112

Die Gleichheit

Die akademisch gebildeten Lehrer plätscherten vergnüglich in dem Entenpfüßlein der üblichen Plattheiten, hinter denen sich Vorurteil, Egoismus und Konkurrenzfurcht verbergen, und sie gingen in der echebenden Überzeugung heim, den Ozean bewegt zu haben. Die Nachtmüze würde diesen Herren besser anstehen als der Doktorhut.

Ein weiblicher Professor der Philosophie wird in den Ver­ einigten Staaten   an der Universität Lincoln   in Nebraska  Vorlesungen halten. Es ist dies Miß Winnifred Hyde, die im vorigen Jahre an der Universität Jena die Doktorwürde erworben hat.

Eine Konferenz weiblicher Polizeibeamter hat im Staate Oregon   der nordamerikanischen   Union   stattgefunden. Ort der Tagung war Portland  . Die Konferenz erörterte cin­gehend und ernsthaft Fragen der polizeilichen Verwaltung mit Bezug auf Frauen und Kinder. Sie faßte mehrere Beschlüsse dazu, die den städtischen Verwaltungen zur Berücksichtigung vorgelegt werden sollen. Diese Konferenz war unseres Wissens die erste ihrer Art.

Familienrecht.

#

Die Erforschung der Vaterschaft in Frankreich  . Der fran­ zösische   Senat hat endlich den Entwurf über die Nachforschung nach der Vaierschaft in der Fassung der Deputiertenkammer angenommen. Lange genug ist das Gesetz zwischen den beiden Kammern hin und her gewandert, endlich ist nun mit der Beschlußfassung des Senats die berüchtigte Bestimmung des Code Civil   aufgehoben, dieses Ilassischen Werkes des Bourgeoisgeistes, nach dem die Erforschung der Vaterschaft verboten war. Natürlich war es nicht eine sittliche Läute­rung der Bourgeoisie und ihrer Gesetzgeber, die diese Reform be­wirkt hat, sondern die Not der bürgerlichen Republik an Soldaten. Die Gestattung der Erforschung der Vaterschaft gehört zu den Mitteln, den fünstlichen Hemmungen der Volksvermehrung entgegenzu­wirken. Indes hat man, wie ich schon auseinandergesetzt habe, die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft nur für ganz bestimmte Fälle zugelassen. So wenn ein Zusammenleben der Eltern stattgefunden hat, wenn briefliche Beweise für den Geschlechtsverkehr vorliegen oder nachweisliche Verführung feststeht. Diese Einschränkung soll Er­pressungen" verhindern und dadurch der Befestigung der Familie" dienen, das heißt dem Interesse der besitzenden Familien. O. P.  

Verschiedenes.

Eine Weihnachtsausstellung für Arme. Ende November fand im Schlosse des nicht von Gottesgnaden thronenden Fürsten von Fürstenberg   eine Hochzeitsfeier statt. Die Tochter Lotti heiratete einen Österreicher vom historisch berüchtigten Namen Windischgrät. Der deutsche Kaiser kam im Ertrazug nach Donaueschingen  , der Papst sandte den göttlichen Segen. Der Bräutigam bringt Hunderte von Millionen, die Braut ebensoviel Mammon mit. Schon die Summen, die in den paar Festtagen verpraßt worden sind, wür­den zum Jahresunterhalt vieler Hunderte Arbeiterfamilien genügen. Das von der bürgerlichen Presse in eine untertänigst ersterbende Hof­begeisterung versetzte Wolf vergaß ganz, daß vor etwa einem Jahr­zehni der böhmische Erbe des badisch  - schwäbischen Fürstenberggutes zumeist durch Bauernlegen erworbenes Grundeigentum- von dem auf 430 Millionen Mark geschäßten Erbschaftsgut keine badische Erbschaftssteuer zahlen wollte. Ein verlorener Prozeß zwang die neuen Fürstenberger  , dem badischen Staate die geseßliche Steuer in zehn Jahresraten auszuzahlen.

Jezi ließ man das durch die Brot-, Kaffee-, Streichholz-, Fleisch­besteuerung zum Hungern verurteilte Volk scharenweise in das Schloß zu Donaueschingen   pilgern, um dort die Aussteuer der Braut anzu­gaffen. Die katholische Pfaffenpresse der Gegend lockte insbesondere die Frauen durch eine Reklame, die alle Kostbarkeiten der Braut­toilette und der Ausstattung schilderte. Die Blätter schwelgten förm­lich in der Beschreibung des Brautkleides aus mattschimmerndent, elfenbeinfarbenen Charmeuseatlas und kostbarsten Brüsseler Spizen, der vielen Gesellschafts- und Straßenkleider, Kunstwerken von Schneider­hand, Haus- und Sportskostümen und wertvollen Pelzen sowie Hand­und Fußbekleidung in ganz beträchtlichen Mengen". Bei der Wäsche­ausstattung bilden Linon- und Glasbattist den Grundstoff, Ma­deirastickerei, Valenciennes   und irische Spizen, vereinigen sich zu einem Aufpug von unvergleichlicher Zartheit".

Mögen die Frauen und Mädchen der unerhörten Pracht dieser Ausstellung gedenken, wenn sie vor ihrem Weihnachtstisch stehen. Ein Vergleich der wenigen Stleinigkeiten, die sich die Angehörigen einer Arbeiterfamilie schenken können, mit dem unschäzbaren über­sluß und Lurus dort, wird das denkende Volk an die Gerechtigkeit" der chriftlich- kapitalistischen Weltordnung mahnen.

mg.

Literarisches.

Nr. 7

Der Verlag der Leipziger Buchdruderei hat ein sehr gutes, fesselndes Buch herausgebracht: Johann Gottfried Seume  , Ausgewählte Werke", herausgegeben und eingeleitet von Wilhelm Hausenstein  . Preis 3,50 Mt. Die vorliegende Auswahl aus Seumes Schriften ist eine glückliche. Hier hat feines Verständnis für die reiche und starke Persönlichkeit des berühm­ten Spaziergängers nach Syrakus  " die Hand geführt und eine tüchtige Kenntnis der Zeitumstände, unter denen sie geworden ist. Dabei hatte der Herausgeber stets das vor Augen, was von da­mals weiterentwickelt in unsere Tage herüberreicht. Das Buch ist so nicht bloß geschichtlich wertvoll, sondern voll lebendigen Interesses. Ganz kommt dieser sein Vorzug für die meisten nur zur Geltung, wenn sie Hausensteins treffliche, tatsachenkundige Einleitung lesen, ehe sie Seume   selbst hören. Sie vermittelt ihnen die rechte Wertung für das tiefste Wesen dieses Mannes als eines politischen Charakters. In seinen kühnen Gedanken­flügen wie in seiner Gebundenheit zeigt sie Seume   als einen echten Sohn des deutschen   Bürgertums im Zeitalter der ratio­nalistischen Aufklärung, als es aus der feudalen Gesellschaft über die Schwelle zur kapitalistischen   Ordnung trat. An Seume   er­füllte sich der ganze Jammer seiner zeitgenössischen Klasse darin, daß er, dieser geborene Politiker, in dem alle Pulse tatverlangend flopfen, wohl zum politischen Denker und Charakter, aber nicht zum Manne der politischen Tat reifen konnte. Sein reiches, wirkungbegehrendes Leben verzehrte sich ohne festen, zielseßenden Mittelpunkt in Ruhelosigkeit auf einsamen Wegen, statt in seinen großen Kräften bewußt zusammengefaßt zu werden, um die Zu­stände zu gestalten. Aber wieviel innerer Reichtum in dieser Ruhelosigkeit und welche Charakterstärke auf den einsamen Wegen! Seume   ist Patriot", sein Patriotismus ist jedoch der des zornigen, leidenschaftlichen Anklägers der knechtenden Mächte, die das Vaterland plündern und schänden. In diesem Sinne ist er ein Vorläufer der vaterlandslosen" Sozialdemokratie, die zur Anklage noch den Kampf fügt. Jedenfalls hat die bürger­liche Welt kein Recht, zur hundertjährigen Feier von 1813 auch Seume   vor den schmutztriefenden Karren des byzantinischen Prozentpatriotismus zu spannen. Die Schriften dieses auf­rechten Mannes richten solches Beginnen. Wir empfehlen das in Leipzig   erschienene Buch eindringlich unseren Leserinnen wie be­sonders auch den Arbeiterbibliotheken.

Zum Volksbuch, das zumal in keinem Arbeiterheim fehlt, müßte der Noman werden: Die Kommune" von Paul und Viktor Margueritte. Ins Deutsche   übertragen von U. Fricke, mit Einleitung von Hermann Wendel  , Buch­handlung Volksstimme, Frankfurt   a. M. Hier ist ein unvergleichliches, fortwirkendes Stück Geschichte mit sicherer Hand künstlerisch gestaltet. Als Forscher haben die Brüder Mar­gueritte historische Dokumente und Tatsachen zusammengetragen, als Dichter umkleideten sie das trockene Material mit blühendem persönlichen Leben. Sie erscheinen dabei als besondere Meister in der Kunst, die Massenpsychologie der Pariser   proletarischen und fleinbürgerlichen Vorstadtbevölkerung zu erfassen und plastisch darzustellen, jener Bevölkerung, die revolutionär aus Tradition und heroisch aus Temperament ist. Die Verfasser haben crust­lich mit der Aufgabe gerungen, das gewaltige Leben der Pariser Kommune   in seinen Ursachen und seinen Wesenszügen vor­urteilsfrei zu schildern. Ihr Streben hat jedoch an ihrer bürger­lichen Auffassung seine Schranken gefunden. So haben sie weder unter der Oberfläche des großen geschichtlichen Geschehens dessen treibende Kräfte richtig erkannt, noch sind sie immer den Men­schen gerecht geworden, zumal den führenden Persönlichkeiten. Wendels kurze, aber sicher beleuchtende Einleitung sagt dazu in glänzender Form, was vom sozialistischen   Standpunkt aus gc= sagt werden muß, und bildet so eine wertvolle Ergänzung und Korrektur des Romans. Die Lektüre des Buches ist geeignet, das Interesse an dem heldenhaften Aufstand der Pariser   zu be­leben, der für Frankreich   die Republik   gerettet hat. Und diese Wirkung würden wir begrüßen, denn bisher haben die Völker aus der Geschichte der Revolutionen gelernt, sogar wenn diese von ihren bittersten Feinden und nicht von wohlmeinenden Demo­fraten geschrieben war. Wir verweisen daher in diesem Zu­sammenhang noch besonders auf Liffagarays Geschichte der Kom­mune, die im Verlag von J. H. W. Diez Nachf. in Stuti- gart erschienen ist.

Verantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart  . Druck und Berlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.. tn Stuttgart  .