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Die Gleichheit

Aussperrung wurde vermieden. In den Betrieben der sächsisch­thüringischen Färbertonvention ist die Aussper­rung jetzt aber dennoch zur Tatsache geworden. Die Konvention hat freilich den Anlaß dazu vom Zaune gebrochen. In der Färberei von Fierenkranz& Ghret in Glauchau waren über­stunden zu arbeiten. Von 17 Borappreturarbeitern bekamen 8 für die Überstunde 35 Pf. und 9 Arbeiter 40 Pf. Die ersteren 8 verlangten ebenfalls 40 Pf. Das wurde ihnen verweigert. Entweder für 35 Pf. Überstunden arbeiten hieß es oder Entlassung. Die 8 Arbeiter zogen die Entlassung vor. Die übrigen 9 Arbeiter verweigerten nun ebenfalls die Überstunden und wurden gleichfalls entlassen. So weit, so gut. Die Arbeiter verlangten für ihre Arbeitskraft einen Preis, den der Unternehmer nicht glaubte zahlen zu können und infolgedessen er den Arbeitsvertrag durch Entlassung der betref= fenden Arbeiter löste. Ein Vorkommnis im gewerblichen Arbeits­verhältnis, wie es jährlich tausendfach sich ereignet und dem sonst keine große Bedeutung beigemessen wird. Anders die Färberkon­vention! Diese wollte den Konflikt! Troßdem die Firma die Leute entlassen hatte, verlangte die Konvention, daß die selben 17 Ar­beiter zu den bisherigen Löhnen in ihr altes Arbeitsverhältnis zurückkehren sollten, andernfalls alle der Unternehmerorganisation angehörenden Betriebe am 27. November geschlossen würden. Die 17 Arbeiter lehnten das Ansinnen ab. Darauf erfolgte nachstehende Kriegserklärung der Färberkonvention:

Eine Lohndifferenz, die dem Uneingeweihten geringfügig er scheinen mag, bietet uns Veranlassung zu der folgenschweren Ent­schließung, die Aussperrung unserer sämtlichen Arbeiter anzukün­digen. Sieben Vorappreturarbeiter der Firma Fierenkranz& Ehret in Glauchau haben sich geweigert, die Überstunden zu dem für die betreffenden Arbeiter( die den niedrigsten Lohnfaz beziehen) fest­gesetzten Tarif von 35 Pf. pro Überstunde zu leisten und haben 40 f. pro Überstunde gefordert. Wegen dieser Verweigerung der Überstunden sind jene sieben Arbeiter entlassen worden. Nunmehr haben sich die anderen sozialdemokratisch organisierten Vorappre­turarbeiter, die 40 Pf. Überstundenlohn beziehen, mit den Ent­lassenen solidarisch erklärt und die Leistung von Überstunden über­Haupt verweigert. Deshalb sind auch diese Arbeiter entlassen wor­den. Aus diesem Grunde wird von dem Deutschen Textilarbeiter­verband über die, Firma Fierenkranz& Ehret die Sperre ver­hängt. Der sozialdemokratische Textilarbeiterverband hat schon längst aus Stassenrücksichten die Taktik der Inszenierung größerer Streifs unterlassen. Schon seit Jahren werden wir durch kleine Lohnbewegungen in der unerträglichsten Weise beunruhigt. Bald in diesem, bald in jenem Betrieb macht eine kleine Gruppe von Arbeitern Lohnforderungen geltend und macht von deren Bewilli­gung die Weiterarbeit abhängig. Diese fleine Gruppe ist aus­nahmslos in der Lage, den ganzen Organismus des betreffenden Betriebs lahmzulegen. Man nimmt eben ein Rädchen aus der Ma­schine, um diese zum Stillstand zu bringen. Wird die betreffende Forderung bewilligt, dann wird sie von den Arbeitern der anderen Sonventionsbetriebe gleichfalls eingereicht, und es bleibt uns dann nichts weiter übrig, als auf der ganzen Linie zu bewilligen. Jeder Verständige weiß, daß es nicht bloß von unserem guten Willen, von unserer Gutmütigkeit abhängt, ob wir Arbeiterforderungen bewilligen oder nicht. Wir haben im August und September dieses Jahres durch die Einführung der 58stündigen Arbeitswoche und durch Lohnerhöhungen unseren Arbeitern Konzessionen gemacht, an denen wir schwerer zu tragen haben, als wir damals zu über­sehen vermochten. Wir können die Mindestlöhne für die Über­stunden, die jedem Betrieb ohnehin verlustbringend sind, die wir nicht vermeiden können, weil wir ein Saisongeschäft haben und von der unregelmäßigen Zuteilung der Ausrüstungsaufträge abhängig sind, nicht mehr erhöhen. Die Arbeiterführer versteifen sich darauf, daß in beiden Meeraner Betrieben und in einem Greizer Betrieb schon 40 Pf. für die Überstunden gezahlt werden. Wir haben diese Ausnahmen, die zu einer Zeit eingeführt worden waren, als unser Busammenschluß einmal eine Trübung erfahren hatte, bestchen fajjen. Nunmehr ist das Maß der fortgesetzten Beunruhigung un­jerer Betriebe, unter der auch unsere Auftraggeber zu leiden haben, voll. Wenn wir unser Konventionsmitglied schüßen wollen, so gibt c3 feinen anderen Weg, als zur Aussperrung zu schreiten. Wir sind zum äußersten Durchhalten entschlossen, da wir unsere Nach niebigkeit nicht länger mißbrauchen lassen können. Greiz , 23. November 1912,

Konvention sächsisch- thüringischer Färbereien." Die Färberkonvention ist nervös geworden, weil der Deutsche Textilarbeiterverband die Sperre über den Betrieb von Fieren­frank& Ehret verhängt hat. Bei einer so rigorosen Gutlassung von Arbeitern, wie sie die gesperrte Firma vorgenommen hat, war das

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aber nicht nur das gute Recht, sondern geradezu die Pflicht einer Arbeiterorganisation. Von der Aussperrung werden betroffen die Orte Gera , Glauchau , Greiz , Meerane , Mohls= dorf, Mylau , Neßschkau, Reichenbach i. V. und Weida mit 29 Betrieben und ungefähr 8000 Beschäftigten. Am 27. und 28. November haben in diesen Orten überfüllte Versamm­lungen der Färbereiarbeiter stattgefunden. In allen Versamm­lungen wurde das Treiben der Konvention" gegeißelt. An die Nichtorganisierten erging der Ruf, dem Verband beizutreten, und es wurde ihnen Unterstützung für den Kampf zugesichert. Werden die Färbereiarbeiter dem Rufe folgen? Wir hoffen es. Die scharf­macherischen Bestrebungen der Unternehmer müssen ihnen die Augen öffnen. Wenn die Färbereiarbeiter auch jetzt die Stunde nicht verstehen, wenn sie auch jezt noch glauben, ohne Organisation auskommen zu können, dann ist ihnen in absehbarer Zeit über­sk. haupt nicht zu helfen.

Genossenschaftliche Rundschau.

Am 25. November fand in Hamburg ein außerordent licher Genossenschaftstag des Zentralverbandes deut­ scher Konsumbereine statt, der sich mit wichtigen Änderungen im Organisationswesen zu befassen hatte. Die Grundsätze dafür hatte schon der letzte ordentliche Genossenschaftstag in Berlin beschlossen. Nun galt es, die neuen Formen durch Ergänzung und wesentliche Veränderung des Statuts des Zentralverbandes zu schaffen. Die Tagung hatte ein Vorspiel, zu dem der Generalsekretär Kauf­ mann die Veranlassung gegeben hatte. Dieser hatte einer bc= kannten sozialdemokratischen Kongreßkorrespondenz auf das Er­suchen nach einer Eintrittskarte mitgeteilt, daß die Verhandlungen nicht öffentlich wären und auch die Presse nicht zugc= Tassen werden würde. Der Vorwärts" hatte ob dieses sonder­baren Verfahrens gegenüber der Parteipresse Lärm gemacht und dabei auch gerügt, daß die Verlagsanstalt des Zentralverbandes Mitglied des arbeiterfeindlichen Buchdruckervereins( Unternehmer­verband) ist. Der betreffende Artifel hat in Hamburg derb ins Kon­tor geschlagen. Vorstand und Ausschuß des Zentralverbandes beschäf­tigten sich kurz vor dem Genossenschaftstag mit der Sache, und in ihren Namen gab Lorenz- Hamburg, Mitglied des Ausschusses, die Erklärung ab, daß ein Mißverständnis vorliege und daß grund­sählich beschlossen worden sei, in Zukunft alle Genossenschaftstage öffentlich abzuhalten, wie es ja auch bisher der Brauch war. Um aber den Rückzug zu decken, regte man sich mehr als nötig über die Form des Vorwärts" artifels auf. Das Mißverständnis" stellte Lorenz so dar, daß man, da die Presse nicht eingeladen worden wäre, auch die Vertreter von Korrespondenzen nicht habe zulassen dürfen. Der Kongreß sei auch nicht so wichtig, daß die Presse zugegen fein müsse. Diese rührende Fürsorge für die Presse ist überflüssig; man kann es ihr in Hamburg ruhig selbst überlassen, ob sie be­richten will oder nicht. Das wurde denn auch mit aller Schärfe ausgesprochen, und von Dresdener Vertretern wurde beantragt, formell die Öffentlichkeit für den außerordentlichen Genossenschafts­tag herzustellen. Da aber die Leitung erklärte, daß die Tagung sowieso öffentlich sei, wurde der Antrag zurückgezogen. Jetzt licz man einen Berichterstatter des Hamburger Echo" holen, den man furz zuvor am Eingang erst abgewiesen hatte! Die Debatte über dieses Vorspiel dauerte anderthalb Stunden, und das Ergebnis war eine faftige Blamage für die Leitung des Zentralverbandes. Daran ändert auch der giftgeschwollene Artikel eines Herrn Kesch nichts, der in Nr. 48 der Konsumgenossenschaftlichen Rundschau" gegen den Vorwärts" losgelassen wird. Sonderbar muß die Auf­fassung berühren, daß wichtige Vorgänge im Organisationsleben der Konsumvereine fein weiteres öffentliches Interesse hätten. Sind denn die anderthalb Millionen Mitglieder der Konsumber­cine nicht wert, durch die Tagespresse darüber unterrichtet zu werden?

Auch der Verlauf des außerordentlichen Genossenschaftstags zeigte, daß die Erledigung der Tagesordnung keineswegs als eine rein for­male Angelegenheit angesehen wurde, wie man es sich in der Lei­tung des Zentralverbandes wohl gedacht und gewünscht hatte. Es gab vielmehr lebhafte Debatten, wie sie seit Gründung des Zen­tralverbandes noch kein Genossenschaftstag hatte. Um einige Ab­änderungsanträge wurde leidenschaftlich gestritten, und es kam un­verkennbar eine scharfe Opposition gegen allzugroße Autokratic in der Verwaltung zum Ausdruck. So wollten verschiedene An­träge mit dem System des Stimmrechtes der Vereine brechen, das bei der wachsenden Größe der Bewegung zu ganz un­haltbaren Verhältnissen und zu cinem schweren Unrecht gegen die großen Bereine führt. Jezt hat der kleinste Verein mit einigen