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Die Gleichheit

geburt bekämpfen muß. Sie muß dies um so mehr tun, als in dem Kreise der reaktionären Machthaber Ungarns   die Neigung zu bestehen scheint, die Gebrechen der in Aussicht stehenden Wahl­rechtsreform mit einem obendrein undemokratischen Frauenwahl recht zu verbrämen, um sich damit billig den Schein der Fort­schrittsfreunde zu erschleichen.

Die frauenrechtlerischen Damen in Ungarn   sind natürlich er­bost darüber, daß die sozialdemokratische Partei das reaktionäre Wesen des von ihnen geheischten Frauenwahlrechts erkannt hat und sich nicht zu Vorspanndiensten für arbeiterfeindliche Einrich­tungen hergeben will. Sie haben aber am allerwenigsten Grund, sich über unsere Partei zu beklagen. Die Wortführerinnen der bürgerlichen Frauenbewegung haben die Gastfreundschaft der ungarländischen Sozialdemokratie lange genug mißbraucht und mißbrauchen sie auch heute noch, um für ihre reaktionären Forde rungen zu agitieren. Bei allen größeren Voltsversammlungen, die unsere Partei veranstaltet, erscheinen Frauenrechtlerinnen und crhalten das Wort, trotzdem ganz genau bekannt ist, daß sie nur für das Wahlrecht der Damen und nicht auch für das der Frauen des arbeitenden Volkes kämpfen. Unter diesen Umständen ist es begreiflich, daß die Arbeiter wohl hin und wieder den Damen einige starke Worte zurufen. Der ungarländischen sozialdemo­kratischen Partei kann in dieser Sache keinerlei Vorwurf gemacht werden. Daß sie auf einen Kompromiß mit der bürgerlichen Oppo­sition einging und sich für eine Wahlrechtsreform erklärte, die das Frauenwahlrecht nicht enthält, unterliegt der gleichen Beurteilung wie die Tatsache, daß der betreffende Reform­entwurf auch die männlichen Analphabeten vom Wahlrecht ausschließt. Beides läuft darauf hinaus, die prinzipielle Forderung für den Augenblick in den Hintergrund zu schieben, um die ganze Kraft auf ein Ziel zu konzentrieren, das in der Richtung der prinzipiellen Forderung liegt und zu erreichen möglich scheint. Ob diese Taktik selbst richtig oder unrichtig ist, dies zu beurteilen sind die Vorkämpfer des Damenwahlrechts" am we­nigsten berufen. Eugen Varga  , Budapest  .

Das persönliche Gemeindewahlrecht der Frauen ist durch einen Beschluß des Landtags von Niederösterreich   in Wiener Neustadt   und Waidhofen   eingeführt worden.

Das aktive Frauenwahlrecht in Portugal   hat der Senat für alle über 25 Jahre alten Frauen mit höherer Schulbildung an­genommen. Allerdings bedarf dieses Damenwahlrecht noch der Zustimmung der Deputiertenkammer, die sich damit im Herbst dieses Jahres beschäftigen wird.

Die Frau in öffentlichen Aemtern.

Eine Frau Mitglied einer königlich preußischen Prüfungs­kommission, das ist für deutsche Verhältnisse immerhin ein Ereignis. Der preußische Stultusminister hat eine Lehrerin zum Mitglied der diesjährigen Prüfungskommission für die Zeichenlehrer und Zeichen lehrerinnen berufen: Fräulein Hauck, Lehrerin am Seminar zu Berlin   und an der Zeichen- und Malschule des Vereins Berliner Stünstlerinnen.

Ein weiblicher Professor in Holland   ist ernannt worden. Fräu­lein Dr. Johanna Westerdyt erhielt eine außerordentliche Professur in Utrecht  . Bisher war sie Leiterin der Zentralstelle für Pilzfulturen, die von der internationalen Vereinigung von Botanikern in Amster­ dam   unterhalten wird, und beschäftigte sich besonders mit den Strank­

heiten der Tomaten und Hyazinthen.

In Italien   ist zum Mitglied des Rats der Nationalver: ficherung gegen Unfälle Genossin Altobelli ernannt worden, die Sekretärin des Verbandes der Landarbeiter und Landarbeite­rinnen. Wir haben erst fürzlich unseren Leserinnen Näheres von dieser tapferen, aufopfernden Agitatorin erzählt, die ganz besonders die Interessen der Reisarbeiterinnen vertritt.

Als Advokat am obersten Gerichtshof in Norwegen   ist fürz­lich Fräulein Sem zugelassen worden, nachdem sie die letzte der vorgeschriebenen Prüfungen in Kristiania   abgelegt hat. Fräulein Sem war seit 1901 als erster weiblicher Rechtsanwalt im Lande tätig. Nur wenige, besonders befähigte Juristen werden als Ad­vokaten am ersten Gerichtshof zugelassen. Fräulein Sem muß sich also an Begabung und Kenntnissen den besten ihrer Berufsgenossen ebenbürtig erwiesen haben.

Stimmberechtigte Mitglieder des Kuratoriums eines Bres lauer Krankenhauses sind zwei Frauen geworden: Frau Abegg und Frau Brieger. Auf Vorschlag der Armendirektion wurden fie von der Stadtverordnetenversammlung in den Vorstand des Kinderhortes und des Säuglingsheims gewählt, das auch gleich­zeitig ein Krankenhaus für Kleine ist. In der Armendirek

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tion Breslau sind übrigens seit mehr als einem Jahre Frauen als stimmberechtigte Mitglieder tätig.

Der erste weibliche Professor im badischen höheren Schul­dienst wurde etatmäßig angestellt. Dr. Anna Hamburger, die nach Ablegung der Staatsprüfung in Mathematit und Naturwissen­schaften als Lehramtspraktikantin an der Mannheimer   höheren Mädchenschule und Oberrealschule für Mädchen tätig war, erhielt an der Oberrealschule eine feste Stelle mit dem Range und Titel eines staatlichen Professors.

Einen weiblichen Bürgermeister hat die Stadt Johannis­burg in Südafrika   erwählt.

Verschiedenes.

Der Alkoholmißbrauch in Indien  . Von jeher galten die Be­wehner Vorderindiens als nüchterne Menschen. Zwar wird in ihrer ältesten heiligen Schrift, dem Rigweda, die ein Alter von fünf bis sechs Jahrtausenden besitzt, in einem Gedicht Indra  , der König der Götter", als betrunken dargestellt. Auch die großen Herren am Hofe des Großmoguls zu Delhi   gaben sich wüsten Gelagen hin, obwohl der Islam ihnen berauschende Getränke verbot. Doch die große Masse des Volkes blieb immerhin dem Laster des Truntes fern. Erst der Einfluß der Europäer   und ihrer kapitalistischen Kultur führte einen Umschwung zum Schlechteren herbei. Na­mentlich die begüterten Klassen der Eingeborenen sowie die stu dierenden jungen Inder, die eine Ehre darein setzten, die Ge­pflogenheiten der englischen Studenten nachzuahmen, lernten zu­erst und am gründlichsten das Trinken. Aber auch die Arbeiter in Indien   haben sich das Laster des Alkoholgenusses angewöhnt, wie der Vorsitzende der Fabrikantenvereinigung zu Bombay   in einer Rede ausführte. Durch die Untersuchungen eines eigens dazu ge­bildeten Komitees wurde festgestellt, daß die Bombayer Fabrik­arbeiter mehr Geld für alkoholische Getränke ausgaben als für Nahrung und Kleidung. Die Engländer haben allerdings, wie das Archiv für soziale Hygiene"( 8. Vd., 3. Heft) schreibt, ihre Gründe, den Alkoholmißbrauch in Indien   zu schüßen und zu fördern, da ihnen aus den Steuern auf geistige Getränke eine glänzende Ein­nahme erwächst. Im Pundschab( Fünfstromland) betrug diese Ein­nahme im Etatsjahr 1900/1901 über zwei und eine halbe Million Mark, drei Jahre später drei Millionen und zwei Jahre danach gar vier und eine viertel Million. Die Einnahme der indischen Regierung aus der Alkoholsteuer beträgt heute das Vierfache dessen, was im Jahre 1875 einkam. Die Ursachen sind leider in der Zu­nahme der Trunksucht zu suchen, und nicht, wie offiziell geflissent­lich behauptet wird, in dem Anwachsen der Bevölkerungsziffer; denn gerade im Bundschab find während der letzten Jahrzehnte durch Pest und Malaria soviel Menschen zugrunde gegangen, daß sogar eine deutliche Abnahme der Bevölkerung wahrzunehmen ist. Kenner des Volkslebens versichern, daß durch die zunehmende Trunksucht der Inder die männlichen Charaktereigenschaften der Rasse, die durch ihre Tapferkeit berühmt war, unheilbar gelitten hätte. Es scheint, als ob die Inder, dank des kulturellen Fort­schritts", den ihnen die Engländer zu bringen vorgeben, zur Ent­artung verurteilt seien ein Vorgang, der sich schon bei vielen Völkern abspielte, denen kapitalistische Eroberungssucht abend­tändische Gepflogenheiten einimpfte, und durch den manches ge­sunde, entwidlungsfähige Volk zum Aussterben gebracht wurde. 80

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Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe,

Post Degerloch bet Stuttgart  .

Drud und Berlag von J. H. W. Dtez Nachf. G.m.b.8. tn Stuttgart  .