Nr. 7

Die Gleichheit

In einer öffentlichen Frauenversammlung in Döbeln sprach Genossin Nemi- Berlin über Die Frauen im Kampfe gegen Teuerung, Hungersnot und Kriegsgefahr". Leider mußte die Versammlung in einem kleinen Saale stattfinden, so daß viele Frauen keinen Platz mehr fanden. In klarer Weise erläuterte die Rednerin, wie die große Masse des Volkes durch die Zölle aus­gewuchert werde zugunsten kleiner Schichten. Dieselben Schich­ten sind es auch, die zum Kriege hetzen, dessen Opfer wiederum Die Nichtbesitzenden in erster Linie zu tragen haben. Ganz be= sonders schwer leiden unter diesen Zuständen die proletarischen Frauen und Mütter, und sie müssen daher auch mitstreiten im Kampfe wider die kapitalistische Ausbeutungsordnung, der Quelle aller jener Übel. Es ist Pflicht aller proletarischen Frauen und Mädchen, den Reihen der Sozialdemokratie beizutreten und, so­weit sie erwerbstätig sind, sich auch der gewerkschaftlichen Orga­nisation anzuschließen. Ebenso müssen die Frauen sich in den Arbeitergenossenschaften betätigen. Nur durch festen Zusammen­schluß aller Ausgebeuteten können wir die Freiheit erringen. Die Worte der Rednerin gingen den Versammelten zu Herzen, und reicher Beifall lohnte sie. An der sich anschließenden regen Dis­fussion beteiligten sich die Genossinnen Drechsler, Schil= Ting und Spindler. Selma Spindler.

Aus den Organisationen. Die Genossinnen in Pforzheim er­weisen, wie wertvoll die Mitarbeit der Frauen in der politischen Organisation ist. Wenn die Mitgliedschaft des Pforzheimer so= zialdemokratischen Vereins in den letzten Wochen einen erfreu= lichen Zuwachs erhalten hat, so dürfen die Parteigenossinnen an diesem Erfolg einen beträchtlichen Anteil beanspruchen. Die Hausagitation, die an einigen Sonntagen des November von mehreren Frauen vorgenommen wurde, erweiterte die Mit­gliedschaft der Partei und mehrte die Zahl der Presseabonnenten. Bei der letzten Reichstagswahl mußte die Sozialdemokratie leider im Kreise Pforzheim schlechte Erfahrungen machen. Er wurde uns in der Blütezeit der badischen Großblockpolitik durch die schöne Seelenharmonie zwischen der konservativ- ultramontanen und der nationalliberal- freisinnigen Eidgenossenschaft entrissen wie alsdann der Karlsruher Nachbarkreis. Aber diese Erfahrung wirft revolutionierend unter den Arbeitern nach. Das um so nachhaltiger, als diese auch in ihren Bestrebungen nach tariflich geregelten Arbeitsbedingungen von dem Unternehmertum aller Richtungen schwer getäuscht worden sind. Diese Stimmung muß wenn richtig ausgenuit zur Belebung des Klassenkampf­

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geistes, zur Festigung und zur besseren Gestaltung der proleta­rischen Phalang beitragen. Erfreulicherweise lenkte diese Situa­tion die Aufmerksamkeit der Pforzheimer Genossen auch auf die Preßfrage. Bei der so scharfen Scheidung zwischen Bour­geoisie und Proletariat in Pforzheim verlangt die dortige sozial­demokratische Bewegung ein Organ, das der Wirklichkeit ent­sprechend den Gedanken des Klassenkampfes stark betont. Solange das Parteiblatt die Freie Presse" als Kopfblatt des Karlsruher Bolfsfreund" erscheint, bleibt dieses Bedürfnis unbefriedigt. Trotz der üblen Erfahrungen bei der Reichstagswahl wird die Haltung des politischen Teils im Volksfreund" von der Sorge um die Er­haltung und Erweiterung des Großblockgedankens beherrscht. Das eifrige Streben der Pforzheimer Parteigenossen geht daher dar­auf hin, ihr Organ selbständig zu machen. Die Genoffinnen dürfen in der Werbung von Abonnenten für die Freie Presse" nicht erlahmen. Jedes Hundert neuer Leser führt uns der Verwirklichung des Wunsches näher, bald ein selbständiges Parteiorgan am Orte zu haben. Mögen die sozialistischen Frauen daneben nicht unter­laffen, ihre Belehrung auch aus der Gleichheit" zu schöpfen, die dazu beigetragen hat, unsere Genofsinnen zu mustergültiger Agitation für die Gewinnung neuer Vereinsmitglieder zu bc­geistern.

W.

Jahresbericht der Genofsinnen des fünften sächsischen Reichs­tagswahlkreises. Wie früher, so hielten wir auch im vergangenen Tätigkeitsjahr allmonatlich Diskussionsabende ab. Int Juli und August 1911 fanden statt ihrer Wanderabende statt. An den beiden nächstfolgenden Diskussionsabenden beschäftigten wir uns mit der Tätigkeit der Kinderschuhkommission, des Jugendvereins und ähnlichen Fragen. Ferner besprachen wir, wie wir unter den weiblichen Parteimitgliedern für einen stärkeren Besuch der Diskussionsabende agitieren fönnten. Die folgenden Abende waren dann auch besser besucht; an ihnen be­handelten wir Die Stellung der Frau im öffentlichen Leben" und Teuerungspolitif, Reichstagswahlen und Frauen". In einer öffentlichen Frauenversammlung sprach Genossin Rühle über Die Frauen und die Reichstagswahlen". Jm Reichstagswahlkampf selbst leisteten die Genoffinnen, was ihnen

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nur Zeit und Kraft erlaubten. Ein humoristischer Unterhaltungs­abend im Februar bereitete den Frauen viel Freude. In einer Zusammenkunft berieten wir die Mittel und Wege, neue Mit­glieder zu werben. Wir planten vor allem eine Agitation unter den gewerkschaftlich organisierten Arbeiterinnen. Genofsinnen gin­gen in die Werkstattbesprechungen verschiedener Gewerkschaften und agitierten hier für den Beitritt zum sozialdemokratischen Verein. Leider zeigten nicht allzu viele Arbeiterinnen Lust, sich politisch zu organisieren. Immerhin haben wir bei dieser Agitation eine ganz nette Zahl neuer weiblicher Mitglieder gewonnen, und wir werden auch fernerhin eine solche Werbearbeit betreiben. Er­mähnt muß hier werden, daß die Besprechungen ganz jämmerlich besucht wurden, die wir eigens für die Verkäuferinnen der Konsumvereine veranstaltet hatten. Manche Genossin Hat die hierauf verwendete Mühe bedauert. Ein Vortrag der Ge= nossin Wack wit im. April über den Frauentag war wenigstens von einem Teile der Lagerarbeiterinnen der Konsumvereine be= sucht. Im Mai sprach Genossin Gradnauer über allgemeine Frauenfragen und behandelte dabei auch den bevorstehenden Frauentag. Der Frauentag selbst war wieder das größte Er­cignis des Jahres in der proletarischen Frauenbewegung. Es fanden zwei von Frauen überfüllte Versammlungen statt und i Anschluß daran Straßenkundgebungen. Zwölf Genossen und Ce­nofsinnen wurden aufgeschrieben und erhielten Strafmandate von je 50 Mk. Diese Ehrung durch die Behörden kann uns nur an­stacheln, nächstes Mal unseren Willen erst recht kundzutun. Im Juni fand ein Diskussionsabend über Die Wohnungsfrage" statt. Die leẞte Veranstaltung des Tätigkeitsjahrs war ein ge­selliges Beisammensein der Genossinnen in einem Gartenrestau­rant. Segensreiche Arbeit leisteten die Genossinnen in der Kinderschutz und in der Dienstboten tommission. Alle haben ihr Bestes getan, um die proletarische Frauenbewe­gung und die Sache des Sozialismus zu fördern. Leider hat auch in diesem Jahre der Tod uns so manche wackere Mitstreiterin entrissen. Ihr Andenken halten wir am schönsten in Ehren, wenn wir auch in Zukunft unsere ganze Kraft für das Werk einsetzen, dem sie mit so viel Opferfreudigkeit gedient haben.

Martha Kretschmar. Ferienwanderungen für Schulkinder. In diesem Jahre ver­anstalteten die Genossinnen von Köln- Kalf zum erstenmal Fc­rienwanderungen für die Schulkinder. Nach lebhaftem Meinungs­austausch war in unseren Leseabenden beschlossen worden, während der Ferien dreimal wöchentlich mit den Schulkindern ins Freie hinauszuziehen. Durch die Parteipreffe machten wir bekannt, daß wir mit den Kindern Spaziergänge und daran anschließend Spiele veranstalten wollten. Auf dem Sammelort trafen das erstemal 70 Kinder ein, mit Butterbrot und Kaffee versehen. Von einigen Genossinnen begleitet, zog die Schar um 22 Uhr nachmittags unter dem Gesang fröhlicher Wanderlieder nach dem nahe ge­legenen Gremwäldchen zur Spielwiese. Nachdem die Kinder sich ctwas ausgeruht und gestärkt hatten, entfaltete sich dort bald ein heiteres, lebhaftes Treiben. Es war eine Lust, zuzusehen, mit welcher Freude sich die Kleinen den verschiedenen anregenden Spie­len hingaben. Nachdem wir uns überzeugt hatten, daß keines der Kinder fehlte, marschierten wir dann gegen 62 Uhr nach Hause, wobei wieder fröhliche Lieder gesungen wurden. Unsere Veran­staltung fand großen Anklang bei der Arbeiterschaft. Zu jedem der folgenden Ausflüge stellten sich mehr Kinder ein. Und dies, obwohl uns das andauernd schlechte Ferienwetter gar nicht günstig waz. Zu diesem Erfolg mag auch die Agitation beigetragen haben, die die Kalfer Zentrumsgeistlichkeit, insbesondere der Herr Pfarrer Kastert, durch ihre Hezarbeit gegen unsere Ferienwanderungen sehr unfreiwillig, aber wirksam für uns trieb. Zu der Schlußwan­derung fanden sich beinahe 300 Kinder ein, kleine und große. Vom Marktplatz zog die muntere Schar in musterhaft geordnctem Zuge nach dem nahen Orte Höhenberg . Hier konnte man alsbald die er­zieherische Tätigkeit gewisser Kreise verspüren: ein Teil der Dorf­jugend hatte sich aufgestellt, um unseren Zug zu verhöhnen und mit Steinen zu bewerfen. Doch ließ sich unsere Jugend ihre Freude dadurch nicht trüben. Nachdem die Kinder sich an Kuchen und Milch gelabt hatten, die unentgeltlich verteilt wurden, wurden fröhliche Spiele veranstaltet. Gegen Abend erhielt jedes Kind eine Fackel, und bei hellem Lichterschein unter dem Gefang der frohen Kinder­stimmen wurde der Heimweg angetreten. An den Fenstern und in den Straßen standen viele Neugierige. Nachdem diese erfahren hatten, um was es sich handelte, hörte man allgemein das Lob der Frauen, die eine solche verdienstvolle Aufgabe übernommen hatten. Es sind die Proletarierkinder, das heißt gerade diejenigen Kinder, denen ein Ferienaufenthalt auf dem Lande am meisten