Nr. 3

23. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen

Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder

Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Poft vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig. Jabres- Abonnement 2,60 Mart.

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Inhaltsverzeichnis.

Stuttgart  

30. Oktober 1912

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Fortschrittliche Volkspartei   und bürgerliche Frauenbewegung. Die Frauen und die Wahlen zur Angestelltenversicherung. I. Von F. O. II. Von A. R. Lebensmittelteuerung und Unterernährung. Von L. Haase- Frisch. Der freie Sonnabendnachmittag. Von Marta Hoppe.( Schluß.) Das proletarische Kind. Von M. Aus der Bewegung: Resolutionen des Sozialdemokratischen Partei­tags zu Chemniß. Von der Agitation. Aus den Organi sationen. Theodor Bömelburg   t. Politische Rundschau. Von H. B.

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Gewerkschaftliche Rundschau. Aus der Textilarbeiter­bewegung. Von sk. Arbeitslosenzählung im Deutschen   Textil­arbeiterverband. Von sk. Aus der Holzarbeiterbewegung. Von fk. Notizenteil: Dienstbotenfrage. Sozialistische Frauenbewegung int Ausland. Frauenstimmrecht. Verschiedenes.

Fortschrittliche Volkspartei  und bürgerliche Frauenbewegung. Das Verhalten zur Forderung der vollen Gleichberechti­gung des weiblichen Geschlechtes ist von je ein besonderes Blatt der Schande in der nicht übermäßig ehrenvollen Ge­schichte des deutschen Liberalismus gewesen. Bis vor kurzem haben seine Parteigänger bis zu den Vertretern der äußer sten Linken hinüber oft genug mit den Konservativen und Zentrümlern an Verständnislosigkeit für die Hauptziele der Frauenbewegung gewetteifert. Namentlich die Forderung des Frauenwahlrechtes, der vollen politischen und staatsbür­gerlichen Gleichstellung der Geschlechter überhaupt, ist für die Liberalen ein Stein des Anstoßes geblieben, über den ihre Gesinnungstüchtigkeit und Prinzipientreue als unentwegte Demokraten jedesmal sehr unsanft auf die Nase fällt. Der Nachweis dafür liegt vor in Reden und Abstimmungen zu den einschlägigen sozialdemokratischen Anträgen und frauen­rechtlerischen Petitionen, mit denen sich der Reichstag   und die Landtage der Bundesstaaten zu beschäftigen hatten. Er ist angehäuft in den nichtssagenden und gewundenen Erklä­rungen, mit denen führende Nationalliberale und Fortschritt­ler vor Wahlen die bekannten Anfragen der Frauenrecht­lerinnen zu beantworten pflegen.

Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit find zu richten an Frau Klara Zetkin  ( 3undel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart  . Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furtbach- Straße 12.

perspektive des Althergebrachten, des Vorurteils, des Egois­mus. Das klassische Zeugnis dafür ist der berüchtigte§ 8 des Programmes der Fortschrittlichen Volkspartei  . Er wurde vor zwei Jahren geschaffen, als die drei Fraktionen des ent­schiedenen" Linksliberalismus sich zu dieser einen Partei zu­sammenschlossen. Dieser Paragraph ist nichts als eine all­gemeine, unbestimmte Redensart, die die Partei in ihrer Gesamtheit nicht zum Kampfe für die volle Gleichberechti­gung des weiblichen Geschlechtes verpflichtet, ja es ihren ein­zelnen Führern erlaubt, dieser Forderung mit plumpen Späßen und trivialen Gemeinpläßen in den Rücken zu fallen.

Murrend und schmollend haben sich die liberalen" Frauenrechtlerinnen seinerzeit bei der Festsetzung des fort­schrittlichen Einigungsprogramms damit abgefunden, daß ihnen wie lästigen Bettlern nicht mehr gereicht wurde als das karge Almosen dieses Paragraphen. Aber die Damen sind Bein vom Bein und Fleisch vom Fleisch des deutschen Liberalismus, dessen hervorragendste Stärke die Geduld und Entsagung ist, mit der Fußtritte von oben ertragen werden. Wie er sich ewig unter schmachtendem Liebesgirren vor Fürstenthronen und Junkerställen von der Hoffnung auf seine Regierungsfähigkeit nährt, so zehrten die linksliberalen Frauenrechtlerinnen von dem Trost, die Fortschrittliche Volkspartei   werde sich bald in ihrem Programm grundsätz­lich für die volle staatsrechtliche Gleichstellung der Geschlechter erklären. Und sie haben es wahrlich nicht an Fleiß und Schweiß fehlen lassen, um die unentwegten" Gläubigen des Spießbürgerdogmas von dem allein seligmachenden Kochtopf auf den Weg gen Damaskus   zu drängen. Sie haben eifrig und von ihrem Standpunkt aus mit Verständnis und Ge­schick in ihrer Partei mitgearbeitet und sind nicht weniger rührig für sie tätig gewesen. Man erinnere sich der Selbstver­Teugnung sie grenzte in manchen Fällen sehr hart an Selbstbetrug und Mangel an Selbstachtung, mit der die Damen bei Wahlen, insbesondere bei den letzten Reichstags­wahlen, die Werbetrommel für die Volkspartei als den festen Hort einer reformfreudigen Politik und der demokratischen Fortentwicklung gerührt haben. So durften sie hoffen, für ihr Geschlecht den Nachweis der politischen Reife" erbracht zu haben, wie der volle und ganze" Fortschritt sie verstehen kann. Auf der diesjährigen Tagung der Fortschritt­ lichen Volkspartei   zu Mannheim   wollten sie die Ernte ihrer Arbeit in die Scheuern bringen. Eine Änderung des§ 8 sollte die Parteiangehörigen in aller Form verpflich­ten, für die volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechtes zu kämpfen.

Wenn der Liberalismus in anderen Fragen seine Ver­gangenheit, seine Grundsäße und sein Programm preisgibt, so ist das geschichtlich begreiflich. Diese rückläufige Entwick­lung muß sich unaufhaltsam wie ein Naturgesetz unter dem Drucke der wachsenden Klassengegensäße und der sich verschär­fenden Klaffenkämpfe vollziehen. Wenn aber der Liberalis­mus vor der Forderung voller sozialer und politischer Rechts­gleichheit der Geschlechter seine Prinzipien verleugnet, wenn sein demokratisches Glaubensbekenntnis nicht auch das Recht Die liberalen Frauenrechtlerinnen sahen den Himmel vol­der Frau in sich begreift, so drängt sich dafür eine Erklärung ler Geigen. Anträge für die erstrebte Programmänderung in den Vordergrund. Liberale und Fortschrittler betrachten wurden von fortschrittlichen Organisationen in allen Teilen die Frauenbewegung und ihre Ziele nicht von der hohen des Reiches beschlossen, Württemberg   allein ausgenommen, Warte geschichtlicher Einsicht, die den Werdeprozeß verstehen wo die Führer der bürgerlichen Demokratie der alten lieben lehrt, der die Tätigkeit und das Leben des Weibes umge- Gewohnheit nicht entsagen können, den Forderungen der staltet und zur vollen Rechtsgleichheit der Geschlechter treibt. Frauenrechte mit schalen Mäßchen zu begegnen. Da fiel ein Was sich da neu bildet, erfassen diese Herren aus der Frosch- Reif in die Frühlingsnacht und ließ die zarten Blaublümelein Obligator. Nebenorgan zum Textilarbeiter" für Frauen, die wie ihre Männer Mitglieder des Deutschen Textilarbeiter- u. Arbeit.cinnen- Verb. sind..