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Die Gleichheit
große Anzahl Arbeiter eine Arbeitszeit von 58 Stunden pro Woche. Mit Stolz können die Arbeiter sagen, daß es ihrer Beharrlichkeit gelungen ist, die Reform zu erreichen, die durch die steigenden Anforderungen an ihre Arbeitskraft dringend geboten war, den„ zehnstündigen Arbeitz.ag". Mit der Einführung des Behnstundentags ging aber der freie Sonnabendnachmittag, da, wo er bestanden, wieder verloren, es sei denn, daß diese Verschlechterung durch die Macht der Organisation vereitelt wurde, wie in Barmen- Elberfeld .
Wenn wir heute wieder den freien Sonnabendnachmittag berlangen, so stellen wir diese Forderung nicht mehr nur für die Arbeiterinnen, sondern für die gesamte in der Textilindustrie beschäftigte Arbeiterschaft. Denn eine weitere Verkürzung der Arbeitszeit in dieser Form ist eher möglich als die allgemeine Herabsetzung der täglichen Arbeitszeit. Daß dadurch die Forderung nach einem achtstündigen Arbeitstag nicht verdrängt werden darf, daß vielmehr das Interesse für die Eroberung des Achtst indentags unausgesetzt lebendig erhalten werden muß, halte ich für selbstverständlich. Die Freigabe des Sonnabendnachmittags kann und darf für die Textilarbeiterschaft nur die nächste erreichbare Etappe zum Achtstundentag sein. Die Bedeutung des Achtstundentags in hygienischer, wirtschaftlicher und kultureller Beziehung ist vom Proletariat voll erfaßt und er ist zu einer Forderung der Arbeiter aller Länder gemacht worden. Die Arbeiter wollen mehr und mehr mit ihrer Arbeitskraft haushalten; sie wisjen, daß die Nußnießer ihres Arbeitsertrags sie erbarmungslos auf die Straße sezen, wenn sie ihnen nicht mehr genug Profit einbringen. Um sich ihre Arbeitskraft zu eigenem Nuzen möglichst lange zu erhalten, werden die Arbeiter unbeschadet der Freigabe des Sonnabendnachmittags an der Forderung des Achtstundentags festhalten. Sind wir auch in der Praxis vom Achtstundentag noch recht weit entfernt, so kommen wir doch durch die allmähliche Verfürzung der täglichen Arbeitszeit und durch den freien Sonnabendnachmittag seiner Verwirklichung immer näher.
Als der Gößnizer Kongreß die Forderung erhob, waren wir noch schwach, der Verband hatte einschließlich 5254 Arbeiterinnen 34 333 Mitglieder bei einer Beitragsleistung, die im Tagungsjahr von 10 auf 20 Pf. wöchentlich erhöht wurde. Heute zählt er bei 140 193 Mitgliedern 53 219 weibliche, denen am freien Sonnabendnachmittag viel gelegen sein muß. Unsere finanzielle Leistungsfähigkeit ist bedeutend gestiegen. Wir können heute leichter durchführen, was wir damals forderten, denn auch die Unternehmer haben lernen müssen, mit uns zu rechnen. Gründe für die generelle Forderung des freien Sonnabendnachmittags liegen genug vor. Die wachsende Produktivität der Arbeit hat die Unternehmergewinne ins Fabelhaffe gesteigert, wie uns neben anderem auch die Bilanzen der Aktiengesellschaften beweisen. Die ständig zunehmende Intensität der Arbeitsleistung erhöht für den Arbeiter die Unfallgefahr, besonders am Schlusse der Woche, wenn der erschöpfte Körper nach Ruhe, nach Ausspannung verlangt. Die Unfallgefahr würde durch die Freigabe des Sonnabendnachmittags zwar nicht beseitigt, aber erheblich herabgesetzt werden.
Die ständig wachsende Zahl der weiblichen Arbeitskräfte in unserer Industrie, namentlich die Zunahme der verheirateten Frauen, erheischt ganz gebieterisch den freien Sonnabendnachmittag. Je mehr verheiratete Frauen in die Industrie kommen, je mehr Schaden erleidet das Familienleben der Arbeiter. In demselben Maße, als die Zahl der Arbeiterinnen in unserer Organisation zunimmt, ergibt sich auch die Notwendigfeit der Freigabe des Sonnabendnachmittags und der weiteren Verkürzung der Arbeitszeit überhaupt. Von einer wirklichen Entlastung der industriell tätigen Ehefrauen kann auch bei dem freien Sonnabendnachmittag noch nicht gesprochen werden, zuviel der Arbeit lastet auf ihren Schultern. Aber mit der Freigabe des Sonnabendnachmittags wird ihnen immerhin eine geringe Erleichterung gewährt, die eine beffere Einteilung ihrer vielen Arbeit erleichtert, die wenigstens die Möglichkeit einer sonntäglichen Erholung schafft. Außerdem wird dadurch der Wunsch nach weiterer Verkürzung der Arbeitszeit rege und hilft der dafür zu entfaltenden Agitation den Boden bereiten. Es gibt heute schon eine große Zahl verheirateter Arbeiterinnen, die am Sonnabendnachmittag nicht mehr in die Fabrik gehen. Sie erledigen den größten Teil ihrer Hausarbeiten am Sonnabend, um nicht den Sonntag ausschließlich zum häuslichen Arbeitstag machen zu müssen. Sie nehmen einfach, was man ihnen nicht gibt. Der Wunsch ist also vorhanden, den freien Sonnabendnachmittag zu bekommen, um eine fonntägliche Erholung zu haben.
Die Stellung der Unternehmer hierzu ist recht eigenartig. Ich habe nicht in Erfahrung bringen können, daß die Herren den Ar
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beiterinnen irgendwie Schwierigkeiten gemacht hätten, wenn diese des Sonnabendnachmittags wegblieben. Die Unternehmer scheinen sich nicht zur Wehr sehen zu wollen und den Sonnabendnachmittag stillschweigend freizugeben. Sie sehen ein, daß sie die Arbeiterinnen schließlich doch nicht zwingen können, des Sonnabends bis zum Schlusse der allgemeinen Arbeitszeit dazubleiben. Das ist ein Beweis dafür, welche Macht sich die Frauen, gestüßt auf die Organi sation, erobert haben, welche Kraft sie darstellen, wenn sie zum Bewußtsein ihrer Bedeutung und ihrer Interessen erwacht sind. Für den freien Sonnabendnachmittag spricht auch, daß die immer teurer werdenden Wohnungsmieten die Arbeiter der Industriestädte zwingen, weit von ihrem Arbeitsort billiger zu wohnen. Dazu kommt, daß der ständige Hunger der Unternehmer nach Arbeitskräften es wünschenswert erscheinen läßt, daß diese aus entfernteren Bezirken herangezogen werden. Diese entfernter wohnenden Arbeiter haben ein berechtigtes Interesse daran, wenigstens einen Tag in der Woche früher nach Hause zu kommen, einmal wenigstens wöchentlich Zeit zu haben, ihre Familien und ihre Kinder zu sehen, notwendige oder wichtige Besorgungen zu erledigen. Der Achtuhrladenschluß und die Sonntagsruhe im Handelsgewerbe die gewiß zu begrüßen sind rauben bei den bestehenden Arbeitszeiten den Proletariern jede Möglichkeit, Zeit erfordernde Besorgungen nach Betriebsschluß zu machen. Liegen solche vor, so muß die Arbeit versäumt werden, das bedeutet eine Schmälerung ihres ohnehin unzulänglichen Verdienstes, abgesehen davon, daß die Arbeiter den Urlaub nicht immer erhalten und ihren Vorgefeßten bei dem Nachsuchen darum die Gründe angeben müssen, weshalb sie früher fort wollen. Die Freigabe des Sonnabendnachmittags würde auch hier Wandel schaffen. Die gewonnene Zeit würde den Arbeitern Zeit zu vorteilhaften Einkäufen geben. Nicht unerwähnt möchte ich lassen, daß Tausende der von den Unternehmern herangezogenen ländlichen Arbeitskräfte durch die gleich nach Fabrikschluß abgehenden Arbeiterzüge unserer Agi= tation ganz entzogen werden. Das würde besser werden, wir könnten einen erheblichen Zuwachs an Mitgliedern gewinnen, wenn der Sonnabendnachmittag frei wäre. Die Auszahlung des Lohnes müßte natürlich einheitlicher gestaltet werden und möglichst schon am Freitag nachmittag, spätestens aber am Sonnabend vormittag erfolgen, auf alle Fälle aber immer während der Arbeitszeit. Es ist nicht unsere Sache, uns darüber den Kopf zu zerbrechen, ob durch eine frühere Lohnauszahlung dem Unternehmer besondere Ausgaben entstehen. Wir haben vielmehr dafür zu sorgen, daß die Lohnauszahlung in einer der Arbeiterschaft genehmen Weise vor sich geht. Meines Wissens existiert für die Mehrheit der Arbeiterschaft die vierzehntägige Lohnzahlung. In der Woche ohne Löhnung wird eine Abschlagszahlung geleistet, die meist ganz verkehrt als Borschuß erklärt wird. Wir müssen darauf dringen, daß der Lohn wöchentlich gezahlt wird, und zwar an einem Tage, der für die Arbeiterschaft passend ist, während der Arbeitszeit.
Weiter ist der freie Sonnabendnachmittag auch deshalb nötig, weil die Arbeiterschaft dadurch Zeit gewänne, geistig emporzusteigen und sich die Kenntnisse zu erwerben, die zum Verständnis der Bedeutung ihrer Kämpfe unerläßlich sind. Die überanstrengung durch den Arbeitsprozeß, bei Frauen noch dazu die Mehrbelastung durch die Hausarbeit, bekommen wir ja in den meisten Bersammlungen zu spüren. Die Abgespanntheit und die körperliche Erschöpfung der Arbeiterinnen nach langer, anstrengender Arbeitszeit beeinträchtigen natürlich die Fähigkeit, auch einfache Darlegungen der Redner zu verstehen. Es ist nicht immer Unlust, wie manche von uns meinen, die die Arbeiterinnen vom VersammInugsbesuch fernhält. In sehr vielen Fällen ist dieser direkt unmöglich, wenn die Arbeiterinnen ihre häuslichen Pflichten nicht bernachlässigen wollen. ( Fortsetzung folgt.)
Aus der Bewegung.
Die Beteiligung der Genosfinnen am Chemniher Parteitag ist entsprechend dem Wachstum unserer Bewegung größer gewesen als je zuvor. Insgesamt nahmen 36 Frauen an den Arbeiten der ,, roten Woche" teil, davon 33 als Delegierte, die als Vertreterinnen ihrer Organisation von Genoffinnen und Genossen gemeinsam gewählt worden waren. Die 34. Delegierte, Genossin Luxemburg , wurde durch Krankheit verhindert, das ihr vom Kreis München - Gladbach übertragene Mandat auszuüben. Fast alle größeren Zentren unserer Bewegung hatten durch die Delegierung einer Genossin bekundet, daß die Frauen in steigendem Maße Arbeit und Kampf der Partei teilen. Königsberg