich um die sehr einfache Frage, ob- unbeschadet
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aller persönlichen Achtung und Sympathie für Hildebrand, den ehrlich Forschenden Hildebrand der Politiker in ihren Reihen stehen könne, obgleich er weder über die Vergesellschaftung der Produktionsmittel als Biel noch den proletarischen Klassenkampf als Weg zum Ziel ihre Anschauungen teilt. Diese Frage wurde von führenden Revisionisten mit einem Aufwand von viel Druckerschwärze in den bekannten rotkartonnierten Heften und reichlichem Anrufen großer Begriffe: Meinungsfreiheit, Forschungsfreiheit, Toleranz usw. nicht bloß zur Richtungssache gemacht, sondern obendrein für den Parteitag zu einer Haupt- und Staatsaktion aufgebauscht. So ist nun auch die selbstverständliche Antwort der Partei darauf zu einer glatten und empfindlichen Niederlage der„ Richtung" geworden.
Wir möchten, der Parteitag hätte den gleichen leidenschaftlichen Eifer, die nämliche feste Entschlossenheit auch bei wichtigeren Gegenständen betätigt. So nicht zum wenigsten bei der Behandlung der Maifeier. Der Nürnberger Beschluß wurde aufgehoben, und es kam zu keiner Verständigung über den Modus zur Unterstüßung etwaiger Ausgesperrter. Nach allerhand Irrungen und Wirrungen schob man die Entscheidung mit der bequemen Begründung hinaus, daß sie nicht dränge, weil nächstes Jahr der erste Mai auf einen Sonntag falle. Mit den peinlichsten Empfindungen denken wir an diesen Teil der Verhandlungen und ihren Untergrund zurück. Soll die Maifeier bleiben oder richtiger erst recht verden, was sie in den Zeitläuften des Imperialismus sein muß: so haben die gewerkschaftlich und politisch organisierten Proletarier und Proletarierinnen selbst dafür zu sorgen, daß diese große, internationale Rundgebung ihres Willens über den Streit um die Unterstüßung Gemaßregelter emporgehoben und auf eine neue Grundlage gestellt wird.
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Recht mager ist auch das Ergebnis des Parteitags in der Reorganisationsfrage. Nachdem die Berge gefreist haben man erinnere sich der Debatten und Beschlüsse in Jena , der langwierigen Beratung in der eingesetzten Kommission, der Diskussion ihres Entwurfes in der Presse, in Versammlungen und Landeskonferenzen ist ein Mäuslein geboren worden. Der Parteivorstand hat keine Erweiterung erfahren, weil die Meinungen über das Wie sehr auseinandergingen. Der Parteiausschuß, so wie er nun beschlossen wurde, ist keine mitentscheidende Instanz, sondern muß nur allvierteljährlich beratend und gutachtlich gehört werden. Der Text über die Befugnisse der Kontrollkommission ist klarer gefaßt worden, so daß sie sich nun unzweideutig auf die gesamte Tätigkeit des Parteivorstandes erstrecken. Wir bedauern bei dem Ausgang nur den nahezu umsonst getanen Aufwand, denn in der Sache selbst halten wir an der Meinung fest, daß die Initiative und Stoßkraft der Sozialdemokratie nicht von organisatorischen Formeln über die Zusammensetzung der leitenden Instanzen abhängt: auf die durchschnittliche politische Reife, kühne Tatkraft, Opferfreudigkeit der Organisierten kommt es an.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort über den ,, Gö p- pinger FaII", der unseres Erachtens sehr zu Unrecht vom Genossen Müller als recht wohlfeiler Grund gegen die Notwendigkeit einer Erweiterung des Parteivorstandes ins Feld geführt wurde, wie er genau so zu Unrecht für eine solche angezogen worden wäre. Der Parteitag folgte dem flugen Vorschlag des Genossen Ebert, die Zustimmung zum Verhalten des Parteivorstandes in der allgemeinen Decharge zum Ausdruck zu bringen und auf ein besonderes Vertrauensvotum zu verzichten, wie es der Antrag Auer forderte. Das dünkt uns auch insofern richtig, als der Sachverhalt durch die Verhandlungen feineswegs genügend geklärt erscheint. Gewiß ließen diese hervortreten, daß der Parteivorstand korrekt gehandelt hat. Dagegen stehen sich nach wie vor die Behauptungen des Genossen Schepperle und die von Mitgliedern des württembergischen Landesvorstandes schroff gegenüber, ob diese Körperschaft tatsächlich mit führenden Ulmer Genossen zusammen die Notlage in Göp