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Die Gleichheit

milde, es kam vor, daß Betriebsleiter wegen Nachtbeschäfti­gung von Arbeiterinnen zu 3 und 5 Mr. Strafe verurteilt wurden." Die Feststellung, daß speziell Ziegeleien Ar­beiterinnen vorschriftswidrig beschäftigen, findet man in einer Reihe von Berichten. Arbeiterinnen ließ man Ziegel­steine auf Stoßkarren auf unbefestigtem Boden transpor­tieren. Wie man die Beamten betrügt und verhöhnt, schil­dert der Beamte von Arnsberg  : Es soll nicht selten vorkommen, daß der Beamte, ehe er die oft entlegenen Ar­beitsräume erreicht hat, durch ein verabredetes Zeichen an­gefündigt ist und die Räume entweder bereits verlassen findet oder die Flucht der Arbeiterinnen eben noch bemerkt. Auch werden Arbeiterinnen nach Schluß der gesetzlichen Ar­beitszeit in anderen Räumen zwecks Weiterbeschäftigung untergebracht." In einem Großbetrieb der Konfektion in Düsseldorf   waren die Arbeiterinnen um 8 Uhr abends wie gewöhnlich entlassen und um 9 Uhr wieder be­stellt zur Arbeit, um die ganze Nacht hindurch eilige Auf­träge zu erledigen. Mit Hilfe der Kriminalpolizei gelang es, die Zuwiderhandlung festzustellen. In dem Strafver­fahren wurde der Abteilungsführer zu 30 Mt. Geldstrafe verurteilt. Für skrupellosen Raubbau an der weiblichen Ar­beitskraft und bewußte Gesezesübertretung aus Gewinn­sucht 30 Mk. Geldstrafe, für ein Pfui, ehrlosen Streif­brechern im Kampfe für die eigene, bescheidene Eristenz ent­gegengeschleudert 7 Monate Gefängnis. Das ist Recht­sprechung in Deutschland  , das ist- Arbeiterschutz.

Teilweise herrschen auch in sittlicher und hygie nischer Beziehung geradezu grauenhafte Zustände. Der Beamte von Liegniz schildert folgende Idylle":" In einer größeren Ziegelei schliefen 5 galizische Ehepaare in einem gemeinschaftlichen Raume, in einem anderen schlief auch ein Ehepaar in dem Schlafsaal für die Arbeiterinnen, der Schlafsaal für die männlichen Galizier war von diesem nur durch eine undichte Bretterwand mit offenem Durch­gang getrennt." Aus Potsdam   wird berichtet: In einer Fabrik lagen die örtlichen Verhältnisse besonders ungünstig. Ter Abort für die Frauen lag am hinteren geschlossenen Ende eines längeren Ganges   mit mehreren Türen, die zu den Aborten der Männer führten. Da auf gütlichem Wege eine Änderung nicht zu erreichen war, mußte sie durch eine polizeiliche Verfügung auf Grund des§ 120 der Gewerbe­ordnung erzwungen werden." Im vorigen Berichtsjahr hatte der Beamte von Königsberg   hartnädige Erfran­fung der Poliererinnenin einer Leistenfabrik tonstatiert. Die Erkrankungen haben 1911 noch nicht abge­nommen, obwohl die Arbeiterinnen die ärztlichen Natschläge befolgen und sich vor und nach der Arbeit mit warmem Wasser waschen und Arme und Hände mit Lanolin ein­reiben. Die Mädchen versuchten auch aus Furcht vor Ent­laffung, der Firma ihre Erkrankung zu verheimlichen.

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Zahlreich erlitten Arbeiterinnen Unfälle; wie üblich, schiebt man oft ihnen selbst die Schuld dafür zu. So schreibt der Beamte von Königsberg  : Mehrfach wurde beob­achtet, daß Arbeiterinnen an Ziegeldruckpressen die üblichen Handabweiser außer acht ließen, beim Anlegen der Bogen seitlich zwischen Ziegel und Druckplatte griffen und sich durch diesen Leichtsinn auch Unfälle zuzogen." Daß Vertrautheit mit der Gefahr manchmal zu leichtsinniger Unachtsamkeit führen kann, beweist folgender Fall: In einer Schokoladen fabrik in Merseburg   begaben sich einige Arbeiterinnen während der Nachmittagspause entgegen einem Verbot statt in den Speiseraum in das Zuckerlager und ließen sich auf den dort in drei Lagen aufgestapelten Zuckersäcken nieder. Eines der Mädchen richtete sich auf der obersten Sacklage in ganzer Höhe auf, die unmittelbar unter der Decke des Nau­mes laufende Welle erfaßte sie an den Haarschleifen, wodurch das Haar aufgewickelt und mit der Kopfhaut abgerissen wurde. Anders stellt sich die Verantwortlichkeit für einen linfall dar, der sich bei der Bearbeitung von Papier mit benzinhaltigen Farben in einer Kartonnagefabrik

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im Bezirk Kassel   ereignete: Die Farbmischung mußte erwärmt und das die Mischung enthaltende Gefäß der Feuersgefahr wegen in ein Wasserbad gestellt werden, das wiederum durch Gasflammen angewärmt wurde. Nach längerem Gebrauch fing das Farbengemisch Feuer, wahr­scheinlich, weil mit der Zeit schwere Benzindämpfe nieder­gesunken waren und sich am brennenden Gase entzündet hatten. Das mit dem Auftragen der Farben beschäftigte Mädchen verlor die Fassung, nahm, um die Flamme zu löschen, das Gefäß mit der brennenden Mischung aus dem Wasserbad und ließ es fallen. Dabei ergriffen die Flammen die Kleider der Arbeiterin und verbrannten diese so erheb­lich, daß sie an den erlittenen Brandwunden nach einigen Tagen starb. Nunmehr, nachdem das Unglück geschehen war, wird zum Erwärmen der Mischung ein elektrischer Heiz­apparat verwendet. In einer Baumwollspinnerei im Kölner   Bezirk hatte ein Arbeiter die ihm zur Be­dienung übertragene Spinnmaschine( Selfaktor) nach dem Reinigen der Spindelleiste und des feststehenden Spulen­gatters in Gang gesetzt, während sich die mit dem Reinigen beschäftigte Aufsteckerin noch zwischen den genannten Ma­schinenteilen befand. Infolgedessen wurde die Arbeiterin totgequetscht. Aus den sehr mageren Berichten der könig­lichen Berginspektoren erfahren wir nur das Fol­gende: Von 502 Arbeiterinnen der Gruben im Bezirk. Nord Gleiwit erlitten 22 Unfälle, im Bezirk Süd­Beuthen, wo 1142 Arbeiterinnen beschäftigt waren, ver­zeichnete man 53 Verunglückte, 16 mehr als im Jahre vor­her. Im Bezirk Ost- Beuthen wurden 41 unfallver­letzte Frauen auf 644 Beschäftigte gezählt und im Bezirk Katto wig 61 bei 1171 Arbeiterinnen. Die Berichte in ihrer Gesamtheit liefern den Beweis, daß die Frauen von feinem Opfer verschont bleiben, das der Kapitalismus dem Lohnarbeiter auferlegt.

Viel würde zum Schuße der Arbeiterinnen gegen das Wüten der kapitalistischen   Profitgier gebessert, wenn endlich die Forderungen Berücksichtigung fänden, mehr weibliche Inspektoren anzustellen, die Befugnisse der Gewerbeaufsichts­beamten zu erweitern und Ärzte wie Männer und Frauen aus den Kreisen der Arbeiterschaft vollberechtigt bei der Fabrikinspektion zu verwenden. Allerdings, keine Reform kann das Wesen des Kapitalismus verändern, der not­wendige Ausbau der Gewerbeinspektion so wenig wie der ebenso dringliche weitere Arbeiterinnenschutz. Dagegen hilft nur die überwindung des Kapitalismus selbst durch den Klassenkampf des Proletariats, der eine sozialistische Ord­nung aufrichtet. Aber bis dieses Endziel den Arbeiterinnen ihre soziale Befreiung bringt, hat der nämliche Klassen­Kampf die Aufgabe, unablässig alle Reformen zu erstreben, die die Ausbeutung und Knechtung der Arbeiterinnen mil­R. K. II.

dern können.

Die Not unbemittelter Wöchnerinnen. Der Rückgang der Geburten in Deutschland   hat die kom­munalen Verwaltungen endlich veranlaßt, der Säuglings­sterblichkeit eine erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Es geht zwar schrecklich langsam vorwärts mit der Errichtung von Fürsorgestellen für Säuglinge und der Gewährung von Still­prämien, Mittel, die dem sozialen übel steuern sollen, aber immerhin entschließt man sich doch in vielen Gemeinden nach und nach zu bescheidenen Maßregeln. Reich und Bundes­staaten hingegen haben noch so gut wie gar nichts für die Wöchnerinnen und Säuglinge getan. Einer der schlimmste: Seiten des sozialen Elends, der Notlage armer Wöchne rinnen, hat man bisher überhaupt noch nicht genügend Bc­achtung geschenkt. Nur in ganz wenigen Großstädten ist man auf eine Fürsorge für unbemittelte Schwangere und Wöchr.rinnen bedacht gewesen. In diesen Fällen entsendet man Pflegerinnen, gewährt Stärkungsmittel oder verleiht Einrich;- tungsgegenstände für die Wochenstube. Im Statistischen Jahr­