36

Die Gleichheit

schied des Geschlechts fest und fester gegen den Umsturz der fapitalistischen Ordnung zusammenschließt. Sie wissen seit langem, daß im Kampfe für ihr Recht und ihre Befreiung nur eine Macht hinter ihnen steht: das revolutionäre Prole­tariat.

Die Frauen und die Wahlen zur Angestelltenversicherung.

J.

Kurz vor Toresschluß hat der alte Reichstag das Versiche­rungsgesetz für Angestellte verabschiedet. Soweit es sich da­bei um die Regierung und die bürgerlichen Parteien han­delt, ist auch diese sozialpolitische Maßnahme nicht etwa aus der überzeugung geschaffen worden, daß die Angestellten vor den Folgen der Invalidität und des Alters besser geschützt werden müssen, sondern lediglich im Hinblick auf die bevor­stehenden Reichstagswahlen. Die Angestellten machen einen immer größeren Teil der Wählerschaft aus, man hoffte sie durch die Schaffung des Gesezes den bürgerlichen Parteien als Wähler zu erhalten. Wie der Ausfall der letzten Reichs­tagswahlen zeigt, hat das Gesetz seinen Zweck als Wahlspeck recht schlecht erfüllt. Ein Teil der Angestellten vertrat den Standpunkt, daß der notwendige Schutz besser durch die Aus­gestaltung der Invalidenversicherung zu erreichen gewesen wäre, als durch ein Sondergesek. Die Führung dieser Gruppe hatte die Freie Vereinigung für die soziale Versicherung der Angestellten", der alle freigewerkschaftlichen Angestellten­organisationen angeschlossen sind. Ihr stand der Haupt­ausschuß für die staatliche Versicherung der Privatangestell­ten" gegenüber, in dem der antisemitische Deutschnationale Handlungsgehilfenverband tonangebend war. Dieser Haupt­ausschuß forderte die Sonderversicherung und kam damit dem Standesdünkel entgegen, der in weiten Kreisen der An­gestellten herrscht. Bei der Beratung jenes Gesezes ließen diese Herren eine Forderung nach der anderen fallen, die sie früher mit Eifer verfochten hatten, nur damit das Gesetz zu­stande kam. So erklärt es sich, daß das Gesetz in der heu­tigen Form bei weitem nicht den Erwartungen der Ange­stellten entspricht und große Enttäuschung hervorgerufen hat. In einer Beziehung bringt das Versicherungsgesetz für An­gestellte aber doch einen Fortschritt. Den Frauen ist zu den Organen des Versicherungsträgers das aktive und passive Wahlrecht gewährt worden, wenn auch mit einigen Ein­schränkungen. Die Organe der Neichsversicherungsanstalt sind: 1. das Direktoriumi, 2. der Verwaltungsrat, 3. die Rentenausschüsse und 4. die Vertrauensmänner.

Die Vertrauensmänner werden von den Versicherten und den Arbeitgebern je zur Hälfte gewählt. Wahlberechtigt und wählbar ist jeder volljährige Versicherte. Die Wahl erfolgt nach den Grundsäßen der Verhältniswahl. Es können also auch die Frauen wählen und als Vertrauenspersonen ge­wählt werden. Die Vertrauensmänner haben die Beisiger zum Verwaltungsrat, für die Rentenausschüsse, Schieds­gerichte und Oberschiedsgerichte zu wählen. Ihre Funktionen sind also von großer Wichtigkeit.

Die ersten Vertrauensmännerwahlen für die Angestellten versicherung haben in diesen Wochen begonnen und werden Anfang November beendet sein. Bon besonderem Interesse ist für uns die Haltung der Frauen im Wahlkampf. Es zeigt sich da eine eigenartige Tatsache. Die den bürgerlichen Frauenrechtlerinnen nahestehenden kaufmännischen Vereine für weibliche Angestellte gehen näm­lich nicht etwa mit den Angestelltenverbänden gemeinsam vor, die stets und energisch für die Gleichberechtigung der Frauen auf allen Gebieten eingetreten sind. Bewahre, diese Vereine machen vielmehr gemeinsame Sache mit ausgesprochenen Gegnern der Frauenarbeit und des Frauenwahlrechts. Die bürgerlichen Vereine weiblicher Angestellter gehören zu den Verbänden, die im Hauptausschuß für die staatliche Versiche rung der Privatangestellten" vereinigt sind, und der Haupt­

Nr. 3

ausschuß steht auch bei den Wahlen der Freien Vereinigung für die soziale Versicherung der Angestellten" feindlich gegen­über. Die der Freien Vereinigung angeschlossenen Organisa­tionen nehmen sämtlich auch weibliche Angestellte auf und vertreten alle in Theorie und Praris den Standpunkt der vol­len Gleichberechtigung der Geschlechter. Von den Verbänden des Hauptausschusses kann das keineswegs behauptet werden. In der Wahlagitation macht sich ein lebhaftes Werben um die nach Tausenden zählenden Stimmen der weiblichen Ange­stellten bemerkbar. Ob es wohl die Frauen wirklich fertig­bringen, bei den Wahlen ihren ausgesprochenen Gegnern zum Siege zu verhelfen, oder ob sich die größere Zahl der weib­lichen Angestellten auf ihre wahren Freunde besinnt, die in der Freien Vereinigung zusammengeschlossen sind? Das Wahlergebnis wird die Antwort bringen. Sollte das erstere der Fall sein, so wäre das ein Beweis mehr dafür, wie not­wendig noch eine umfassende gewerkschaftliche und politische Aufklärungsarbeit gerade auch unter den weiblichen Ange­stellten ist. Wir werden über den Ausgang der Wahl be­richten. F. O., Berlin  .

II.

Das Versicherungsgesetz für Angestellte legt dieser gro­Ben Schicht Erwerbstätiger ansehnliche pekuniäre Lasten auf, die die große Masse der Angestellten kaum zu tragen vermag, da ihre Lage ohnehin durch die immer höher steigen den Teuerungspreise drückend genug ist. Was die standes. gemäße Sonderversicherung" dafür bietet, entspricht bei wei­tem nicht den berechtigten Forderungen der Angestellten. Wie allen reichsgesetzlichen Versicherungseinrichtungen sind auch der Angestelltenversicherung die Frauen unterstellt, soweit sie unter die Bestimmungen des Gesetzes fallen. Was die Rechte der versicherungspflichtigen weiblichen An­gestellten anbelangt, so hat die Regierung an dem bekannten Standpunkt festgehalten, den sie auch bei der Beratung der Reichsversicherungsordnung einnahm und der auch von den bürgerlichen Barteien geteilt wurde. Er fand seinen Aus­druck in der Erklärung eines Regierungsvertreters: Da­gegen fönne auf keinen Fall den Frauen eine Beteiligung an der Ausübung richterlicher Funktionen zugestanden wer­den. Die Grenze sei der Wirksamkeit der Frau von jeher ge­zogen worden, und sie müßte unter allen Umständen aufrecht­erhalten bleiben." Dieser Auffassung entsprechend ist das Recht der weiblichen Angestellten beschränkt worden. Die Ausübung richterlicher Funktionen ist ihnen versagt, immer­hin aber mußte ihnen das aktive und passive Wahlrecht zu den Versicherungsträgern eingeräumt werden. Bei den Wahlen der Vertrauensmänner, die bereits im Gange sind, werden sie auch erstmals dieses Recht ausüben.

Bei diesen Wahlen teilt sich das gewaltige Heer der An­gestellten in zwei Lager. Auf der einen Seite steht die Freie Vereinigung", der alle Verbände angeschlossen sind, die für einen weiteren gründlichen Ausbau der bestehenden Versicherungen eintreten, der den Interessen der Angestell­ten wirklich gerecht werden würde. Auf der anderen Seite finden wir die Organisationen, die von der Harmonie der Interessen zwischen Angestellten und Brotherren" fabu­lieren, im Schlepptau der bürgerlichen Parteien laufen, mit der Regierung in eine Kerbe schlagen, ja mit der schlimmsten Reaktion paktieren, auch wenn sie durch das alles in der gröblichsten Weise gegen das Wohl der abhängigen Erwerbs­tätigen sündigen. Dem Hauptausschuß" gehören unter an­derem auch die Deutschnationalen Handlungsgehilfen an, die für die Entwicklung und die Bedingungen der Frauen­arbeit absolut kein Verständnis zeigen und ihr Verbot oder wenigstens ihre Einschränkung durch das Gesetz fordern. Während unabänderliche Verhältnisse immer mehr Frauen in die Läden, Kontore und Bureaus zwingen, plappern diese Herren die alte Spießbürgerweisheit, die Frau gehöre an den Kochtopf und müsse dort bleiben. Und Schlimmeres noch: wenn es darauf ankommt, treten sie jederzeit für die Entmündigung, die Rechtlosigkeit des weiblichen Geschlechts ein.