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Die Gleichheit
Köln vermochten die Vergolder einer Firma durch einen furzen Streit die Einführung des schädlichen Zwischenmeister= systems abzuwehren. In dem Universitätsstädtchen Gießen schlossen die Schreiner mit dem dort herrschenden Kleinmeistertum zum erstenmal einen Tarifvertrag ab. Dieser bringt ihnen die 9/ 2stündige Arbeitszeit und insgesamt 7 Pf. Lohnerhöhung.
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Eine für die Arbeiterinnen bedeutsame Lohnbewegung ist in Freiburg in Schlesien auf friedlichem Wege zu Ende ge= führt worden. In den dortigen zehn Betrieben der Uhrenfabrikation arbeiten allein über 700 Holzarbeiter, darunter sehr viele Frauen. Während bisher nur im größten Betrieb die Verhältnisse durch Tarif geregelt waren, erstreckt sich jetzt diese Regelung auf alle Fabriken. Die Arbeitszeit, die bisher 58 und 60 Stunden betrug, wird bis 1. September 1914 auf 55 Wochenstunden herabgesetzt. Die Stundenlöhne werden für Männer um insgesamt 5 bis 6 Pf., für Frauen um 4 bis 5 Pf. erhöht. Die Affordpreise erhöhen sich für Männer um 5 und 5 Prozent, für Frauen um 7/2 und 5 Prozent, und zwar um den ersten Satz sofort, um den zweiten 1914. Überstunden werden Arbeitern mit 20 Pf., den Arbeiterinnen mit 10 Pf. Lohnaufschlag vergütet. Die Durchschnittslöhne der Arbeiterinnen steigen sofort von 19 auf 22 Pf., am 1. September 1913 und 1914 auf 23 beziehungsweise 24 Pf. Sind diese Säße auch keineswegs hoch, so gehen sie durch die tarifliche Sicherstellung doch weit über diejenigen hinaus, die die vielen noch unorganisierten Arbeiterinnen in den Betrieben der schlesischen Holzindustrie erhalten. D
fk. In der deutschen Stuhlrohrindurie, die zu einem großen Teil weibliche Arbeitskräfte beschäftigt, ist gegenwärtig eine Be wegung im Gange, die Arbeitszeit zu vereinheitlichen und gleichzeitig die Löhne aufzubessern. Diese Industrie erstreckt sich auf die beiden Hafenstädte Hamburg und Bremen und deren Hinterland. Das sogenannte spanische Rohr, das besonders auf der Malaischen Halbinsel und den Inseln Borneo und Sumatra gewonnen wird, fommt zu Schiff nach Deutschland ; hier wird es in meist großen Fabriken auf besonderen Maschinen durch Schaben und Schleifen von den Knoten befreit und dann durch Zerschneiden, Spalten und Hobeln in die schmalen Streifen zerlegt, die später das Geflecht der Stuhlsize bilden. Daneben werden in kleinem Umfang Rieten für Webstühle, Rohre für Korsetts als Fischbeinersatz und andere Dinge hergestellt. Der nach dem Abschälen der glänzenden Außenhülle verbleibende Kern der Rohrstangen wird rund gezogen und gibt das zur Anfertigung von Rohrmöbeln dienende Peddigrohr. Bis zu seiner Fertigstellung durchläuft das Produkt verschiedene Arbeitsprozesse. Es wird je nach seinem Verwendungszweck gebeizt, gebleicht oder gefärbt.
Betriebe, die das spanische Rohr verarbeiten, gibt es nun in Harburg, Bergedorf , Sande, in Bremen und in Farge bei Bremen . Die Arbeitsverhältnisse sind in den einzelnen Betrieben noch recht verschieden. Während in Harburg die wöchentliche Arbeitszeit 54 Stunden und in Bergedorf 551 Stunden beträgt, arbeiten der größte Bremer Betrieb mit etwa 320 männlichen und 270 weiblichen Beschäftigten noch 58/2 und die kleineren sogar noch 60 Stunden in der Woche. Die Arbeiter und Arbeiterinnen, die im Holzarbeiterverband, zum Teil auch im Fabrikarbeiterverband organisiert sind, fordern nun für alle Betriebe den Neunstundentag. Die Löhne zeigen ebenfalls erhebliche Unterschiede, viel wird im Afford gearbeitet. In Bre= men bewegt sich der Durchschnittsverdienst der Arbeiterinnen zwi= schen 12 und 13 Mt., nur wenige kommen auf 20 Mt. in der Woche. Die Arbeiter verdienen dort im Durchschnitt wöchentlich 24 bis 25 Mt., doch bleiben die Löhne einzelner auch weit unter diesem Satz. Die den Unternehmern aller in Betracht kommenden Fabriken überreichten Forderungen sehen nun neben dem Lohnausgleich für die Verkürzung der Arbeitszeit eine entsprechende staffelweise Erhöhung der Lohnsäße vor. Außerdem wird ein Zuschlag für Überstunden gefordert, den bisher noch nicht alle Betriebe zahlten. Neu ist auch die hier gestellte Forderung auf Gewährung alljährlicher Ferien von 3 bis 6 Tagen. Die Arbeiterorganisationen stehen gegenwärtig mit den Unternehmern noch in Unterhandlungen, und es ist zu hoffen, daß deren Ergebnis eine wesentliche Besserung der Lage der Stuhlrohrarbeiter und-arbeiterinnen sein wird.
fk.
Eine Konferenz der Musikinstrumentenarbeiter beruft der Deutsche Holzarbeiterverband zum 17. und 18. November nach Ber lin ein. Neben der Lage der Arbeiter und Arbeiterinnen dieser Industrie soll besonders auch die Frage des Arbeitsnachweises und die Regelung der Arbeitsverhältnisse durch Tarifverträge besprochen werden. Besonders in den Klaviermechanikfabriken werden sehr viele weibliche Arbeitskräfte verwendet. Die Konferenz
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sollte daher für die Arbeiterinnen ein Anlaß sein, sich tätig an den verberatenden Branchenversammlungen zu beteiligen, um dort ihre besonderen Interessen zu vertreten.
Notizenteil. Dienstbotenfrage.
fk.
Wie niedrig im Rechtsstaat Deutschland Leben und Gesund. heit der Dienenden gewertet und wie milde die Verbrechen Besitzender gefühnt werden, zeigt ein Urteil der Darmstädter Ferienstraffammer. Vor diesem Gericht hatte sich am 5. September eine Angehörige der„ besseren" Gesellschaft zu verantworten, die 41jährige Ehefrau des praktischen Arztes Dr. Berg in König im Odenwald . Frau Berg war angeklagt, ihr Dienstmädchen Marie Schwinn Ende 1910 und Anfang 1911 fortgesezt vorsätzlich mittels gefährlichen Werkzeugs und einer das Leben gefährdenden Behandlung törperlich verlebt und an der Gesundheit geschädigt zu haben. Die Dame stand nicht zum erstenmal wegen Mißhandlung eines Dienstmädchens vor Gericht. So war sie schon vor ihrer Berehelichung im Jahre 1895 vom Schöffengericht in Wiesbaden wegen schwerer Mißhandlung ihres damaligen Dienstmädchens zu einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten verurteilt worden. Gegen dieses Urteil hatte sie seinerzeit Berufung eingelegt und die Straffammer in Wiesbaden wandelte die Gefängnisstrafe in eine Geldstrafe von 300 Mark und eine Buße von 275 Mart um, die sie an die Mißhandelte zu zahlen hatte. Diefer Strafmilderung zeigte sich die Dame würdig, indem sie bereits ein Jahr darauf wiederum die Anklagebank wegen Mißhandlung eines Dienstboten zierte. Auch damals verfuhr das Gericht sehr nachsichtig gegen sie, indem es sie trotz ihres Rückfalls nur mit 50 Mt. bestrafte. Daß Frau Berg danach sich nicht sobald wieder vor einem Gericht zu verantworten hatte, mag nicht an ihrer Besserung gelegen sein. Sie wird eben auch Dienstboten bekommen haben, die gleich von Anfang an nicht gesinnt waren, die grausamen Neigungen der„ Gnädigen" zu ertragen, und die deshalb die feine Stelle beizeiten wieder räumten. Die Aussagen einiger früheren Dienstmädchen der Angeklagten bestätigen diese Vermutung. In dem vorliegenden Falle hatte die Frau Doktor insofern einen guten Griff getan, als ihr mit der Marie Schwinn ein Opfer preisgegeben worden war, das fast noch ein Kind und eine Halbwaise war, um dessen Wohl und Gedeihen sich weiter niemand in der Welt kümmerte. Das bedauernswerte Geschöpf zählte erst vierzehn Jahre, als es in den Dienst zu der Frau Doktor gebracht wurde, und war obendrein geistig für ihr Alter nicht voll entwickelt, ein weiterer Umstand, der es der kräftigen Bourgeoisdame gegenüber noch hilfloser machte. Und in wahrhaft scheußlicher Weise hat diese ihre grausamen Gelüste an dem unglückseligen Mädchen betätigt. Mit einem spanischen Rohr, mit Spazierstöcken und mit anderen Werkzeugen hat sie fortgesetzt das arme Mädchen schwer verletzt. Von links, und rechts und aus allen Richtungen hat sie mit dem Rohrstock auf das Mädchen eingeschlagen. Sie hat das schwache, unterernährte Kind mit aller Kraft ihres wohlgenährten Körpers gegen Bettkanten, Möbelstücke und andere harte Stellen gestoßen. Sie hat es bei den Armen genommen und den Kopf des Mädchens auf den Fußboden gestoßen, daß das Blut strömte. Sie hat es gefnufft und geschüttelt, daß ihm Hören und Sehen vergangen ist. Aber diese entsetzlichen Mißhandlungen befriedigten die Berg noch lange nicht. Sie hat während des Winters in der Nacht dem Mädchen die Kleider aus der Kammer genommen, so daß es im Hemd, barfuß und frierend durch das Haus laufen mußte. Als es sich dann durch die Erkältung Durchfall zugezogen hatte und ein Nachtgeschirr benötigte, ist die Frau Doktor zu ihm in die Kammer gekommen, hat es auf das Bett geschleudert und eine Decke über es geworfen, damit der nebenan wohnende Gendarm die Schmerzensschreie nicht hören konnte, als sie mit ihren kräftigen Armen auf das schwächliche Kind einschlug. Hatten die Kinder des Hauses Wurst und Milch genascht, so mußte es das Mädchen büßen. Die Frau Doktor schlug es blutig, und unter an= derem stieß sie ihm einmal den Milchtopf mit solcher Wucht auf den Mund, daß seine Lippen bluteten. Da sauf!" schrie dabei die Dame das gemarterte Mädchen an. Die große Unreinlichkeit der Kinder, die im ganzen Hause und in allen Zimmern des feinen Haushaltes Kot hinterließen, mußten der Frau Doktor den Vorwand liefern, damit sie das Mädchen immer wieder aufs neue blutig schlagen konnte. Es verging kaum ein Tag, an dem nicht Menschentot an irgend einer Stelle des Hauses gefunden wurde, den die als sehr ungezogen geschilderten Buben der Angeklagten an diese Stellen gebracht hatten. Abwechslungsweise wurde damn