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Die Gleichheit

Jm Leipziger Buchhandel ist es zu einer Aussperrung der Martthelfer gekommen. Die Buchhandlungsmarkthelfer standen in einer Lohnbewegung, die zu keinem Abschluß kommen konnte, weil die Unternehmer gar zu geringe Zugeständnisse machten. Die Markt­helfer wollten das Gewerbegericht zur Entscheidung anrufen, die Buchhändler aber verfügten kurzerhand die Aussperrung. 500 bis 600 Mann sind davon betroffen, darunter Leute, die schon 25 Jahre und länger in ihrer Stellung sich befanden.

Jm Buchdruckgewerbe hatten schon lange einige außenstehende Scharfmacher wider die gefährliche Tarifgemeinschaft gehegt. Nun ist gegen sie eine kleine Unternehmerorganisation vorgegangen, die unter der Leitung eines Pastors steht und im Buchdruckgewerbe völlig einflußlos ist. Diese Vereinigung hat an den Reichskanzler und die Ministerien der Bundesstaaten eine Eingabe gerichtet, in der der Tarifgemeinschaft gesetzwidrige Beschränkung der Koalitions­freiheit, Förderung sozialdemokratischer Bestrebungen und anderes mehr vorgeworfen wird. Das Tarifamt, zusammengesetzt aus Unter­nehmern und Arbeitern, hat sofort mit einer Gegeneingabe geant­wortet, die die scharfmacherischen Hirngespinste an der Hand von Tat­sachen widerlegt. Das Scharfmacherverbändchen zählt 180 Mitglieder; von 9500 Buchdruckereibesigern gehören 8051 der Tarifgemeinschaft an. Eine Konferenz in der Konfektionsindustrie beschäftigte sich mit der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen und dem weiteren Ausbau des Tarifwesens. Es werden heute schon 11691 Arbeiter und 7722 Arbeiterinnen zu tariflichen Bedingungen in der Herren­tonfektion beschäftigt. Das ist zwar ein guter Fortschritt, befriedigt aber keineswegs angesichts der großen Zahl der in diesem Gewerbe­zweig Beschäftigten. In der Damenschneiderei und Damenkonfektion sind die Arbeiter gut organisiert und auch meistens zu tariflichen Löhnen beschäftigt, während die Organisation und in der Folge auch die Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen sehr zu wünschen übrig lassen. Die Konferenz beschloß, der weiteren Ausdehnung der Heim­und Akkordarbeit entgegenzuwirken und die Einführung einheitlicher Lohnbücher zu verlangen. Seit dem großen Streit im Jahre 1896 find die Arbeitsverhältnisse nicht besser geworden, eher schlechter. Die Heimarbeit ist immer noch stark vertreten. Und die Berliner Bewegung im vorigeit Jahre führte zu feinem Ergebnis, das die Arbeiter und Arbeiterinnen befriedigen konnte. Schuld daran trug die Uneinigkeit der Zwischenmeister und die nicht genügend erstarkte Organisation der Arbeiter und Arbeiterinnen. Was die Berliner Fabritanten den Beschäftigten in der Damenkonfettion angeboten haben, erklärte die Konferenz, sei so unzureichend, daß es abgelehnt werden müsse. Die Konferenz fordert daher alle Arbeiter und Ar­beiterinnen und auch die Ortsverwaltungen zu energischer Agitation auf, um die Organisation zu stärken und dann zum Teil betriebs­weise die Forderungen durchzusetzen.

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Aus der Textilarbeiterbewegung. In der Treibriemen­fabrik von Scholz- Hamburg war es der Organisation gelungen, festen Fuß zu fassen. Die bei dieser Fabrik beschäftigten 100 Ar­beiter und 208 Arbeiterinnen schlossen sich dem Textilarbeiterverband an und kamen überein, Forderungen auf Herabsezung der Ar­beitszeit und Erhöhung der Löhne einzureichen. Die Arbeits­zeit betrug bisher für Männer 60 Stunden und für Frauen 58 Stunden wöchentlich. Sobald die Firma von dem Anschluß der Arbeiter an den Verband Kenntnis erhalten hatte, versuchte sie der Organisation den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Ar­beitszeit wurde auf 55 Stunden wöchentlich herabgesetzt, ebenso wurde eine bisher gezahlte Teuerungszulage auf den Grundlohn aufgerechnet, und zwar sollten diese Bestimmungen am 1. November in Kraft treten. Die Arbeiter gaben sich damit vorläufig zufrieden und sahen von der Einreichung ihrer Forderungen ab. Während so die Firma den Arbeitern entgegenzukommen schien, rüstete sie zu­gleich mit allen Mitteln zu einem Kampf gegen die gehaßte Drga­nisation. Gegen 60 Matrazen wurden in den Betrieb geschafft, da= mit Rausreißer dort nächtigen fonnten. Durch Anschlag gab die Firma bekannt, daß dies mit Genehmigung der Polizei ge­schehen dürfe; für 40 Pfennige im Tag sollte den Arbeitswilligen kräftiges Essen verabreicht werden. Die Firma traf diese Maß­nahmen zu einer Zeit, wo die Arbeiter gar keine Forderungen an sie gestellt, sondern erklärt hatten, daß sie mit den gemachten Zu­geständnissen zufrieden seien. Es sollte eben planmäßig ein Konflikt mit der Organisation vom Zaune gebrochen werden. Seit Mitte Oftober patroullierten ständig 4 Schuyleute vor dem Betriebe. Woche für Woche wurden Vertrauensleute entlassen. Verhandlungen waren ergebnislos. Am 31. Oktober unternahm die Firma einen größeren Schlag und entließ sämtliche 38 Vertrauensleute, Männer und Frauen. Das schlug dem Faß den Boden aus. Die Arbeiter­schaft nahm den von der Firma provozierten Stampf auf, und von 308 Beschäftigten legten 248 die Arbeit nieder. Bemerkenswert ist,

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daß die heilige Hermandad schon in Friedenszeiten 14 Tage ehe die Firma den Kampf heraufbeschwor ihr eine Ehrenwache stellte. Als die Verbandsleitung sich nach der Ursache der polizei­lichen Maßnahme erkundigte, erfuhr sie so nebenbei, daß diese ge­troffen sei, weil nach einer eingegangenen Anzeige die Arbeiter im Betriebe aufgewiegelt" wären. Die Republik Hamburg muß viel überflüssige Beamte haben, um auf eine haltlose Anzeige hin einem Privatunternehmer wochenlang 4 Beamte zur Verfügung stellen zu können. Oder kommt man dem Inhaber so entgegen, weil er Re­serveoffizier ist? Wie so mancher andere Unternehmer wird sich auch Herr Scholz damit abfinden müssen, daß die Arbeiter und Arbeite­rinnen von heute keine willenlose Hunde" mehr sind, die ihren Lebenszweck darin erblicken, für fremden Reichtum zu schanzen. Die bei ihm Beschäftigten verlangen vor allem Respektierung ihres sk. Soalitionsrechts!

Arbeitslosenzählung im Deutschen Textilarbeiterverband. Die Oktoberzählung ergab 716 Arbeitslose, darunter 223 Arbeite­rinnen. Im Vormonat waren 654, im Oktober des Vorjahrs 737 Beschäftigungslose verzeichnet worden. Am gleichen Tage wurden als auf der Reise befindlich gemeldet 119 arbeitslose Mitglieder, darunter 9 weibliche; im Vormonat waren es 162, im Oktober des Vorjahres 128. Die Oftoberzählung erfaßte 140 799 gleich 99,2 Pro­zent der Mitglieder. 20 Filialen mit 1179 Mitgliedern haben sich nicht an der Zählung beteiligt. Die Zahl der Verbandsmitglieder betrug 88050 männliche und 53928 weibliche, zusammen 141978; sk. im Vormonat waren es 139742.

Aus der Holzarbeiterbewegung. In der Holzindustrie ist ant 15. November die Entscheidung über den Umfang der nächst= jährigen Tarifbewegung gefallen. Von seiten der Arbeiter­organisationen sind die Verträge in einigen Orten nicht gefündigt worden, so daß in diesen die geltenden Verträge stillschweigend ein Jahr weiter laufen konnten. Jedoch die Arbeitgeberorganisationen überreichten ihrerseits die Kündigung in allen Orten. Da es nur Sinn hat, den Ablauf eine Tarifvertrags herbeizuführen, wenn die Folge davon eine Verbesserung sein soll, werden sich die Arbeiter natürlich gern mit dieser jezigen Situation abfinden.

Die paritätischen Arbeitsnachweise in der Holzindustrie, neun an der Zahl, haben jetzt einen weiteren Schritt unternommen, um Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt besser als bisher miteinander in Einklang zu bringen. Seit dem 1. November wer­den allwöchentlich die Vermittlungs- und Arbeitslosenzahlen der Arbeitsnachweise in Berlin , Bremen , Breslau , Eilenburg , Forst, Hamburg , Hannover , Herford und Lübeck nach Branchen geordnet gleichlautend in den Verbandsorganen der Ar­beiter wie der Arbeitgeber veröffentlicht. Da an diesen Orten die Arbeiter der Tarifvertragsbranchen fast ausschließlich nur durch die genannten Nachweise vermittelt werden, vermögen diese Berichte jeweils eine gute übersicht über den Stand der Arbeitslosigkeit zu geben. Die große Bedeutung der paritätischen Nachweise in der Holzindustrie beweist folgende Tatsache: Während die Zahl der im Deutschen Holzarbeiterverband am letzten Oktober gemeldeten Ar­beitslosen insgesamt 5709 betrug, berichteten diese Nachweise allein über 2635 Arbeitslose, also die Hälfte davon. Mit der Ausbreitung der paritätischen Form des Arbeitsnachweises wird diese wöchent liche Berichterstattung noch umfassender werden und dann Wert­volles zur Regulierung des Arbeitsmarktes leisten können. Vor allen Dingen wird sie die heutige Überflutung der Großstädte inner­halb gewisser Grenzen einschränken können.

Notizenteil.

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.

fk.

I. K. Die österreichischen Genosfinnen und der nächste Frauen­tag. Anläßlich des Parteitages der deutschen Sozialdemo fratie in Osterreich , der vom 31. Oftober bis 4. November in Wien stattfand, veranlaßte das Frauenreichskomitee eine Besprechung mit den Genossien, die aus den Provinzen anwesend waren, einzuberufen. Einmütig wurde der Wunsch geäußert, den Frauentag nie mehr später als im März zu veranstalten, und man einigte sich für 1913 auf den 9. oder 16. März. Die endgültige Festlegung kann erst erfolgen, nach­dem mit der Wiener Organisationsleitung Rücksprache genommen worden ist, wann im nächsten März die Demonstration am Grabe der Opfer vom Jahre 1848 stattfindet, damit nicht beide Veran­staltungen auf einen Tag fallen. Allseitig wurde der Wunsch geäußert, um des demonstrativen und internationalen Charakters willen den Frauentag wieder gleichzeitig mit den deutschen Genossinnen abzuhalten, und es soll darüber rechtzeitig verhandelt werden. Auch die Heraus­gabe der Frauenwahlrechtszeitung wurde wieder beschlossen.