Nr. 1

Die Gleichheit

denen Gründen nicht angebracht. Unter den geschilderten Umständen konnten wir also gut mit 70 Pf. den Tag aus­kommen.

Die Wanderung begann am 7. Juli morgens 6 Uhr mit einer Bahnfahrt nach Arnstadt  . Die Kinder hatten fich vollzählig eingefunden, außerdem schlossen sich uns sieben Erwachsene an, vier Genossen und drei Genossinnen. Wir wanderten über JImenau nach dem Nickelhahn, wo wir das Goethehäuschen besuchten, waren in Stüberbach und Goldlauter  , zwei großen Dörfern mit vorwiegend Industriebevölkerung, gingen den uralten Rennstieg ent­lang, besuchten den vornehmsten Kurort Thüringens  , Ober­ hof  , und sahen den Betrieb in einer großen Glashütte  . Am vierten Tag landeten wir in Suhl  , dem Hauptort der deut­ schen   Kleinwaffenindustrie. Hier hatten wir für den fünften Tag eine große Ruhepause vorgesehen. Unsere Suhler  Freunde veranstalteten eine Begrüßungsfeier, die auch von einheimischen Kindern zahlreich besucht war und einen guten Verlauf nahm. Am sechsten Tage ging es dann weiter über Benshausen   und Viernau   nach Schmal. kalden, der Dolmar wurde bestiegen und hinter Brotte­ rode   der große Inselberg, der besuchteste Gipfel des Thü­ ringer Waldes  . Darauf wanderten wir nach Nuhla und zum Schlusse über die Hohe Sonne durch die Drachenschlucht und das Annatal zur Wartburg   hinauf, die auch von innen besichtigt wurde. Am 16. Juli, dem zehnten Tage, trafen wir programmäßig abends 9 Uhr von Eisenach   mit der Bahn in Erfurt   wieder ein. Im Garten unseres Partei­lokals wurde ein legtes Abendbrot gemeinsam eingenommen; noch einmal ertönten unsere proletarischen Kampflieder, dann ging die Schar der Kinder auseinander. Vorher hatte der Leiter der Wanderung die Kinder noch ermuntert, nicht zu vergessen, daß erst die große Arbeiterbewegung es ermög­liche, solche Veranstaltungen zu treffen. Unterwegs hätten ihnen Arbeiter und ihre Frauen viel Liebe und Herzlichkeit gezeigt. Das sollten sie später als Erwachsene dadurch zu ver­gelten suchen, daß auch sie die Reihen der gewaltigen, die ganze Welt umfassende Arbeiterbewegung stärkten.

Im kommenden Jahre werden wir versuchen, solche Wanderungen auf breiterer Basis zu organisieren. Da für Thüringen   ein Bezirksbildungsausschuß besteht, so wird dieser wohl die Sache in die Hand nehmen. Es wird da zu­nächst ermittelt werden müssen, wie weit die Aufnahme­fähigkeit der einzelnen Quartierorte geht. Die Opfer­willigkeit unserer Freunde in den Land- und Gebirgsorten darf nicht über Gebühr ausgenügt werden. Wenn die Wande­rungen größeren Umfang annehmen sollten, so wäre gemein­sames Handeln aller Vereinigungen notwendig, die das Wandern pflegen: Arbeiterturner, Naturfreunde", Bil­dungsausschüsse und die Abonnenten der Arbeiter- Jugend". Warum sollte es uns nicht möglich sein, für unsere Jugend ein Netz von Verpflegungs- und Unterkunfts­stationen zu schaffen, noch viel besser, als es heute schon die bürgerlichen Gebirgsvereine, die Wandervögel und Studentenvereinigungen haben? 9% um 1969

Um besonders den ärmeren Kindern die Beteiligung an den Wanderungen zu ermöglichen, werden wir bald nach Weihnachten eine Reisesparkasse einrichten, in die die Eltern wochenweise Zahlungen leisten können. Bei dieser Gelegenheit sei eine unangenehme Erfahrung mitgeteilt: Verdruß haben den Leitern der Wanderung gerade die großen Kinder besser gestellter Parteigenossen bereitet, Kinder, von denen man erwarten konnte, daß sich an ihnen die gute häus­liche Erziehung erweisen würde. Man fürchte sich also nicht, gerade die ärmsten jungen Proletarier mitzunehmen, und man verzichte von vornherein auf solche Kinder, die auch ohne unsere Hilfe ihre Ferien in angenehmer Umgebung ber­bringen können und daher oft anspruchsvoll und mißver­gnügt sind.

Auf einen besonders schwierigen Posten sind die Leiter der Wanderung gestellt. Sie übernehmen eine große mora­

5

lische und auch rechtliche Verantwortung. Sie sollen Eltern­und Lehrerſtelle bei ihren Pfleglingen vertreten, sie sollen die guten Eigenschaften, aber auch die Untugenden der ein­zelnen Kinder kennen lernen, die so verschieden geartet und erzogen sind und nun einer einheitlichen Leitung unterstehen müssen. Der Leiter muß sich vor jeder Schulmeisterung hüten. Bei störrischen Kindern erreicht er viel eher durch gutes Zureden seinen Zweck, als durch fortgesettes Befehlen und Schelten. Wenn man ein Kind für besonders grobe Vergehen zurechtweisen muß, so nehme man es gelegentlich allein vor; erst bei Wiederholungen table man es vor den anderen. Durch ein Schlagwort kann oft mehr erreicht wer­den als durch eine Drohung. Freilich ist zuweilen auch ein scharfes Wort angebracht; zehn oder noch mehr Tage sind eine lange Zeit, manches Kind will fester angefaßt sein als ein anderes. Wenn gar nichts hilft, so muß schließlich die Zurückbeförderung in die Heimat nicht nur angedroht wer­den, sondern wirklich erfolgen. Vor allem tut Ruhe not; wer leicht in Erregung gerät, der ist als Leiter von Schüler­wanderungen nicht geeignet th

Die bürgerlichen Veranstaltungen dieser Art haben Lehre­rinnen und Lehrer zu Leitern. Bei uns sind die Leute recht dünn gesät, die Zeit und Lust zu dem Vertrauensamt haben. Wenn es nicht anders geht, so muß aus der Kasse des Bil­dungsausschusses oder der beteiligten Organisationen den Wanderleitern eine Entschädigung für den Lohnausfall ge­zahlt werden. Sehr empfehlenswert ist es, daß wanderfähige Genossinnen sich an dem Unternehmen beteiligen. Ihr Ein­fluß kann manches verhüten und manches anregen. Bei der Beaufsichtigung der Mädchen und beim Kochen finden sie außerdem ein besonderes Betätigungsfeld.

Der Leiter der Wanderung muß Namen, Alter, Wohnung und besondere Merkzeichen der Kinder genau notieren. In größeren Orten schreibe man auch die Namen der Quartiergeber auf. Man muß diese überall schon von der Heimat aus benachrichtigen, wann und wo ungefähr die Wandervögel eintreffen werden. Die Quartier­billetts sollten beim Einmarsch in einem Ort schon fertig sein, damit die Kinder schnell unterkommen können. Wenn man auch besondere Wünsche der Kinder gern berücksichtigt, so lasse man sie nie selbst ihre Quartiere aussuchen. Be­sonders trete man etwaigen Versuchen dreister veranlagter Kinder entgegen, schüchterne Kameraden zurückzudrängen. Vor Beginn der täglichen Wanderung sind alle Kinder na mentlich aufzurufen. Abends muß der Leiter nachfragen, wer Blasen oderwunde Stellen an den Füßen habe, damit das übel möglichst int Quartier furiert werden fann. Eine kleine Apotheke ist unbedingt mitzunehmen, vielleicht wird sie von den Arbeiter- Samaritern zur Ver­fügung gestellt. Not tut zuweilen eine abendliche Revi­sion der Quartiere, um zu ermitteln, ob die kleinen Wanderer zu rechter Zeit ihre Betten aufgesucht haben oder gar im Orte umherstreifen.

Das wichtigste an der Kleidung sind die Stiefeln. Es dürfen nur solche Stiefeln getragen werden, die zwar ge­braucht sein können, aber noch gut haltbar sein müssen. Unter feinen Umständen lasse man Sandalen oder Turn­schuhe zu, wir haben die übelsten Erfahrungen damit ge­macht. Der Ruhetag in der Mitte der Wanderung ist von großem Nußen, man kann an ihm manche größere Re­paratur an Kleidern und Schuhzeug vornehmen, vor allem aber große Wäsche veranstalten lassen. Man suche kein Schwimmbad auf und lasse niemals in Flüssen oder Teichen baden, deren Tiefenverhältnisse man nicht kennt; auch Sonnenbäder sind nicht ungefährlich.

Die Kasse wird gemeinsam geführt, die Erwachsenen übernehmen die Verwaltung des Geldes. Genaue Buch­führung ist unterwegs schlecht möglich, an ihre Stelle muß das gegenseitige Vertrauen treten. Zuweilen sollte der Leiter die Tagebücher der Kinder durchsehen und darauf achten, daß diese täglich nach Hause über ihr Befinden berichten.