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Die Gleichheit

Bäcker und Konditoren mit erneuter Kraft aufgenommen worden. Der Verband veranstaltete in 230 Orten Versammlungen. Rund 18 000 Gehilfen stimmten in diesen der Petition an die ge­setzgebenden Körperschaften zu, die die gesetzliche Einführung des Ruhetages fordert. Die Bäckerinnung will eine Gegenpetition ein­reichen und hat ihren Syndikus mit der Ausarbeitung betraut. Die Horderung der Bäcker wird auch von bürgerlichen Kreisen unter­stützt. So verlangen Sozialpolitiker, ärzte und auch Gewerbe­inspektoren, daß schon mit Rücksicht auf das konsumierende Publi­kum dafür zu sorgen ist, daß die Hersteller eines der wichtigsten Nahrungsmittel nicht durch überlange Arbeitszeit allerlei Krank­heiten preisgegeben werden. Der Reichstag   hat in nächster Zeit über die Petition zu befinden.

Die Komödie einer Lohnbewegung hat der Christliche Bergarbeiterverband in Oberschlesien   aufgeführt. Cine Konferenz der Vertrauensleute des christlichen Gewerkver­cins dort hatte die Einleitung einer Lohnbewegung beschlossen. Der Bezirksleiter des christlichen Verbandes frug nun beim Berg­arbeiterverband an, wie er sich dazu stelle. Diefer antwortete mit der Rückfrage, ob der Gewerkverein auch bereit sei, nötigenfalls die äußersten Mittel anzuwenden, um den Forderungen Nachdruck zu geben. Der Bezirksleiter des christlichen Verbandes äußerte sich zu der Frage ausweichend. Weiter hatte der Bergarbeiterverband darauf aufmerksam gemacht, daß von den oberschlesischen Berg­arbeitern nur 20 Prozent organisiert seien und daß er es ab­lehnen müsse, sich etwa an einer Scheinaktion zu beteiligen, weil cine solche die Arbeiterinteressen und das Ansehen der Organi­sation schädigen würde. Nun veröffentlichte der christliche Verband den Schriftwechsel und erklärte, dem Bergarbeiterverband mangle der Mut zu einer Lohnbewegung. So tat dieselbe Gewerfvereins­leitung, die zum Streifbruch geblasen hatte, als beim letzten großen Kampfe der Ruhrbergknappen die Organisationsverhältnisse und die Wirtschaftslage dem energischen Vorgehen günstig waren. In Wirklichkeit hatte die Leitung der christlichen Bergarbeiterorgani­sation auch jetzt nicht die mindeste Neigung zu einer Lohnbewegung. Sie versuchte es nur mit einem Bluff für die Agitation, der aller= dings ohne Wirkung verpufft ist.

Um die Gelben steht es jämmerlich. In Augsburg  , der Wiege ihrer Bewegung, haben sie wieder eins aufs Dach bekommen. Für die Gewerbegerichtswahlen hatten sie ganz beson­dere Anstrengungen gemacht. Aus Essen kam eigens eine gelbe Leuchte. Der Herr sprach vor kaum 150 Reutchen, und nach kurzer Zeit hatte er auch diese bis auf ein Dußend zum Saale hinaus­geredet. Bei der Wahl zeigte sich die Wirkung: die Gelben nahmen um 884 Stimmen ab, die freien Gewerkschaften um 1504 Stimmen zu. Geht's so weiter, so werden die Unternehmer bald ihre offene Hand von ihren Lieblingen abziehen, denn sie verlangen für ihr gutes Geld gewinnbringende Arbeit.

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Aus der Textilarbeiterbewegung. Troßdem im allgemeinen die Lage in der Textilindustrie nicht sehr günstig ist, führen die Arbeiter den Kampf um bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen in tatkräftiger Weise. In letzter Zeit brachten sie wieder eine Reihe von Lohnbewegungen zum erfolgreichen Abschluß. In erster Linie sei hier das Erzgebirge   genannt. Im Jahre 1908, sperrten die erzgebirgischen Strumpfwarenfabrikanten nahezu 4000 organisierte Arbeiter aus, weil diese sich ziemlich be­deutende Lohnabzüge nicht gefallen lassen wollten. Der Kampf, der schon Ende 1907 eingesetzt hatte, wurde am 30. Juli 1908 nach siebenmonatiger Dauer beendet. Trotz heroischer Gegenwehr wur­den die Arbeiter in die Knie gezwungen. Der Kampf erforderte für Streifunterstüßung 476 448 Mf. und im Anschluß 333 000 Mark für Unterstüßung von Gemaßregelten. Diese riesige Summe zur Unterstützung der Gemaßregelten beleuchtet besser als Worte das Wüten der Unternehmer. Die Arbeiter mußten bei Wieder­aufnahme der Arbeit durch Unterschrift erklären, daß sie dem Deutschen   Tertilarbeiterverband nicht mehr angehörten. Hun­derte von organisierten, hochqualifizierten Arbeitern beugten sich dem Terror der Ausbeuter nicht; sie schüttelten den Staub der Heimat von den Füßen und gingen nach Amerika  , wo sie von der aufblühenden Strumpfindustrie mit offenen Armen empfangen wurden. Heute jedoch sind solche Machtgebote der Unternehmer wider die Organisation nur noch Zwirnsfäden, durch die sich kein aufgeklärter Arbeiter fesseln läßt. Heute gehören im Zentrum der erzgebirgischen Strumpfindustrie rund 6000 Arbeiter und Ar­beiterinnen dem Deutschen Textilarbeiterverband an. Der Zu­sammenschluß der Ausgebeuteten trägt seine Früchte. In Neu­tirchen gelang es bereits dieses Frühjahr in sieben Betrieben für 479 Beschäftigte die wöchentliche Lohusumme um insgesamt 795 Mk. zu erhöhen. Der Erfolg in Neukirchen zog weitere an

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anderen Orten nach sich. In Thalheim  , Gornsdorf  , Brünlos  , Dorfchemnih, Meiersdorf erhoben die Arbeiter Forderungen. Sie verlangten 10 Prozent Lohnerhöhung, Abschaffung des Nadelgeldes, freie Lieferung des Nähfadens für Näherinnen. Bei 21 Firmen wurden für 794 Arbeiter und 725 Arbeiterinnen Erhöhungen der Wochenlöhne um 1 Mt. bis 2,45 Mt. durchgesetzt. 600 Heimarbeiterinnen wurde cine Er­höhung ihres Wochenverdienstes um 50 Pf. zuteil. Außerdem wurde in mehreren Betrieben der Preis für die Nadeln herabgesetzt. Es war dies seit 1908 die erste größere Bewegung in diesen Orten. Die Arbeiter haben dabei gesehen, daß heute, wo sie organisiert sind, die Unternehmer nicht mehr allmächtig sind, und daß es der Organisation gelingt, den guten Geschäftsgang auszunuzen. Hält dieser in der Strumpfindustrie an, so werden auch Unternehmer, die sich heute noch sperren, sich zu Lohnzugeständnissen bequemen müssen. In Chemnih ist ebenfalls in der Strumpfindustrie cine Bewegung erfolgreich beendet worden. Die Bewegung er­streckte sich auf neun Betriebe mit 269 Arbeitern und 425 Ar­beiterinnen. Weitere 600 Arbeiterinnen mußten außer Betracht bleiben, da sie bis jetzt noch nicht die Notwendigkeit der Organi= sation erfaßt haben. Das Ergebnis der Chemnißer Bewegung besteht für 365 Beschäftigte in einer Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit um insgesamt 563 Stunden und in einer Erhöhung der Löhne für 448 Beschäftigte um zusammen 448 Mt. in der Woche. Außerdem wurden für 249 Arbeiter sonstige Verbesserungen durchgesetzt: Sonnabendmittag Schluß um 1 Uhr, Erhöhung der Stundenlöhne, bessere Licht- und Garderobeverhältnisse; in einigen Betrieben wurde das Nadelgeld abgeschafft. In Berga a. Elster crreichten in der Seidenweberei 100 Arbeiterinnen cine Lohnaufbesserung von je 1 Mt. und 171 Arbeiter von 1,70 Mt. wöchentlich. In GIsterberg wurde 80 Arbeitern eine Erhöhung des Wochenlohnes um je 1,20 Mf. zugestanden. In Barmen wurden in mehreren Betrieben Ferien eingeführt oder schon be­stehende Ferien erweitert. In Neudamm   mußten bei der vor­jährigen Bewegung die Färberei und Appretur= arbeiter sowie die Arbeiterinnen zurückstehen; jetzt sind durch das Vorgehen der Organisation auch für diese Arbeiterschichten die Löhne um 1 Mt. in der Woche erhöht worden. Ebenso wurde 40 Frauen, die als Halbtagarbeiterinnen beschäftigt sind, der Stundenlohn erhöht. Die Aussperrung der Färberei= arbeiter in Sachsen  - Thüringen  , über die wir in voriger Nummer berichteten, dauert fort. Bisher haben die Unter­Handlungen für die Arbeiter kein befriedigendes Ergebnis ge= sk. zeitigt.

Zur Beendigung der Textilarbeiteraussperrung in Würt­ temberg  . Mit der Textilarbeiteraussperrung, die nun ihr Ende gefunden hat, ist Württemberg   in die Reihe der Länder eingetreten, wo in der Tertilindustrie der Kampf einzelner Arbeitergruppen gegen einzelne Unternehmer ersetzt ist durch den Kampf der Unter­nehmerorganisation gegen die Arbeiterorganisation. Noch vor wenigen Jahren hatten die Unternehmer für den Deutschen Textilarbeiter­ verband   nur Spott und Hohn. In den letzten Jahren ist er jedoch so erstarkt, daß er den Scharfmachern in der Textilindustrie Respekt einflößt. Stein Mittel war ihnen zu schlecht, die aufstrebenden Ar­beitermassen niederzuhalten. Als Kniffe und Maßregelungen feinen Erfolg mehr hatten, glaubten die Herren durch eine Aussperrung der organisierten Arbeiterschaft ihr Ziel zu erreichen. Den will­fommenen Anlaß hierzu boten ihnen die Forderungen, die die 29 Spulerinnen und Rollerinnen bei der Firma W. Buzz& Söhne in Göppingen   erhoben. Diese verlangten eine Lohnerhöhung von etwa 85 Pf. in der Woche, nur den Lohn, der bei A. Gutmann am selben Orte bezahlt wurde. Die Unternehmer ließen auf die Höflich gehaltene Eingabe weder der Organisation, noch dem Arbeiter­ausschuß, noch den Arbeiterinnen selbst eine Antwort zukommen. Und das, obgleich manche von diesen schon bis zu zwanzig Jahren im Betrieb waren. Daraufhin reichten die Arbeiterinnen die Kün­digung ein. Schließlich bequemte sich die Firma dazu, mit dem Ar­beiterausschuß zu verhandeln. Ihre Zugeständnisse waren jedoch so gering, daß es zum Streif fam.

Als Gegenmaßregel beschlossen die Unternehmer, alle im Deutschen Tertilarbeiterverband Organisierten auszusperren, und zwar auch diejenigen, die erst nach Januar 1912 dem Verband beigetreten waren. Die Unorganisierten, die Harmonievereinler" bei A. Gut­mann, die Christen" und auch die Mitglieder des Fabritarbeiter­verbandes bei den Firmen Merkel und Kienlein in Eßlingen   und in der Heidenheimer   Kattummanufaktur durften weiterarbeiten. Die Christen" taten ein übriges und verkündeten in Wort und Schrift, daß die Forderungen der Stämpfenden zu hoch seien. Viele Unorgani­jierte in Göppingen   stellten sich dagegen auf Seite der Ausge­