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Die Gleichheit

der Arbeiterinnen waren dabei vertreten und was weit wich­tiger ist auch sämtliche politischen Parteien. Während des ber­floffenen Jahres haben sich nämlich im Staate New York sämtliche politischen Parteien zugunsten des Frauenstimmrechts erklärt. So befand sich denn auch William Sulzer , der neu erwählte Gouverneur dieses Staates, in den Reihen der Mar­schierenden. Künstlerisch gestaltete symbolische Gruppen auf Wagen verliehen dem Zuge ein feierliches Gepräge. Die Länder, in denen die Geschlechter jetzt politisch gleichberechtigt sind, wurden im Zuge bildlich dargestellt, die zehn Staaten unserer Union durch weiß gekleidete Frauen in römischen Wagen, die europäi­ schen und australischen durch Männer und Frauen in National­tracht, mit den Fahnen und Wappen ihrer Heimat. Zwei Chinesinnen in farbenreichem Kostüm mahnten daran, daß selbst in der jungen chinesischen Republik Frauen mehr politische Rechte haben als im Staate New York . Auch die sozialistische Partei der Stadt New York war offiziell an der Demonstration beteiligt, und über 2000 Männer und Frauen marschierten mit ihrer Gruppe. Turch die roten Banner und die sozialistischen Inschriften der Transparente wie durch ihre roten Schärpen unterschieden sich die Demonstranten dieser Gruppe von allen anderen Teilnehmern. Auch eine Schar sozialistischer Kinder marschierte mit der Gruppe. Sie trugen ein mit roten Schleifen und Bändern geschmücktes Transparent mit der Inschrift: Der Sozialismus sagt uns: Hinaus aus Fabriken und Werkstätten! Hinein in die Schul­häuser und auf die Spielpläte! Genosse Russell, kürzlich Kandidat unserer Partei für das Gouvernement des Staates New York , führte die sozialistische Gruppe. Auf dem Union Square, wo sich der Zug auflöste, hielten die Sozialisten mehrere große Versammlungen ab, in denen tüchtige Redner und Redne­rinnen im sozialistischen Sinne und besonders im Namen der ar­beitenden Frauen das Stimmrecht forderten. Der New York Call", unser tägliches Organ in englischer Sprache, hatte au der Veranstaltung eine Spezialnummer herausgegeben. Den Sozia­listen wurde durch diese Demonstration eine vorzügliche Gelegen­heit zur Agitation geboten, und wir haben sie gründlich aus­genußt. Meta 2. Stern, New York .

I. K. Einführung des Frauenstimmrechts in vier weiteren Staaten der nordamerikanischen Union . Die Sache des Frauen­rechts kann einen guten Erfolg verzeichnen. Vier weitere Staaten der Union führen das volle, unbeschränkte Stimmrecht für alle weiblichen Bürger ein: nämlich Arizona , Kansas , Mi­ chigan und Oregon . In diesen Staaten nahmen die gesetz­gebenden Körperschaften bereits im vorigen Frühjahr oder Winter Gefeßentwürfe an, durch die die Konstitutionen behufs Einfüh rung des Frauenstimmrechts abgeändert werden sollten. Die Frage mußte daraufhin noch den Wählern zur Urabstimmung vorgelegt werden, und es ist ein erfreuliches Zeichen des Fort­schritts, daß die Reform in allen vier Staaten mit starken Mehrheiten zur Annahme gelangte. Wisconsin ist der einzige Staat, in dem die vorliegende Verfassungsänderung zu­gunsten des Frauenstimmrechts in der Urabstimmung niedergestimmt wurde. Hier wird die Agitation für das Bürgerrecht der Frau sofort wieder einsetzen und hoffentlich nicht ergebnislos bleiben. In allen Staaten, wo die Frage des Frauenstimmrechts zur Ent­scheidung stand, haben unsere Genossen und Genofsinnen eifrig für die Sache des weiblichen Geschlechts agitiert. Sozialistische Redner und Rednerinnen wirkten überall, und sozialistische Flug­schriften, die die Frauenfrage behandelten, wurden in Tausenden von Exemplaren verbreitet. Einige bürgerliche Frauenrechtle­rinnen ließen sozialistische Flugschriften sogar unmittelbar von der nationalen Geschäftsstelle unserer Partei in Chicago kommen. Die sozialistische Presse ist selbstverständlich überall mit ganzer Kraft für die Einführung des Frauenstimmrechts eingetreten. Die nächste Aufgabe der Sozialistischen Partei wird nun sein, in jenen 10 Staaten, in denen das weibliche Geschlecht volles Bürger­recht errungen hat, eine viel regere Agitation als bisher unter den Frauen des arbeitenden Volkes zu betreiben. Die politische Befreiung der Frau in allen Staaten der Union ist nur noch eine Frage der Zeit, es gilt die Proletarierin zum Kampfe für ihre ökonomische, ihre volle soziale Befreiung zu rufen und zu schulen. Meta L. Stern, New York . Wir fügen dieser Korrespondenz die Namen der sechs anderen Staaten hinzu, in denen gleiches politisches Recht für beide Ge­schlechter besteht. Das Frauenwahlrecht wurde 1869 in Wyoming eingeführt, 1893 in Colorado , 1896 in Utah und in Idaho , 1910 in Washington und 1911 in Californien .

Vom Kampfe der englischen Suffragetten. Die Taktik der Propaganda der Tat, wie sie von den Suffragetten durch Scheiben­

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zertrümmern, Berprügelung von Polizisten und Gewalttätigkeiten gegen Minister befolgt wird, hat bis jetzt der Frauenstimmrechts­sache keine Erfolge gebracht. Im Gegenteil: sie hat ihr manches Wohl­wollen entfremdet, und Zersplitterung in die Reihen der kämpfenden Frauenrechtlerinnen selbst getragen. So haben sich Herr und Frau Pethick- Lawrence zurückgezogen, weil sie die beliebten Methoden des Kampfes nicht mehr zu billigen vermochten. Mit den beiden haben die Suffragetten außerordentlich rührige und opferfreudige Freunde des Frauenstimmrechts verloren. Wirksamer als alle Rüpe­leien dürfte sich der große Propagandamarsch erweisen, den die Suffragetten von Edinburg nach London unternommen haben. Sein Zweck war, die Bewohner des Landes über das Frauenstimm­recht aufzuffären. Die Suffragetten haben die 640 Kilometer lange Wegstrecke zu Fuß in fünf Wochen zurückgelegt, jede Gelegenheit be­nugend, um ihrer Forderung Anhänger zu werben. Am 16. November marschierten sie in geschlossenem Zuge in London ein, alle in dunkel­braunen Khaki gekleidet, mit papageigrünen Bändern am Arme und einer gleichfarbigen Rosette am Schlapphut. Ein Musikkorps schritt an der Spitze des Zuges, dem ein großes Vanner mit entsprechen­den Inschriften vorangetragen wurde. Die Suffragetten fahen frisch und munter aus, sie marschierten nach dem Trafalgar Square , wo sich zu ihrem Empfang eine stattliche Menge angesammelt hatte, der sie von den erstaunlichen Erfolgen ihres mit männlicher Energie durchgeführten Marsches" berichteten. Weitere Demonstrationen sollen diesem Meeting folgen. S

Das Frauenwahlrecht vor dem Parteitag der Schweizerischen Sozialdemokratie. Der lezte Kongreß der schweizerischen sozial­demokratischen Arbeiterpartei, der zu Neuenburg getagt hat, be= handelte eingehend die Frage des Frauenwahlrechts. Das treffliche Referat dazu erstattete unsere Genossin Walter, Arbeiterinnen­sekretärin. Das Hauptergebnis war die Annahme einer Resolution, die die Partei zum energischen Eintreten für das volle Bürgerrecht der Frau verpflichtet und erklärt, daß Genosfinnen nicht Mitglieder bürgerlicher Frauenstimmrechtsvereine sein dürfen. Wir kommen auf die Verhandlungen noch zurück.

Die Frau in öffentlichen Alemtern.

15 Waisenpflegerinnen sollen nach einem Beschluß des Ma gistrats von Wilmersdorf dort eingestellt werden, ein Beweis, welch gute Erfahrungen man in anderen Berliner Vororten mit der Tätigkeit der Frauen auf kommunalem Gebiet gemacht hat.

Gegen die Ausübung der Anwaltspraxis durch Frauen in Italien hat sich der Oberste römische Gerichtshof erklärt. Er ver­warf das Ansuchen unserer Genoffin Labriola , sie als Rechts­anwalt vor Gericht zuzulassen. Damit hat ihre glänzend begonnene Anwaltstätigkeit, von der wir berichteten, ein rasches Ende gefunden.

Verschiedenes.

Ausgekochte Fischköpfe als Arbeiternahrung. An der Grenze des niederrheinischen Städtchens Wiesdorf erhebt sich die welt­bekannte Gifthütte, die Farbenfabrik vormals Bayer & Co., die über 5000 Arbeiter, darunter etwa 600 Arbeite­rinnen, beschäftigt. Diese Firma versteht es meisterhaft, durch sogenannte Wohlfahrtseinrichtungen ihre Arbeiterschaft geistig und wirtschaftlich zu fnebeln. Alle möglichen und unmöglichen Vereine sind da gegründet worden, etwa 24 an der Zahl, die in erster Linie dem Zwecke dienen, die Mitglieder geistig zu bevormunden. Diese sollen vor der Best der modernen Arbeiterbewegung geschüßt wer­den und sie sollen keine Zeit gewinnen, etwa an die notwendige Hebung ihrer Lebenshaltung zu denken. Wir finden für die Ar­beiterinnen, die im Farbenlager, in der Abteilung für pharma­zeutische Präparate, in der Klempnerei, der Buchbinderei, Buch­druckerei und der Weberei beschäftigt sind, Fabrikgesangverein, Schwimmverein, Frauenverein, Sparverein, die Mitgliedschaft bei diesem ist bis zum 21. Lebensjahr Zwang, außerdem noch sonstige Vereine, die alle die Absicht verfolgen, die Leute an den Betrieb zu fesseln. Durch die Abhängigkeit ihrer Eltern vom Betrieb sowie infolge Fehlens anderweitiger Arbeitsmöglichkeiten sind die ju­gendlichen Proletarierinnen Wiesdorfs gezwungen, ihre Arbeits­fraft in den Farbwerken ausbeuten zu lassen. Diese Zwangslage bedingt wiederum die niedrigen Löhne der Arbeiterinnen. Die Fabrikleitung mag nun erkannt haben, daß die Arbeiterinnen bei Löhnen von 9 bis 10 Mt. in der Woche besonders in der jetzigen Teuerungszeit kaum leistungsfähig bleiben können. In dieser Er­Kenntnis erhöhte sie nun nicht etwa die Löhne, die auch für die Arbeiter alles andere als ausreichend sind. Nein, fie ließ sich viel­mehr dazu herbei, den Töchtern der Gifthüttenproleten Kochkunst lehren zu lassen, und zwar eine Kochkunst, die es ihnen ermög­