Nr. 7

23. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen

Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder

Die Gleichbett erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Poft vierteljährlich obne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig.

Jahres- Abonnement 2,60 Mart.

Inhaltsverzeichnis.

Stuttgart  

25. Dezember 1912

Weihnacht. Von der Fabrifarbeit der Frauen in Preußen. Von R. K. H. Die Not unbemittelter Wöchnerinnen. Von-l.-e. Das Bürgerrecht der Frau in der Gemeinde. Von Paul Hirsch  . ( Schluß). Die Vertragsfündigung in der Holzindustrie. Von fk. Aus der Bewegung: Weibliche Delegierte zum Internationalen Sozia­listischen Kongreß zu Basel  . Von der Agitation. Aus den Organisationen. Jahresbericht der Genossinnen des fünften sächsischen Reichstagswahlkreises. Ferienwanderungen für Schul­tinder. Politische Rundschau. Von H. B. Gewerkschaftliche Rundschau. Aus der Textilarbeiterbewegung. Von sk. Zur Beendigung der Textilarbeiteraussperrung in Württemberg  . Von a. Arbeitslosenzählung im Deutschen   Textilarbeiterverband. Von sk. Aus der Textilindustrie. Von sk. Notizenteil: Dienstbotenfrage. Arbeitsbedingungen der Arbeite­rinnen. Frauenstimmrecht. Die Frau in öffentlichen Ämtern. Familienrecht. Verschiedenes. Literarisches.

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Weihnacht.

Begrüßt von Glockenschall, umflutet von Tannenduft, für viele von den teuersten Kindheitserinnerungen verklärt, ist Weihnachten gekommen. Als ein Symbol der Hoffnung haben die Völker dieses Fest durch die Jahrtausende ge­tragen. Den alten heidnischen Germanen bedeutete die Wintersonnenwende die Notwende, die lächelnde Hoffnung auf das Ende der linbill, mit der die Natur in der Zeit der furzen Lage, eisigen Fröste und dichten Nebel ihre Lebenshaltung bedrohte. Vom Himmel hoch, da jauchzte ihnen die Sonne zu: Und dräut der Winter noch so sehr mit grimmigen Gebärden, Und streut er Eis und Schnee einher, es muß doch Frühling werden!" Die Hoffnung auf eine Notwende liegt auch der lieblichen Legende zugrunde, die Jesus von Nazareth  , den Sohn und den überwinder der Armut, auf dem Stroh in Bethleheni geboren werden läßt. Die himmlischen Heerscharen sangen eine Heilsbotschaft, die ein Ende der übel verbieß, die in der Gesellschaft auf den Menschen lauern, die sein eigenes Werk sind oder genauer gesagt: die Frucht der Beziehungen der Menschen untereinander. Die Sonne brüderlichen Sin nes, ausgleichender göttlicher Gerechtigkeit sollte alle irdi­schen Nöte bannen. Das war des Evangeliums schlichter Kern, als es die Fischer, Zöllner und Sünder, die Armen an Gut und die Armen im Geiste ergriff, noch ehe daß es sich ganz mit dem Gehalt der ausklingenden griechisch- römi­schen Philosophie gesättigt hatte, noch ehe daß es zu Dogmen einer herrschenden Kirche erstarrt war. Es tröstete die Müh­seligen und Beladenen mit dem Spruch: Gott stöẞet die Ge­waltigen vom Stuhle und erhöhet die Niedrigen, die Hung­rigen fillet er mit Gütern und lässet die Reichen leer." Es predigte den Kampf als Wegbereiter der Brüderlichkeit; jeinem Stifter, dem Friedensfürsten, legt es das Wort in den Mund: Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert."

Jahrhunderte haben sich an Jahrhunderte gereiht, Welt­wenden sind eingetreten. Das gewaltige römische Reich sank in Trümmer, die feudale Gesellschaft blühte empor, welfte und wurde in den wichtigsten Kulturländern durch die bür­

Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit find zu richten an Frau Klara Zetkin  ( 3undel), Wilhelmshöhe, Vost Degerloch bei Stuttgart  . Die Erpedition befindet sich in Stuttgart  , Furtbach- Straße 12.

gerliche Ordnung abgelöst. Der Kapitalismus trägt unter ihr seine Fahnen triumphierend über den Erdball und re­volutioniert gesellschaftliche Zustände, die allem Wandel zu troßen schienen. Das Christentum ist die Herrschende Reli­gion bei den meisten zivilisierten Völkern, seine Moral soll ihre Lebensgestaltung bestimmen. Die von den Massen heiß ersehnte große Notwende ruht noch in der Zeiten Schoß.

Und doch sind Umwälzungen vor sich gegangen, wie sie die kühnsten Geister der Vergangenheit kaum zu träumen ge­wagt hätten, Umwälzungen, die die Bürgschaft für eine Er­lösung der Völker von den schlimmsten lastenden übeln in sich tragen. Der Mensch hat in der Natur sehen und ver­stehen gelernt, wo ihm früher eine Fülle dunkler Geheimnisse entgegenstarrte. Er kennt das Spiel gewaltiger Naturkräfte und die Gesetze, denen es gehorchen muß. Sein Wissen hat er der Arbeit für das weite Feld seiner Lebensfürsorge dienst­bar gemacht, und die gezähmten Naturmächte vertausend­fachen seine eigenen Kräfte, steigern märchenhaft, was er zu leisten vermag. Er kann den Ertrag seiner Felder erhöhen, fann mitten im Winter die Früchte des Sommers reifen und die Blumen des Südens blühen lassen, kann die Nachricht von Mißwachs in der einen Gegend mit der Schnelle des Blitzes über die Erde senden und aus ihren entferntesten Zonen binnen kurzer Zeit überfluß dahin leiten, wo der Mangel sein bleiches, abgezehrtes Haupt erhebt. In stei­gendem Maße ist der Mensch aus einem zitternden Sklaven der Natur zu ihrem gebietenden, genießenden Herrn ge­worden, der sich gegen ihre Baunen und Ungunst zu wehren und zu schützen vermag.

Mit seiner zunehmenden Unabhängigkeit von der Natur ist jedoch seine Abhängigkeit von der Gesellschaft größer und größer geworden. Und diese Abhängigkeit hat in der bür­gerlichen Ordnung einen früher unmöglichen Höhepunkt er­reicht. Je mächtiger und ertragreicher mit dem Aufkommen und Wachsen des Kapitalismus die Arbeitsmittel werden, je riesenhafter die sich unter seiner Kommandogewalt häufen­den Schäße, je ausgedehnter das Gebiet seines Waltens: eine um so vielfältigere und festere Verflechtung und Ver­fnotung erfahren die gesellschaftlichen Verhältnisse. Stei­gende Verwicklung und Verwirrung ist heute ihr Zeichen. Hinter dem Rücken der Menschen, ohne ihr Wissen und ihren Willen, ja gegen ihr Wünschen und Wollen setzen sich die Gebote der kapitalistischen   Wirtschaft mit ihren harten Fol­gen durch und lassen als bloßes Spiel launischen Zufalls ein Geschehen erscheinen, das strenge soziale Geseßmäßigkeit ist. Die einzelnen Menschen, Gruppen von Menschen scheinen zu schieben, während sie von unwiderstehlichen gesellschaftlichen Gewalten geschoben werden. Die Herrschaft über die ant Grunde der Gesellschaft wirkenden Produktivkräfte ist den Händen des Menschen entglitten, und dort, wo er leiten und regeln sollte, muß er die Produktivkräfte planlos, blird wiiten lassen wie elementare Naturereignisse.

Denn das Privateigentum an den Produktionsmitteln ver­wehrt brutal eine planmäßige, einheitliche, klare und über­

Obligator. Nebenorgan zum Textilarbeiter" für Frauen, die wie ihre Männer Mitglieder des Deutschen Textilarbeiter- n. Arbeit.cinnen- Verb.find.