Nr. 3
Die Gleichheit
Der Parteitag anerkennt das ernste Bestreben junger Arbeiter und Arbeiterinnen, sich durch rege Vereinstätigkeit, durch Versammlungen, Vortragskurse, künstlerische Veranstaltungen, Ausflüge, Besuche von sehenswerten Sammlungen und auf andere Weise eine Erweiterung ihrer unzureichenden Volksschulbildung anzueignen. Alle diese Maßnahmen sind reine Bildungsmaßnahmen und als solche unpolitisch.
Dagegen besteht für den Parteitag kein Zweifel über die politischen Beweggründe, die zur neueren bürgerlichen Jugendbewegung in allen ihren Arten und Betätigungsformen und zu ihrer Unterstützung durch Staat und Gemeinde geführt haben, sowie über die offene und versteckte Bekämpfung der Sozialdemokratie, die bei allen Veranstaltungen der bürgerlichen Jugendpflege auf die jugendlichen Teilnehmer versucht wird.
So sehr die deutsche Sozialdemokratie von jeher durch Wort und Tat die geistige und körperliche Hebung der schulentlassenen Arbeiterjugend durch den Ausbau und durch die Verbesserung des staatlichen und gemeindlichen Schul- und Bildungswesens zu fördern bemüht ist, so sehr erhebt sie Widerspruch gegen die parteiische Unterstützung unkontrollierbarer, bewußt sozialistenfeindlicher, also politischer Jugendpflege privater Vereinigungen durch staatliche Behörden und aus öffentlichen Mitteln.
Der Parteitag fürchtet zwar die politische Wirkung dieser neuesten Art der Sozialistenbekämpfung nicht, er erhebt aber aus allgemeinen kulturellen und pädagogischen Gründen den entschieden sten Einspruch gegen das heuchlerische Gebaren und gegen die wüsten Methoden der bürgerlichen Jugendpflege; besonders sieht er in den sogenannten Kriegsspielen und in der öden Nachäfferei militärischer äußerlichkeiten eine schwere Beeinträchtigung der förperlichen, geistigen und seelischen Entwicklung der heranwachsenden Jugend. Solches Treiben dient nicht der Heranbildung wahrer Vaterlandsliebe im Geiste der Menschlichkeit, sondern der Züchtung roher Triebe im Sinne des Nationaldünkels und der Heze gegen andere Völker.
Der Parteitag erwartet, daß die jungen Arbeiter und Arbeiterinnen wie bisher allen Verfolgungen zum Trotz ihre anerkennenswerte Bildungsarbeit an sich selbst im Sinne fortschrittlicher, freiheitlicher und brüderlicher Lebensauffassung fortsetzen. Die deutsche Sozialdemokratie wird bestrebt sein, sie dabei vor unge= rechtfertigten und ungeseßlichen Störungen durch amtliche und freiwillige Gegner der proletarischen Jugendbewegung zu schützen. Von der Agitation. In Nürnberg befaßten sich neun Frauenversammlungen in den letzten Wochen mit der Frage der Kommunalpolitik und die Frauen". Die Versammlungen fanden für die Distrikte Wöhrd , Osten, Altstadt, Gostenhof , Süden, Südwest, Steinbühl , St. Johannis und Mayfeld statt; sie waren insgesamt von über 1000 Frauen und Mädchen besucht. Genossin Grünberg als Rednerin behandelte die Forderungen, die die Sozialdemokratie an die Gemeinden in bezug auf Gesundheitswesen, Schwangeren-, Wöchnerinnen- und Säuglingsfürsorge, Körperpflege, ferner Nahrungsmittelversorgung und Preisregulierung stellt. Sie kennzeichnete das Wohnungswesen, wie es ist, und zeigte, wie es sein sollte. Volle Zustimmung fanden die Ausführungen der Rednerin über die Umgestaltung der Volksschule zur Einheitsschule, die Unentgeltlichkeit der Lernmittel und die Einführung der Schulspeisung usw. Auch die Forderungen unserer Partei zur Arbeitslosenfürsorge und zum Armenwesen wurden gestreift. An der Fülle des Stoffes und der zu lösenden Fragen bewies die Rednerin, daß die Mitarbeit der Frau in den Gemeindeförperschaften von höchster Bedeutung und daß darum das Frauenwahlrecht eine unbedingte Notwendigkeit ist. Soll aber dieses Recht erkämpft werden, so ist es unumgänglich, daß die Genossinner selbst eine planmäßige Werbetätigkeit unter den Proletarierinnen entfalten. Es wurde darauf hingewiesen, daß noch viele Genoffinnen für den Posten der Bezirkshelferinnen gebraucht werden, da zum mindesten in jedem der 116 Stadtbezirke eine Helferin tätig sein müsse. Durch eine planmäßig ins Werk gesezte Agitation fönne die Zahl der Frauen und Mädchen in unseren Reihen noch wesentlich vermehrt werden. Für alle mitarbeitenden Genossinnen werden monatlich Schulungsabende veranstaltet, deren Bekanntmachung durch die Fränkische Tagespost" erfolgt. In den gut besuchten Versammlungen wird die Aufforderung auf fruchtbaren Boden gefallen sein, für Partei, Gewerkschaften und Konsumvereine Mitglieder zu werben und der Parteipresse neue Leser zuzuführen.
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Für die Zahlstelle Dresden des Fabrikarbeiterverban= des fanden im Juli, August und Anfang September 10 Fabrikund Betriebsversammlungen statt. 7 davon wurden für die Arbeiter und Arbeiterinnen der Konservenindu
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strie veranstaltet, deren Arbeitsbedingungen noch sehr viel zu wünschen übrig lassen. In Rotenthal und Poberschau waren 2 Versammlungen für den Holzarbeiterverband glänzend besucht, in denen Der wirtschaftliche Kampf und seine Bedeutung" auf der Tagesordnung stand. Gut besucht war auch eine vom Metallarbeiterverband in Planen i. V. einberufene
Versammlung.
Zwei sehr gut besuchte Frauenversammlungen fanden in Sporlizz und Mägeln und eine Mitgliederversammlung des Sozialdemokratischen Vereins in Struppen statt. In einer Versammlung der Jugendgruppe in Pirna wurden die Dichtungen Otto Krilles behandelt. Die zahlreich erschienenen Jugendlichen folg= ten mit größter Aufmerksamkeit den Ausführungen der Rednerin. Durch solche Veranstaltungen gewinnen wir die proletarische Jugend am besten für unsere Ziele. Überfüllt waren die Protestversammlungen gegen die Teuerung in Poberschau- Obergurig, Mühlbach- Häßlich und Jena . In Jena war der große Saal des Volkshauses mit seinen Galerien bis auf den letzten Plah besetzt. Hier stand als zweiter Punkt noch die Milchpreiserhöhung auf der Tagesordnung, da die Großhändler die Milch um 2 Pf. für das Liter verteuern wollten. Die Versammelten verpflichteten sich, die verteuerte Milch zurückzuweisen. In allen der aufgezähl= ten Versammlungen sprach Genossin Wack wit als Referentin, und es wurde mit Erfolg für unsere Organisationen geworben. So geht es allerorts vorwärts, einer besseren Zukunft entgegen.
M. W.
Aus den Organisationen. Auch in Kassel ist die Zahl der Genossinnen so groß geworden, daß man Frauenabende einrichten konnte, um das Verständnis für die Ziele des Sozialismus unter den Frauen zu vertiefen. Über hundert Frauen erschienen am ersten Frauenabend, um den Vortrag des Genossen Parteisekretär Strube über die Bedeutung der Frauenabende zu hören. Der Redner schilderte die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die die politische Rechtlosigkeit der Frau bedingen. Er zeigte, welche Bedeutung der Erringung politischer Rechte für die Frauen nicht nur für diese selbst, sondern für die Arbeiterbewegung überhaupt und für den Klassenkampf zukommt. Soll die Frau als Mitstreiterin neben ihrem Manne in dem Kampfe zur Befreiung der Menschheit stehen, soll sie als Mutter der kommenden Generation ihre Kinder zu Trägern der Zukunft erziehen, so müssen wir sie sozialistisch schulen. Man fonnte es den Frauen ansehen, daß ihnen der Redner aus dem Herzen sprach. In diesem Winter sollen an jedem ersten Mittwoch im Monat in Kassel Frauenabende stattfinden. Wir versprechen uns von ihnen einen guten, dauernden Erfolg.
Theodor Bömelburg . Der Tod hat am 17. Offober den schweren Verlust besiegelt, den die sozialistische Arbeiterbewegung schon seit langen Monaten durch das unheilbare Nervenleiden unseres Genossen Bömelburg erlitten hat. Mit ihm haben wir einen unserer Besten begraben: einen unermüdlichen Arbeiter und Stämpfer, einen hervorragenden, flugen gewerkschaftlichen Organi sator und Führer, einen Mann von hohem Streben und lauterem Charakter. Bömelburg war 1862 in dem Dörfchen Westönnen bei Soest geboren, ein echter Sohn der roten westfälischen Erde, zäh und treu und ein lebendiges Beispiel der Kräfte, die der Sozialismus bei jenen weckt und entwickelt, die auf der Schattenseite der bürgerlichen Welt geboren werden. In rastlosem Bildungsdrang an sich selbst arbeitend, schuf er sich bald in der gewerkschaftlichen und politischen Bewegung seines Lebens Werk. Hier wie da hat er von der Pike auf gedient und ist zu den höchsten Ehrenposten emporgestiegen. Er war Vorsitzender des Maurerverbandes und seit dessen Verschmelzung mit der Organisation der Bauhilfsarbeiter zu dem Bauarbeiterverband Vorsitzender dieser Vereinigung beruflicher Streitkräfte. Von 1903 bis 1911 vertrat er den Wahlkreis Dortmund im Reichstag. Als Mann der Praxis war er von der Überzeugung durchdrungen, daß Partei und Gewerkschaften eins sind". Wer seine Schlußrede des Gewerkschaftskon= greffes zu Stuttgart gehört hat, wo er dieses Wort prägte, dem wird der Eindruck unvergeßlich sein. Ein grausames Leiden sette mit dem Herbst 1910 seinem Wirken ein Ziel, das unauslöschliche Spuren in der Geschichte der deutschen Gewerkschaften hinterlassen hat. Dankbar wird das Proletariat allezeit dessen gedenken, was dieser Aufrechte ihm gegeben hat.
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Politische Rundschau.