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Die Gleichheit

diese konsequente Auffassung auch im demokratischen" Süddeutsch­ land   unter den Frauenrechtlerinnen Gegnerinnen und laue Freun­dinnen besitzt. Ganz besonders war es Frau Nägeli- Mainz  , die den Standpunkt der anderen" verteidigte, daß das Wahlrecht nicht auf demokratischer, sondern nur auf frauenrechtlerischer Grundlage zu fordern sei. Dort, wo ein beschränktes Männerwahl­recht bestehe, hätten die Frauenrechtlerinnen sich mit der Forderung eines beschränkten Wahlrechtes zu begnügen. Frau Wolf­Arndt, Frau Seeler, Frau Levysohn, Frau Perlen, Frau Adele Schreiber   und andere Kongreßteilnehmerinnen wendeten sich scharf gegen die Vorstöße, das Verbandsprogramm reaktionärer oder auch nur verblümter zu gestalten. Mit einerseits und andererseits suchte Frau Voß- 3ieb zu vermitteln. Sie wollte den§ 3 erhalten wissen, predigte aber gleichzeitig Rücksicht und Wertschätzung für gemäßigte und konservative Frauenorgani= sationen. Da sich die Damen über die gegensätzliche Prinzipien­frage" nicht einig werden konnten, wurde zur Lösung des Kon­fliftes eine fünfgliederige Kommission eingesetzt, die schließlich fol­gende Resolution vorlegte: Der Frauenstimmrechtskongreß Mün­ chen   1912 erklärt, daß er fest gewillt ist, an dem Prinzip des Wahl­rechtes für alle Frauen, das heißt des allgemeinen, gleichen, ge­heimen und direkten Wahlrechtes festzuhalten. Je energischer und wirksamer das Ziel des allgemeinen Frauenstimmrechtes verfolgt wird, um so mehr ist dem Vorwurf einer bestimmten Parteipolitik der Boden entzogen. Die Formel des vollen Staatsbürgerrechtes würde der Bewegung ihre Wucht, ihre Geschlossenheit und ihre Klarheit rauben." Die Resolution wurde fast einstimmig ange= nommen. Der Kongreß hörte noch ein Referat von Frau Adele Schreiber   über Kinderelend und Frauenstimm recht", an das sich eine lebhafte Debatte über Rassenhygiene knüpfte. Er forderte für weibliche Angestellte im Staatsdienst für gleiche Leistung mit den Männern auch gleichen Lohn, die Ge­legenheit gleichwertiger Berufsausbildung für Mädchen und Kna­ben, die Errichtung öffentlicher Waschhäuser durch die Kommunen und den Erlaß von Gesezen gegen die Tierquälerei. Er erhob Pro­test dagegen, daß an der neuen städtischen Mädchenschule zu. Mün­ chen   fast ausschließlich männliche Lehrkräfte angestellt worden sind. Im Anschluß an den Kongreß fand eine öffentliche Agitation 3- versammlung statt, in der Frau Voß- Bieß die Le= bensmittelteuerung behandelte und die erste Landtags= abgeordnete in   Böhmen, Frau Vikova- Kuneticzka, cine Ansprache hielt, die die Notwendigkeit des Zusammenstehens der tschechischen und   deutschen Abgeordneten im Kampfe gegen die reaktionäre Regierung und die reaktionären Großgrundbesitzer betonte. Ihre Ausführungen fanden begeisterte Zustimmung. Eine Rundfahrt durch die Straßen   Münchens sollte ebenfalls der Agi­tation dienen. Die 18 blumengeschmückten Landauer des Zuges trugen Stimmrechtsplakate. Ob die Veranstaltung ihren Zweck er­füllt hat, darüber gehen die Meinungen auseinander.

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Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo, rückwärts, rückwärts, stolzer Cid, das scheint nun auch die Losung des Deutschen Ver­bandes für Frauenstimmrecht werden zu wollen. Kürz­lich hat in   Weimar cine Sitzung des Beirats cine Art erweiterter Vorstand dieser Organisation stattgefunden. Dabei sind die Meinungen heftig aufeinandergeprallt, ob§ 3 des Ver­bandsstatuts unverändert beibehalten oder aber anders formuliert werden soll. In diesem Paragraphen erklärt sich bekanntlich der Verband für das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahl­recht. Er wird schon längst mit scheelen Augen von allen Frauen­rechtlerinnen betrachtet, die nur Damenrecht, nicht Volksrecht er­streben, wie von jenen, die gern auch die konservativen Frauen in dem bunten Ringelreihen der allgemeinen Schwesternschaft" tan­zen sehen möchten. Nun soll der Beirat in   Weimar beschlossen haben, der nächstjährigen Generalversammlung des Verbandes eine Abänderung des Paragraphen zu empfehlen. Die Damen wol­len ihn nicht offen kurzerhand streichen, wohl aber ihm eine Fas­sung geben, an der die gemäßigten Gemüter keinen Anstoß neh­men. Merkwürdigerweise ist aus den Kreisen des Beirats bis jetzt wohl allerhand Erklärungs- und Entschuldigungsgestammel ver­öffentlicht worden, aber nicht der klipp und klare Text des abzu­ändernden Paragraphen. Das wäre doch das einfachste und selbst= verständliche Mittel, allen etwaigen Falschmeldungen und Deu­tungen einen Riegel vorzuschieben. Jedenfalls gibt die Zeitungs­nachricht zu denken, daß der Beschluß des Beirats Frau Cauer und Frau   Breitscheid dazu bestimmt habe, auszuscheiden". Wobei es nicht klar ist, ob die beiden aus dem Vorstand be= ziehungsweise dem Beirat oder dem Verband überhaupt ausge= treten sind. Wenn die Nachricht stimmt, so redet sie ganze Bände von dem kompromißsüchtigen und reaktionären Geist, der im Ver­

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band zu triumphieren beginnt. Man denke: Frau Cauer zieht sich zurück, die zu den Gründerinnen der Organisation gehörte, die ihr jahrelang ihre besten Kräfte, ihr Herzblut in rastloser, auf­opfernder Arbeit gegeben hat. Die neueste Nummer der Frauen­bewegung" bringt weder einen Bericht über die Sitzung des Bei­rats noch eine Erklärung Frau Cauers. Wir deuten das als einen att rücksichtsvoller Noblesse, die nicht anklagen will. Der Be­schluß des Beirats erhält übrigens dadurch einen eigentümlichen Beigeschmack, daß an ihm jedenfalls aktiv oder passiv Frauenrecht­Terinnen beteiligt sein müssen darunter Frl. Augspurg

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die soeben in   München den Rütlischwur des Festhaltens an dem § 3 und den offener, ehrlicher Politik geleistet hatten. Wie doch die meisten frauenrechtlerischen Händchen schwanken, wenn es das Banner demokratischen Prinzips poranzutragen gilt.

Acht weibliche Kandidaten für das Parlament des Staates  Kalifornien stehen im Felde. Sieben davon sind Sozialistinnen Für das Franenwahlrecht in   China werben die Frauen dört eifrigst. Sie wollen einen chinesischen Nationalbund für das Frauen stimmrecht gründen mit Zweigvereinen in allen großen Städten.

Verschiedenes.

In den Fürsorgeaustalten für schulentlassene Mädchen foll weitergeprügelt werden. Das Berliner Tageblatt" schreibt: Ein Erlaß des Ministers des Innern und des Kultusministers, der sich mit dem Fürsorgewesen beschäftigt, erregt zurzeit den lebhaftesten Unwillen der beteiligten Kreise, insbesondere der Gerichts- und Gefängnisärzte. Dieser Grlaß regelt" unter anderem auch das Züchtigungsrecht der Hausväter in Fürsorgeanstalten und hält die förperliche Büchtigung schulentlassener Mäd= chen seitens der Anstalt sorgane ohne zuziehung cines Arztes für zulässig. Einem solchen Erlaẞ kann, wie in Ärztekreisen hervorgehoben wird, nicht scharf genug entgegenge­treten werden. Eine Züchtigung der Mädchen, namentlich in der Pubertätszeit, die noch dazu von unsachverständigen Hausvätern oder gar deren Gehilfen ohne sachverständige Heranziehung eines Arztes ausgeübt werden darf, kann zu dauernden schweren Schäden nicht allein in förperlicher Beziehung führen."

Wir sind gegen jede körperliche Züchtigung sei es schulpflich= tiger, sei es schulentlassener Kinder, sei es mit oder ohne Zuziehung eines Arztes. Jedoch wenn die staatliche Erziehungsweisheit ohne Prügel nicht auszukommen glaubt, so ist die Zuziehung eines Arztes eine selbstverständliche und auch eine rechtliche Pflicht. Denn durch sie kann immerhin die unmittelbare körperliche Gefährdung des mishandelten Kindes vermindert werden, wenn sie auch nicht die schweren Schäden und Gefahren abwenden kann, die jede kör­perliche Züchtigung in sich schließt. Doch die Verbrechen in der Blomschen Wildnis und in der Hölle von Mieltschin haben das Gewissen der Regierenden in Preußen nicht geweckt. Freilich sind cs auch nicht ihre Kinder, die in solchen Anstalten die Opfer der Fürsorge werden könnten. Diese Opfer stellen die Not und in ihrem Gefolge die körperliche und geistige Entartung der Nichtbesitzenden. Allerdings gibt es auch in besseren Kreisen geistig minderwertige Kinder, aber diese können in Privatanstalten sachverständiger Gr­ziehung unter ärztlicher Leitung übergeben werden. Der Klassen­gegensatz spielt auch in der traurigen Welt der Minderwertigen, Idioten und Wahnsinnigen eine Rolle.

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Wir empfehlen in einfacher, guter Ausstattung

Einbanddecken zur Gleichheit

Jahrgang 1911/1912

a. Die Decke für das Hauptblatt und die Beilage ,, Für unsere Mütter und Hausfrauen". b. Die Decke für die Kinderbeilage. Preis zusammen 1 Mark.

Bei direkter Zusendung 30 Pf. mehr für Porto. Titelblatt und Inhaltsverzeichnis werden den Decken unentgeltlich beigegeben. Bestellungen nehmen die Austrägerinnen der Gleichheit

entgegen.

Vorrätig sind noch die Einbanddecken zu den Jahrgängen 1908/1909, 1909/1910, 1910/1911. Preis je 1 Mart. Expedition der Gleichheit,   Stuttgart, Furtbachstraße 12. 800800800

Verantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet   Stuttgart.

Drud und Verlag von J. H. W. Dieg Nachf. G.m.b.8. in   Stuttgart.