Nr. 4
Die Gleichheit
Welche großen Nachteile die Arbeiter und Arbeiterinnen durch ihre beflagenswerte Saumseligkeit bei Wahlen zu sozialpolitischen Störperschaften erleiden können, lehrt eine Krankenkassen= vertreterwahl in 3eik. Dort waren von Tausenden von Wählern ganze 19 Mitglieder der freien Gewerkschaften erschienen. 22 Unorganisierte und Gelbe überstimmten sie und sicherten sich ihren Einfluß, obgleich die ganze Gesellschaft kaum mehr Mitglieder in ihren Vereinigungen zählt. Das ist nicht nur eine bittere Lehre für unsere Organisierten, sondern es bleibt im höchsten Grade bedauerlich und beschämend, daß unter ihnen so wenig Verständnis für die Wichtigkeit solcher sozialpolitischer Wahlen vorhanden ist. Die Wahl der Vertreter der Krankenkassen ist mit entscheidend dafür, wie groß innerhalb des gesetzlichen Rahmens die Fürsorge ist, die den Mitgliedern zuteil werden muß. Diesen WahTen fernzubleiben, läuft darauf hinaus, die eigenen Interessen preiszugeben.
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Aus der Textilarbeiterbewegung. Zurzeit wird in allen Algitationsbezirken des Deutschen Textilarbeiterverbandes eine planmäßige Werbearbeit zur Gewinnung neuer Mitglieder einsetzen. Für alle unsere Mitglieder ist es von der größten Bedeutung, daß diese Arbeit von Erfolg gekrönt wird. Davon, daß große Scharen neuer Stampfgenossen gewonnen werden, hängt für die Organisation in vielen Fällen die Möglichkeit ab, für die Tertilproletarier Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen durchzuseßen. In so manchem größeren Gebiet der Textilindustrie bilden die organisierten Textilarbeiter erst einen Vortrupp, der bis jetzt noch zu schwach für Lohnbewegungen war. Um so notwendiger ist es, diesem durch die Agitationsarbeit die Kräfte zuzuführen zum erfolgreichen Ringen mit der Macht der Unternehmer. Nach der Betriebszählung von 1907 waren, wenn die Betriebsinhaber und die Jugendlichen unter 16 Jahren abgerechnet werden, in Deutschland rund 850 000 organi sationsfähige Textilarbeiter und-arbeiterinnen vorhanden. Am Schlusse des dritten Vierteljahrs 1912 zählte man 185800 organisierte Tertilarbeiter, davon entfielen auf den Deutschen Textil arbeiterverband allein 139800, Also nahezu vier Fünftel der Textilarbeiterschaft steht noch außerhalb der Organisation. Soweit der Deutsche Textilarbeiterverband in Frage kommt, stellt sich das Verhältnis in den einzelnen Landesteilen folgendermaßen:
schweig und Hansestädte
ringische Staaten, Anhalt
Beide Reuß
Königreich Sachsen
Bayern, rechtsrheinisch.
10138 18173
Drgani fations fähige
Organi fierte
63463 16269 62055 7910
35446 199 790
36946 22 608
230441 54472
51206 94455
5636 7482 55 664
8721
4456 5311
Die Aufstellung zeigt, daß in diesen zehn größeren Bezirken im Durchschnitt erst 16 Prozent der Textilarbeiter in unserem Verband organisiert sind. Die Bezirke Schlesien , Rheinland , Provinz Sachsen , Württemberg und Elsaß bleiben hinter dem Durchschnitt zurück. Im Bezirk Rheinland- Westfalen wird zwar die Zahl der Organisierten durch 30000„ Christliche" vermehrt, trotzdem finden wir dort noch gegen 150000 organisationsfähige Textilarbeiter, von denen ungeachtet aller konfessionellen Verhetzung bei rühriger Arbeit zweifellos ein sehr großer Teil für uns gewonnen werden fann. Von den übrigen Landesteilen weisen die beiden Reuß mit 33 Prozent Organisierten das beste Verhältnis auf, aber auch da und in allen übrigen Bezirken ist noch viel zu bessern.
Die gegentvärtige Werbearbeit wird in den meisten Bezirken als Hausagitation betrieben. Die jüngste Vergangenheit hat eine Erscheinung gezeigt. Wenn nicht große wirtschaftliche Stämpfe die Arbeiterschaft aufwühlen, so zeitigt die gewerkschaftliche Versamm fungsagitation nicht die erhofften Erfolge. Die Massen bleiben aus. Sier muß das Wort gelten:„ Wenn der Berg nicht zu Mohammed ommen will, muß Mohammed zum Berge gehen." Die ängstlichen, ileingläubigen oder gleichgültigen Arbeitsbrüder und-schwestern, die zurzeit noch den auftlärenden Versammlungen fernbleiben, müssen in Hause aufgesucht werden. Die Hausagitation stellt ganz befumite Anforderungen an diejenigen, die sie in die Hand nehmen wollen. Sie müssen vor allem mit Zielen und Wegen der Organisation vertraut sein, sie müssen ihr inneres Leben kennen. Zur rechten
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Zeit hat der Hauptvorstand des Verbandes drei kleinere Broschüren herausgegeben, die als Agitationsmaterial zur Verbreitung gelangen. Unter dem Titel:„ Bist du zufrieden?",„ Warum kannst du nicht zufrieden sein?"," Welchen Nugen bietet der Deutsche Tertilarbeiterverband?" wendet sich darin eine Kollegin an ihre Arbeitsbrüder und schwestern und zeigt ihnen, wie unhaltbar und verbesserungsbedürftig ihre heutige Lage ist und durch welche Mittel sie gebessert werden kann. Bei dieser Agitationsarbeit rechnen wir bestimmt auf die tätige Mitwirkung aller unserer weiblichen Mitglieder. Gerade die große Masse der gleichgültigen Arbeitsschwestern gilt es aufzurütteln und der Organisation zuzuführen, und da wiegt das Wort sehr viel, das die Frau zur Frau spricht. Allen unseren Genossinnen, die sich an der Agitation beteiligen wollen, empfehlen wir auf das dringendste, die obenerwähnten Schriftchen vor der Verteilung selbst erst recht aufmerksam durchzulesen. Die kleinen Hefte geben ihnen Waffen, so manchen Einwand gegen den Verband zurückzuschlagen. Frauen und Mädchen: Vor die Front! sk.
Aus der Holzarbeiterbewegung. Der Deutsche Holzarbeiterverband entfaltet zurzeit eine außergewöhnliche Agitation, um die noch vorhandenen Lücken in der Organisation für die bevorstehende große Tarifbewegung rechtzeitig zu schließen. In den legten Wochen ist ein besonderes Werbeflugblatt in allen in Betracht kommenden Orten verbreitet worden. Dem folgen nun in der Zeit vom 15. November bis 1. Dezember überall öffentliche Holzarbeiterversammlungen, in denen auswärtige Redner über„ Die Kriegsvorbereitungen der Unternehmerverbände für das Kampfjahr 1913" sprechen werden. Am 15. November ist bekanntlich der Kündigungstermin für die große Vertragsgruppe vom Jahre 1910. Bei der ungeheuren Bedeutung dieser nächstjährigen Tarifbewegung gegen 50000 Personen werden an ihr beteiligt sein darf man erwarten, daß überall sowohl die Arbeiterinnen der Holzindustrie wie auch die Frauen der Holzarbeiter an diesen Versammlungen in Masse teilnehmen.
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Genossenschaftliche Rundschau.
fk.
Die deutsche Konsumvereinsbewegung, die der Zentralverband repräsentiert, steht seit einigen Jahren im Zeichen der Konzentration. Wir haben es hier mit einer neuen Entwicklungsstufe der modernen Konsumvereinsorganisation zu tun, die begründet ist in deren wachsender Größe und Bedeutung. In den großen Städten und Industriezentren, wo die Bewegung überhaupt neueren Datums ist, so im Norden und Rheinland- Westfalen , hat sie von vornherein mit möglichst starker Zentralisation eingesetzt: statt vieler kleiner Vereine in den einzelnen Orten ein großer Verein für viele Drte eines wirtschaftlich zusammengehörigen Bezirkes! In den Landesteilen aber, wo die Arbeiterkonsumvereine älter sind, wie in Sachsen und Thüringen , teilweise auch in Süddeutschland , dort hat sich die Bewegung anders entwickelt. Das Gebiet eines Konsumvereins deckte sich meistens mit den lokalen Grenzen des Ortes. Zur Zeit der Entstehung hatte man das Wesen der Arbeitergenossenschaften, ihre Tendenzen und Entwicklungsmöglichkeiten noch nicht erkannt, die organisierten Arbeiter selbst standen ihnen recht fühl gegenüber. Wenn man zu der Zeit, vor 25 bis 30 Jahren, mit einigen Dugend Mitgliedern anfangen und sich schwer und mühsam emporarbeiten mußte, so beginnt man heute mit Tausenden. Der Boden ist nun in Arbeiterkreisen gut vorbereitet, und die Bewegung macht besonders in der letzten Zeit riesige, geradezu sprunghafte Fortschritte. Ein typisches Bild der Konzentration der Bewegung älteren Stils bietet der Dresdener Bezirk. In der Stadt Dresden standen bisher vier Arbeiterkonsumvereine, die alle vor etiva 25 Jahren gegründet worden sind; für das Stadtgebiet natürlich nur einer, die anderen drei für größere Vororte. Inzwischen sind die letzteren mit der Stadt längst eins geworden. Seit Jahren bemühte man sich deshalb, auch die vier Konsumvereine zu einem zu vereinigen. Für drei ist das nun erreicht, die Konsumvereine Vorwärts, Löbtau und Striesen haben sich am 30. Juni 1912 verschmolzen; die Bieschener Genossenschaft war leider noch nicht dazu zu bewegen. Ein großes Riesenunternehmen ist damit entstanden, das besonders auch wegen seiner räumlichen Ausdehnung Beachtung verdient. Die drei Vereine haben den Namen des größten beibehalten: Vorwärts. Am 30. Juni 1912 zählte diese Genossenschaft 56 857 Mitglieder, und sie hatte im letzten Geschäftsjahr einen Ulmsatz von rund 21 Millionen Mark. Nur zwei Konsumvereine in Deutschland erzielten größere Umsäße: der bürgerliche Breslauer Verein und die Genossenschaft Leipzig - Plagwiz. Und ebenfalls nur zwei übertreffen den Vorwärts in der Mitgliederzahl: Breslau und die„ Produktion" in Hamburg , die nur 16 Millionen Mart unsegte, weil 38 Prozent ihrer Mitglieder nicht in ihrer Genossenschaft kauften! Der Berliner Konsumverein hatte fast die gleiche