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Die Gleichheit

Straßburg und Kolmar , mit unermüdlichem Eifer und bemerkens­wertem Erfolg unterzieht.... Wir empfehlen also den Katholi­schen Frauenbund und speziell die bevorstehende Generalver= sammlung Unserem Klerus recht nachdrücklich. Es würde uns zu großer Freude gereichen, wenn viele Geistliche diese Gelegenheit benützten, das wirken des Katholischen Frauenbundes näher ken­nen zu lernen, und auch die katholischen Frauen ihrer Pfarreien zu reger und zahlreicher Teilnahme veranlaßten."...

Doch damit nicht genug. Hören wir die angeführte Zeitschrift weiter: Auch die grundsätzliche Stellung der Kirche zu den die Frauenwelt bewegenden Fragen ist auf dieser Tagung in flaren Worten dargelegt worden. Es geschah im großen Abendvortrag des Herrn Bischofs Dr. Faulhaber von Speyer über: Moderne Frauentätigkeit im Lichte des katholischen Glaubens. Der Redner hob zunächst die innere Notwendig­keit des Katholischen Frauenbundes hervor, der zwar auf neu­tralen Gebieten der Fraueninteressen und Fürsorgebestrebungen mit anderen Organisationen zusammenarbeiten könne, der aber daneben auch die organischen Zusammenhänge zwischen kirchlicher Weltanschauung und modernen Zeitaufgaben zur Geltung bringen solle. Manche Zweige unserer Betätigung müssen von den Vor­schriften der katholischen Religion beherrscht werden und von ihrem Geiste durchtränkt sein, wenn sie den Forderungen unserer Weltanschauung gerecht werden wollen. Daneben aber gibt es Ge­biete, die außerhalb des kirchlichen Dogmas liegen. Kein Glaubens­gebot steht den Frauen entgegen, wenn sie, die heute ihre Inter­essen im Krankenversicherungswesen bereits selber vertreten, das gleiche etwa bei Handwerkskammern und Kaufmannsgerichten cr­streben, oder wenn sie einen höheren güterrechtlichen Schutz in der The fordern. Nicht einmal das politische Stimm= recht kann auf Grund eines Dogmas abgelehnt werden."

Das ist im Grunde nicht mehr und nicht weniger als eine Ka­pitulation des toten Buchstabenglaubens vor der lebendigen Macht der Frauenbewegung, die aus revolutionierten gesellschaftlichen Verhältnissen erwächst. Wie kräftig und blühend diese Bewegung auch unter der katholischen Bevölkerung geworden ist, das bekun­deten Tätigkeitsbericht und Verhandlungen des" Frauenbundes". Dieser hat so viel an Ausdehnung und Stärke gewonnen, daß die Generalversammlung eine Dezentralisation in Unterverbände, so­genannte Landes- oder Provinzialverbände beschloß. Die katho­lische Frauenbewegung ist zu einem gesellschaftlichen Faktor ge­worden, mit dem die übrige bürgerliche Frauenbewegung ernstlich rechnen muß und an dem die sozialistische Bewegung keineswegs nichtachtend vorübergehen kann. Denn hier werden zielbewußt und planmäßig Kräfte geweckt und gesammelt, die die katholischen Proletarierinnen nicht bloß unter dem bischöflichen Krummstab, vielmehr auch unter den Skorpionen der kapitalistischen Ordnung halten sollen.

Verschiedenes.

Ultramontane Knechtsmoral. Wir für unsere Person haben es niemals nützlich finden können, den verelendeten Arbeitern Ent­sagung zugunsten üppiger Herren zu predigen, den letteren alle guten Dinge dieser Erde zuzugestehen, die ersteren aber allein aufs Jenseits hinzuweisen. Durch nichts setzt man sich in ärgeren Wider spruch mit der strengeren Gerechtigkeitslehre des Christentums." So schrieb vor Jahren der klerikale österreichische Sozialpolitiker Frei­Herr Karl v. Vogelsang. Wollte unser Zentrum seine Worte be= herzigen, so würde es gar bald die Macht über seine proletarischen Nachläufer verlieren; denn das muß die unausbleibliche Folge sein, sobald sich der Arbeiter auf seine Menschenwürde besinnt und sich als gleichberechtigt fühlt. Das Zentrum braucht für seine volks­verräterische Politit bedingungslos Gläubige. Daher lassen die Schwarzen nichts unversucht, die Arbeiter im Zustand der Knecht­seligkeit zu erhalten. Sie benügen vor allem ihren großen religiösen Einfluß, diesen Geist der Unterordnung zu stärken. Das Bischofs= wort: Wer Knecht ist, soll Knecht bleiben!" ist nicht wie man es später weismachen wollte eine Entgleisung, sondern die kürzeste Formel ultramontaner Sklavenmoral. Mit ein bißchen anderen Worten haben viele Zentrumsleuchten Hunderte von Malen dasselbe gefagt; sie platten mit ihrer Auffassung mur nicht so offenherzig heraus, sondern bemäntelten sie durch eine jesuitisch verklausulierte Wendung, damit die lieben Schäfchen nicht scheu werden sollten. In der zentrümlichen Winkelpresse wird diese schlaue Taftit manchmal vergessen; man glaubt sie hier nicht so nötig zu haben. In ihr findet man zahlreiche Beweise dafür, welche Knechtsmoral das Zen trum verbreitet.

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Nr. 8

Das Liboriusblatt" ist eine Wochenschrift zur Erbauung, Be­lehrung und Unterhaltung für das christliche Volk" und erscheint als Beilage des zentrümlichen Volksfreund" in Hamm i. W. In seiner Nummer 45 vom 10. November 1912 findet sich eine Predigt zum 24. Sonntag nach Pfingsten. Sie handelt von den Dienstboten". Als oberste Pflicht der guten Dienstboten" gilt selbstverständlich der Gehorsam: Dienstbote zu sein oder, kürzer gesagt, dienen heißt nichts anderes als gehorsamen.... In unseren Tagen gibt es nicht selten Dienstboten, welche in dieser Beziehung gegen ihre Standes­pflicht fehlen. Sie erweisen ihrer Herrschaft nicht die gehörige Achtung, antworten mit unhöflich barschem Tone oder stoßen gar Schimpf­worte gegen sie aus, erheben die sonderbarsten Ansprüche und betragen sich, als ob die Vorgesezten ihresgleichen wären; sie sind eigensinnig und rechthaberisch, und wenn ihnen eine Arbeit aufgetragen wird, die nicht nach ihrem Sinne ist, so ge­horchen sie mit Murren oder gar nicht. Das ist ungeziemendes, sünd­haftes Betragen, das den Vorschriften des Christentums durchaus widerspricht." Dann folgt genau wie beim Bischof Henle die Berufung auf den Apostel Paulus!

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Aber es kommt noch besser! Der Dienstbote soll sich auch Religion befiehlt es! schrankenlos ausbeuten lassen. Denn die zweite Eigenschaft des guten Dienstboten" ist natürlich der Fleiß. Wir lesen darüber: Es ist nicht genug, daß die Dienstboten in der zur Arbeit bestimmten Zeit tätig sind, sondern es wird auch gefordert, daß sie im Sinne ihrer Herrschaften mit Fleiß, das heißt so arbeiten, daß diese billigerweise damit zufrieden sein können."" Faule Dienstboten sind vor Gott und im Gewissen verpflichtet, den durch sie verursachten Nachteil zu ersetzen, wemt ihre Sünden vergeben werden sollen." Jakob, der zwanzig Jahre diente, wird als Muster hingestellt. Auch treu müssen die guten Dienstboten" sein. Sie sollen nichts aus dem Hause schwägen, was die Herrschaft geheimzuhalten wünscht. Ist diese Vorschrift in erster Linie für Pfarrersköchinnen bestimmt?

Das Liboriusblatt", das die Senechtsmoral vertritt, ist dasselbe Blatt, das vor einiger Zeit die Süßigkeit der Arbeit" in folgender geradezu aufreizenden Weise schilderte: Der Hunger trocknet den Geist aus und macht kurzen Atem, erweckt Angst und verursacht tausend Beschwerlichkeiten und Schmerzen; allein die Arbeit ist ein so gutes Mittel, daß ein Senecht gut schlafen kann, wenn auch beide Unbequemlichkeiten vorhanden sind. Denn weil die Knechte den ganzen Tag herumlaufen, ihren Herren zu Diensten sind, arbeiten und gar nicht Zeit haben, sich zu erholen, so ist der süße Schlaf, den sie genießen, eine genugsame Be­lohnung für ihre Müdigkeit und Arbeit. Denn das haben wir der Gnade Gottes zu danken, daß das Vergnügen nicht für Gold und Silber feil ist, sondern durch Mühe, Arbeit und Notdurft erlangt werden muß. Bei den Reichen ist solches anders. Wenit sie gleich auf weichen Lagern liegen, so kommt doch die ganze Nacht fein Schlaf in ihre Augen, und sie mögen vornehmen was sie wollen, so erhalten sie dieses Vergnügen dennoch nicht. Allein ein Armer hat müde Glieder, wenn er von der Arbeit kommt, und fängt schon an, ehe er sich niederlegt, das Vergnügen eines süßen Schlafes, der Vergeltung all seiner Arbeit, zu genießen. Da also ein Armer mit mehr Vergnügen ißt, trinkt und schläft, was haben denn die Reichtümer noch für einen Vorzug, da sie auch des Vorzuges, den sie vor der Armut voraus zu haben scheinen, beraubt sind."

Muß uns nicht tiefes Mitleid erfassen für die armen" Reichen, die nicht bloß über faule Dienstboten", sondern auch über Mangel an süßem Schlaf" zu flagen haben? Man wundert sich angesichts ihres Jammers nur, warum sie nicht mit den reichen" Armen tauschen. Und daß Leute sich nicht schämen, dem werktätigen Volke solchen Stohl aufzutischen.

Die beiden Auslassungen sind bezeichnend dafür, was den katho­ lischen Arbeitern geboten werden darf. Kein Sturm der Entrüstung erhebt sich unter ihnen über solche dreiste Zumutungen und freche Verhöhnungen. Die gepredigte Knechtsmoral ist ihnen schon in Fleisch und Blut übergegangen. Wenn man in der Zentrumspresse dauernd auf solche Predigten stößt, so versteht man erst die Entwicklung der christlichen Gewerkschaftsbewegung zum Lager der Gelben" hin­über. Das sind gesunde gelbe Gedanken", wie sie die Gelben selbst nicht besser äußern könnten.

Hoffen wir, daß die zunehmende Verschärfung der Klassengegen sätze und unsere Aufklärungsarbeit die katholischen Proletarier zum Stlassenbewußtsein aufrütteln und sie aus dem Banne der ultra­montanen Knechtsmoral befreien. Ernst Mehlich .

Verantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart .

Truck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. 8.m.b.S. tn Stuttgart.