14

Die Gleichheit

das Mädchen von der Frau Doktor und ihrem 15jährigen Sohne Hans Berg derart geprügelt, daß seine Arme und Beine blau unterlaufen und sein Kopf mit Schorf und Narben über und über bedeckt war. Als eines Tages die Kaze die Waschküche verun­reinigt hatte, mußte der Range im Auftrag seiner Mutter das Mädchen wiederholt mit dem Gesicht in den Kapenkot stoßen unter der Beschuldigung, das Mädchen habe den Kot verursacht. Als die Mißhandelte eines Tages einen auf 50 Pf. gewerteten Geldbeutel gefunden hatte und ihn sofort an die Frau Doktor ablieferte, wurde sie von dieser beschuldigt, ihn gestohlen zu haben. Einmal wurden dem armen Mädchen die Kopfhaare mit einer Kerze ab= gebrannt und wiederholt rief ihm die Frau Doktor zu, es sei das beste, wenn es ins Wasser springe. Das Gutachten des Arztes, der das Mädchen untersucht hatte, besagt, daß der ganze Körper der Armen Spuren( Verfärbungen, Beulen, Striemen, Wundbelag usw.) starker Mißhandlung aufweise, die deutlich auf Anwendung harter Gegenstände oder Stoßen gegen solche schließen ließen. Vor dem Gericht wurde auch festgestellt, daß die Schweinereien mit dem Menschenkot im Hause der Frau Doktor schon vorhanden waren, ehe die mißhandelte Marie Schwinn dort im Dienst war. Ein Dienstmädchen, das nur 14 Tage bei der Angeklagten in Stel= Tung war, sagte aus, daß die Buben der Frau Doktor ihr die Röcke in die Höhe gehoben und dabei gerufen hätten: Die Mama hat's gesagt!" Der Glaubwürdigkeit der Marie Schwinn wurde vor Ge­richt durch die übrigen Zeugen, wie Pfarrer und Lehrer, das beste Zeugnis ausgestellt. Die Zeugenaussagen, die vor dem Gericht ge= macht worden sind, haben unter anderem auch etwas näher in den Hausstand hineingeleuchtet, dem die Marie Schwinn von ihren Vormündern überantwortet worden war, noch ehe sie die Schwelle des Kindesalters überschritten hatte. Nach diesen Feststellungen müssen die Eheleute Dr. Berg wie Hund und Kaße zusammen leben. Die Ehegatten werfen sich gegenseitige Mißhandlung und Verschwendung vor. Eines Tages mußte Dr. Berg den Kreisarzt aufsuchen, um sich von ihm eine klaffende Wunde verbinden zu lassen, die ihm seine Frau mit einem Messer am Arme beigebracht hatte. Er hatte 1908 auch beantragt, daß seine Frau entmündigt und in eine Jrrenanstalt überwiesen werde. Die Frau muß auch ihre Kinder sinnlos geschlagen haben. Zu ihrer Verteidigung brachte sie vor dem Gericht vor, die mißhandelte Marie Schwinn sei verlogen, diebisch und unreinlich. Das Mädchen habe überall im Hause Kot verursacht, darüber sei es zu Vorhaltungen ge= kommen, und es könne auch sein, daß ihre Jungen vielleicht ein­mal deshalb oder im Übermut die Schwinn geschlagen hätten. Die Frau Doktor gab lediglich zu, es möge, wenn sie eines ihrer sechs Kinder gezüchtigt habe, aus Versehen" und unabsichtlich ein Schlag für das Mädchen mitabgefallen sein. Alles andere beruhe auf böswilliger Erfindung der Schwinn. Demgegenüber sprach das Gericht aus, daß es ausgeschlossen sei, daß die Zeugin Schwinn alle ihre Angaben erfunden habe. Sie sei zweifellos eine be= schränkte und geistig hilflose Person, sie habe jedoch die ihr wider­fahrenen Unbilden in einer Art geschildert, die Glauben verdiene. Wenn die Verteidigung behaupte, daß die Zeugin fabuliert hätte, so stehe doch fest, daß sie auch diesmal die Einzelheiten genau so geschildert habe wie von Anfang an. Die Angeklagte habe auch in den früheren Anklagen wegen Dienstbotenmißhandlung alles ge­leugnet. Die Ungezogenheiten und Roheiten des Sohnes Hans seien von der Angeklagten gebilligt worden. Alle Angaben des mißhandelten Mädchens seien bewiesen. Auch das Abbrennen der Kopfhaare mit der Kerze, das Gesichtver­schmieren mit dem Kapenkot und alle anderen Scheußlichkeiten. Dasselbe Gericht, das alle diese Feststellungen machte, das alle diese Scheußlichkeiten für erwiesen erachtete, die die Frau Doktor an dem unglücklichen, hilflosen Mädchen begangen hatte, kam dann unter Würdigung aller Umstände, insbesondere auf Grund des Gutachtens des Sachverständigen zu dem Schlusse, daß für all diese Vergehen eine Geldstrafe von 200 Mt. am Plate sei. Und das Urteil: es lautete auf 75 Mt. Geldstrafe. In der Begründung, des Urteils wird gesagt, daß den Angaben des Mädchens Glauben beizumessen sei. Strafmildernd für die Angeklagte komme ihr er­regter Zustand und die Möglichkeit in Betracht, daß sie des Glau= bens sein konnte, die Verunreinigungen stammen wirklich von dem Mädchen. Dieses Urteil fordert zum schärfsten Widerspruch heraus. Die Angeklagte gehört entweder ins Zuchthaus oder ins Irrenhaus. Ist Frau Berg für ihre Untaten nicht verantwortlich, dann muß sie eben in ein Irrenhaus gebracht werden, damit nicht noch weitere Dienstboten ihrer Grausamkeit zum Opfer fallen. Der sachverständige Arzt hat sie aber für verantwortlich erklärt und hat festgestellt, daß eine geistige Erkrankung nicht vorliege. Er hat zwar erklärt, die Angeklagte sei infolge zerrütteter Familien­

Nr. 1

verhältnisse hochgradig nervös. Doch die Angeklagte hat ja schon, als sie noch unverehelicht war und noch nicht in zerrütteten Fa­milienverhältnissen lebte, im Jahre 1895 ihre Dienstboten aufs schwerste mißhandelt. Das Gericht hat die Angeklagte gleichfalls als verantwortlich angesehen. Und doch hält es das teuflische Mar­tern eines halberwachsenen Mädchens mit 75 Mt. Geldstrafe ge­sühnt. Dieser billige Preis muß manche Dame mit perversen Neigungen und solche sind in besseren Kreisen nicht gerade selten zur Befriedigung grausamer Gelüste an ihren Dienst­boten geradezu anreizen.

-

-

"

Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen. Textilarbeiterinnen in der Zwangsjacke der Sächsischen Gefindeordnung", das ist eine Erscheinung, die selbst in Deutsch  land Staunen erregen muß. Aber tatsächlich wurde bei der Er­hebung einer Betriebsstatistik ein solch mittelalterliches Arbeits­verhältnis in der sächsischen Oberlausitz   festgestellt. In Groß­ röhrsdorf   und Ohorn   werden eine Anzahl Weberinnen be­schäftigt, die mit einem Jahreslohn von 90 bis 180 Mt. als Dienst­mädchen eingestellt sind. Nicht genug, daß diese Proletarierinnen im Tag zehn volle Stunden am Webstuhl aufs angestrengteste tätig sind, sie müssen auch noch während der Pausen und nach Schluß der Arbeitszeit die häuslichen Arbeiten im Haushalt ihres Dienstherrn- Fabrikanten" erledigen. Die Mädchen sind auf diese Weise einer schrankenlosen Ausbeutung unterworfen. Was ihnen die Gewerbeordnung an färglichem Schuhe gewährt, wird ihnen wieder geraubt durch die Bestimmungen der Gesindeordnung, der sie unterstehen sie haben Dienstbücher. Der heutige Arbeits­prozeß in den Webereien und die Betriebstechnik mit den schnell­laufenden Stühlen, dem oft recht unzulänglichen Material, erfor­dern von der Weberin einen so hohen Aufwand an geistiger und und körperlicher Kraft, daß diese dabei völlig erschöpft wird. Ein Ersatz der verbrauchten Kräfte ist bei der ungenügenden Ruhezeit, den niederen Löhnen und der herrschenden Teuerung nicht mög lich. Wenn dies schon auf die Weberinnen zutrifft, die der Ge­werbeordnung unterstehen, so erst recht auf die obigen Gesinde­weberinnen", deren Arbeitszeit unbegrenzt ist. Ein solches Arbeits­verhältnis ist aber natürlich für die Fabrikanten außerordentlich lohnend. Die als Dienstmädchen angeworbenen und tätigen und auch als Weberinnen ausgebeuteten Mädchen bekommen im Mittel 135 Mt. an Lohn im Jahr. Das macht auf die Woche 2,50 Mt. Barlohn; setzen wir noch die Verpflegung mit 6 Mt. in der Woche an, so erhalten diese Sklavinnen bei einer wöchentlichen Arbeits­zeit von rund 80 Stunden ganze 8,50 Mt. an Lohn. Den Webe­rinnen hingegen, die nach den Bestimmungen des gewerblichen Arbeitsvertrags beschäftigt werden, muß man doch wenigstens für 58 Stunden Arbeitszeit 12,50 mt. im Mittel zahlen. In Ohorn  gibt es Betriebe, wo bis sechs solcher der Gesindeordnung unter­stehenden Weberinnen beschäftigt sind. Für den Unternehmer macht das das Jahr hindurch einen recht hübschen Bazen Geld aus. An jeder dieser Weberinnen verdient er außer dem gewöhnlichen Profit noch besonders 200 Mt. im Jahre. Dazu kommen die Er­sparnisse für ein bis zwei Dienstboten, die sonst im Haushalt ge­braucht würden. Der Berichterstatter aus Ohorn   schrieb bei Ein­sendung der Betriebsstatistik: Das ist eine Sitte( schon mehr Un­fitte. sk.), auf der die Existenz der hiesigen kleinen Fabrikanten be­ruht und nach der sich auch die jetzigen größeren Fabrikanten be­reichert haben." Daraus geht hervor, daß dieser Unfug schon seit Generationen geübt wird. Wenn die dortigen kleineren Fabri­tanten ihre Konkurrenzfähigkeit nur aufrecht erhalten können durch eine gänzlich unbeschränkte Ausbeutung der Arbeiterinnen, die auf einem zweifellos rechtsungültigen Arbeitsvertrag beruht, dann haben sie auch unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen keine Existenzberechtigung mehr als Fabrikanten. Die Arbeiterschaft muß alles tun, daß derartige überschmaroßer aus dem Wirtschafts­leben verschwinden. Freilich, unsere Scharfmacher werden es be­dauern, daß solche Arbeitsverhältnisse im allgemeinen nicht mit den kapitalistischen   Produktionsbedingungen vereinbar sind. Die Koalitionsfreiheit durch die Gesindeordnung ersetzt! Die Arbeiter der väterlichen Zucht des Arbeitgebers überantwortet! Bei Un­gehorsam oder Widerspenstigkeit gegen den Arbeitgeber 20 Mt. Geldstrafe oder fünf Tage Haft für den Arbeiter, wie dies die " Sächsische Gesindeordnung" vorsicht! Die Wühlereien der bösen Sozialdemokraten und Gewerkschafter wären unterbunden, und es Herrschte unter diesem patriarchalischen System eitel Eintracht und Friede zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten. Die Organisa­tion der Textilarbeiter, der Deutsche Textilarbeiterverband, wird dafür sorgen, daß diese mittelalterlich- tapitalistischen Zwitterbil­dungen in absehbarer Zeit völlig verschwinden.

sk.