Nr. 2

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23. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen

Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder

Die Gleichbett erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Doft vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig.

Jabres- Abonnement 2,60 Mart.

Inhaltsverzeichnis.

Stuttgart  

16. Oktober 1912

Um den Balkan  . Die Hausfrauen und Mütter im Kampfe gegen Teuerung und Hungersnot. Von Luise Ziez. Die Reform in der Kirchengemeindeordnung in Bayern  . Von st.- Sargschiffe. Von Joseph Kliche. Der freie Sonnabendnachmittag. Von Marta Hoppe.( Forts.) William Mailly, ein sozialistischer Borkämpfer. Von Meta L. Stern.

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Aus der Bewegung: Resolutionen des Sozialdemokratischen Partei­tags zu Chemniz. Eine Besprechung der weiblichen Delegierten des Parteitags. Von der Agitation. Aus den Organisationen. Jahresbericht der Genossinnen des Wahlkreises Teltow- Beeskow­Storkow- Charlottenburg. Politische Rundschau. Von H. B. Gewerkschaftliche Rundschau. Aus der Textilarbeiterbewegung. Bon sk. Der Deutsche   Holzarbeiterverband. Von fk. nossenschaftliche Rundschau. Von H. F. Notizenteil: Frauenarbeit auf dem Gebiet der Industrie, des Handels und Verkehrswesens.-Fürsorge für Mutter und Kind. Frauen­stimmrecht. Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.- Die Frau in öffentlichen Ämtern. Verschiedenes.

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Um den Balkan  .

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Die Kriegsgefahr wird wie die Hungersnot immer mehr zu einer ständigen Erscheinung der fortgeschrittenen fapita­listischen Entwicklung unserer Tage. Noch ehe daß der Frie­densschluß zwischen der Türkei   und Italien   dem mörderischen Würgen an der nordafrikanischen Küste auch nur der Form nach Halt geboten hatte, sind die Völker Europas   durch neuen friegerischen Lärm geängstigt worden. Auf der Balkanhalb­ insel  , wo es schon längst, ja dauernd kriselt", seitdem der Auflösungsprozeß des einst so mächtigen Osmanenreichs ein­gesetzt hat, ist die Gefahr einer blutigen Auseinandersetzung in greifbare Nähe gerückt. Und zwar einer Auseinander­setzung, die der Natur der Dinge nach die furchtbarere Drohung eines Weltkriegs in sich trägt. Europa   gleicht einer Arena, in der fast alle Staaten wie wütende, knurrende, zähnefletschende Bestien toben, aufgeregt sich die Flanken peitschen und den Sand aufwühlen. Im Vordergrund stehen die kleinen Balkanstaaten Bulgarien  , Serbien  , Griechenland  und Montenegro auf der einen Seite, die Türkei   auf der anderen, mit blutunterlaufenen Augen die beste Minute er­spähend, um sich aufeinander zu stürzen. Hinter ihnen liegen Nußland und Österreich   mit schielenden, tückischen Blicken, zum Sprunge geduckt, um bei günstiger Gelegenheit aus dem Knäuel der sich zerfleischenden Todfeinde eine lang umgierte Beute an sich zu reißen oder wenigstens dem Nebenbuhler abzujagen. In weiterem Abstand brillen abwartend und gerüstet die übrigen europäischen   Großmächte, nicht minder erregt und von Gelüsten geschüttelt als die anderen Bestien, wenn auch vielleicht nach einer Beute an anderer Stelle und zu anderer Stunde. Ein herrliches Bild der Zivilisation", die den rückständigen Balkanvölkern durch die Staaten alter Kultur gebracht werden soll, der Interessen gemeinschaft, die angeblich die christlichen europäischen   Groß­mächte gegen die islamitischen Eindringlinge früherer Jahr­hunderte in der Türkei   zusammenhält.

Bürgerliche Blätter rufen es als Echo klassenstaatlicher Po­litiker und Diplomaten nach, daß diese neueste Kriegsgefahr

Zuschriften an dte Redaktion der Gleichbett find zu richten an Frau Klara Zetkin  ( 3undel), Wilhelmshobe, Doft Degerloch bet Stuttgart  . Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furtbach- Straße 12.

ganz plöglich, überraschend heraufgezogen sei. Wie sie lügen! Mit derselben Folgerichtigkeit- man ist versucht, zu sagen Naturnotwendigkeit, mit der im vorigen Jahre der Ma­rokkokonflikt den verbrecherischen militärischen Spazier­gang" Italiens   nach Tripolis   in seinem Schoße trug, mußte diefer Raubzug die Begehrlichkeit der kleinen Balkanstaaten anstacheln, ihr Gebiet auf Kosten der Türkei   auszudehnen. Denn er legte nicht nur Beschlag auf einen ansehnlichen Teil der militärischen Kräfte und der Geldmittel des Osmanischen Reiches   und verminderte damit die Verteidigungsmacht gegen andere Feinde. Er brachte ein übriges, indem er auch das Unvermögen der türkischen   Regierung steigerte, das Erbe der Revolution von 1908 zu verwalten. Mögen Jungtürken   oder Alttürken am Ruder sein: sie erweisen sich in zunehmendem Maße außerstande, durchgreifende Reformen zu verwirklichen, die ein gewisses Gleichgewicht zwischen den entfesselten, mit­einander ringenden Kräften bewirkt hätten. Außerstande sind sie aber auch, durch Gewalt diese Kräfte zu bändigen, die fort­während in inneren Wirren explodieren. Neben den alten so­zialen Gegensätzen eines Bauernlandes mit feudaler Ord­nung tun sich in der Türkei   immer klaffender die modernen Klassenunterschiede auf, die der vorwärtsdrängende Kapita­lismus schafft. Mit ihnen beiden verschlingen sich die vielen nationalen, die religiösen Gegensäße, die zum Teil erst mit dem stärkeren sozialen Zusammenprallen der einzelnen Be­völkerungsgruppen ihre ganze Schärfe erhalten, zum Teil aber auch den Zusammenstoß auffangen und die feindlichen Kräfte in andere Bahnen lenken.

So wirrt sich ein Durcheinander der widerspruchvollsten Interessen und Forderungen zusammen, das auf dem Boden einer Klassengesellschaft, durch eine Klassenregierung fast un­lösbar scheint. Die inneren Schwierigkeiten der Lage werden vermehrt durch das plünderungstolle Treiben von Kapita­liſtencliquen aus aller Herren Länder, die mit ihren An­lagen, Spekulationen, Krediten das Land aussaugen und die Zerrüttung der Staatsfinanzen auf die Spike treiben; durch das politische Nänkespiel der europäischen   Großmächte, die gleich Geiern auf den Augenblic warten, wo sie ein mög­lichst großes Stück der ersehnten Beute erschnappen können; durch die außereuropäischen Besitzungen der Türkei  - Klein­ asien  , Babylonien  , Mesopotamien   und Arabien  , die kein festes wirtschaftliches Band mit dem Reiche am Bosporus  verknüpft, und in denen ebenfalls zum Teil von dem inter­nationalen Rapitalismus neue Entwicklungen und neue Ver­wicklungen vorbereitet werden.

Vergegenwärtigen wir uns zu dem allem die mit kriege­rischen Ruhmesträumen, Ländergier und Freßinstinkten" geschwängerte Atmosphäre, die sich in erstickenden Schwaden mit dem Imperialismus über die Völker lagert. Der Taumel, den sie erzeugt, springt auf Länder und Ländchen über, die wie die Balkanstaaten zum Teil noch im mittelalterlichen Feudalismus stecken. Pflegt doch zumeist das erste zivilisa­torische" Werk des sich hier eindrängenden und einnistenden internationalen Rapitals darin zu bestehen, den Nezierungen

Obligator. Nebenorgan zum ,, Textilarbeiter" für Frauen, die wie ihre Männer Mitglieder des Deutschen Textilarbeiter- u. Arbeit.cinnen- Berb. jud.