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Die Gleichheit
schen Frauen von Philadelphia hielten an einem Abend der Kongreßwoche eine glänzend besuchte Massenversammlung ab, wo Genossinnen die Frauenfrage vom sozialistischen Standpunkt aus behandelten. Meta L. Stern, New York .
Nachschrift der Redaktion. Diese Einsendung unserer Korrespondentin macht in Verbindung mit dem weiter obenstehenden Bericht unserer deutschen Genossinnen einige Ausführungen notwendig. Der Eindruck ist nicht abzuweisen, als ob manche unserer amerikanischen Genossinnen die frauenrechtlerischen Stimmrechtshändchen länger und inniger drücken, als der Kampf für unsere eigenen Jdeale zuläßt. Wir wollen heute nicht die Fragen untersuchen, ob und unter welchen Voraussetzungen nur auch in den Vereinigten Staaten im Ringen für das Frauenwahlrecht gelegentlich ein vorübergehendes Zusammenwirken der Sozialdemokratinnen mit den bürgerlichen Frauenrechtlerinnen möglich ist. Wir erwarten die Antwort darauf von unseren amerikanischen Genossinnen selbst.
Aber was hatten Genossinnen auf diesem ausgesprochen bürgerlichen Kongreß zu suchen, der nicht dem Kampfe galt, der den Sieg feierte? Vielleicht die Gelegenheit zur Agitation für den Sozialismus? Nach den uns vorliegenden Berichten war sie dort nicht vorhanden, konnte sie dort nicht vorhanden sein. Die Erklärung, daß die Sozialistische Partei mit ihren 900 000 Wählern geschlossen hinter der Forderung des Frauenwahlrechts steht, ist noch keine Agitation für den Sozialismus. Schon deswegen nicht, weil das Frauenwahlrecht an sich feine spezifisch sozialistische Forderung ist. Auf dem Kongreß, bei den hier üblichen Fünf- und Zehnminutenreden war nicht einmal die Zeit, sie in ihrem vollen geschichtlichen Zusammenhang zu begründen, das heißt vom streng sozialistischen Standpunkt aus. Das wäre auch in der Luft dieser Tagung von den meisten bürgerlichen Damen peinlich empfunden worden. Es hätte ja nicht geschehen können ohne die starke Betonung des vollen grundsäz lichen Gegensatzes zwischen der sozialistischen und der bürgerlichen Frauenbewegung, nicht ohne Hinweis auf den unüberbrückbaren Klassengegensatz, der auch in den Vereinigten Staaten die ausgebeuteten Proletarierinnen von den ausbeutenden oder wenigstens von der Ausbeutung lebenden Bourgeoisdamen scheidet.
Aber der stürmische Beifall, den die Erklärung unserer Genossin Branstetter gefunden hat? Beweist er nicht, daß die Anwesenheit von Genossinnen dem Sozialismus Sympathien gewonnen hat? Ja, reden wir von diesem Beifall! Er wurde der Sozialistischen Partei nicht ihrem innersten, eigentlichen Wesen nach gezollt. Er galt ihr lediglich als der konsequenten, treuen Verfechterin des Frauenwahlrechts, aber nicht als der revolutionären Todfeindin der tapitalistischen Ordnung, ja legten Endes nicht einmal als der Vorkämpferin vollkommener politischer Demokratie. Die nämliche stürmische Begeisterung hat in frauenrechtlerischen Versammlungen und Blättern auch Roosevelt umtost, wie den großen Buffalo Bill , als sich die beiden für das Frauenwahlrecht erklärten. Wir haben außerdem starken Zweifel, ob die amerikanischen Frauenrechtlerinnen auch nur in der Frage der politischen Gleichberechtigung des gesamten weiblichen Geschlechts zuverlässige Kämpferinnen für das allgemeine demokratische Recht sind. Wir erinnern an ihr Verhalten, als hie und da in der Union ein stockreaktionäres Gemeindewahlrecht eingeführt worden ist. Vor allem aber ist es eine Tatsache, daß auf Kongressen des„ Weltbundes für Frauenstimmrecht" gerade die Delegierten der amerikanischen Frauenstimmrechtsorgani sationen die Rolle von brutalen Pinkertons des beschränkten Damenwahlrechts gespielt haben. Unter Führung der pfäffischen Reverend Shaw haben sie alle Versuche des„ linken Flügels" niedergestimmt, der„ Weltbund" möge den Verteidigerinnen des allgemeinen Frauenwahlrechts auch nur ein schwaches, wohlwollendes Lächeln zeigen. Es flebt reaktionärer Schmutz an den Händen, die Genossin Branstetter Beifall flatschten. Daher haben auch gerade die amerikanischen Genossinnen May Wood- Simons und Luella Twining in Kopenhagen unsere englischen Genossinnen eindringlich vor jedem Zusammengehen mit den bürgerlichen Frauenrechtlerinnen gewarnt.
Die Frau in öffentlichen Aemtern.
Weibliche Rektoren in Preußen werden in wachsender Zahl ausgebildet. Ende des letzten Jahres bestanden in Berlin zwölf Kandidatinnen die Rektorenprüfung. Leider ist damit noch nicht gesagt, daß die geprüften weiblichen Rektoren alle und bald mit der Leitung öffentlicher Schulanstalten betraut werden. Durch das bestandene Examen haben sie zwar den Nachweis erbracht, baß sie an Wissen und Schulung den Männern ebenbürtig sind, die als Rektoren berufen werden. Bei dem Gedanken ihrer Anstellung sträubt sich trotzdem noch der Zopf des alten Vorurteils gegen das weibliche Geschlecht.
Frauenbildung.
Nr. 9
Das Studium der Mädchen an den badischen Mittelschulen. Nach einer Statistik des badischen Unterrichtsministeriums wurden im letzten Schuljahre 1911/12 die verschiedenen Arten badischer Mittelschulen besucht von
Knaben
Mädchen
4885
197
5009
125
3597
277
4846
173
131
59
Nimmt man noch die Nichtvollanstalten dazu, so ergibt sich eine Gesamtschülerzahl von 18635, darunter 1621 Mädchen, also rund 8 Prozent aller Besucher. Nicht inbegriffen in der angegebenen Zahl sind die Besucherinnen höherer Mädchenschulen, die in Karlsruhe und Mannheim mit einer Gymnasial- oder Oberrealschulabteilung verbunden sind. Die Zahl der Abiturientinnen ist in Baden seit 1901 von 13 auf 70 gestiegen: 28 bestanden an Gymnasien, 25 an Realgymnasien und 17 an Oberrealschulen ihre Reiseprüfung.
Der Besuch von Mittelschulen durch Mädchen hat sich im Jahrzehnt 1900 bis 1910 wie folgt entwickelt. An den Gymnasien begann er mit einer einzigen Schülerin unter 4385 3öglingen, am Schluß des Jahrzehnts befanden sich unter den 5215 Schülern 166 Mädchen. Die Zahl der Schülerinnen stieg hier von Jahr zu Jahr. Für Realgymnasien und Oberrealschulen mit den angegliederten Gymnasialabteilungen wurden die ersten Schülerinnen 1902 verzeichnet, und zwar 13 beziv. 3 unter 1512 beziv. 3745 Besuchern. In ständiger Aufwärtsbewegung erreichte die Zahl der Schülerinnen in diesen beiden Arten der Vollanstalten 122 bezwv. 158. Unter den Nichtvollanstalten hatten die Progymnasien erst vom Jahre 1907 an Schülerinnen, anfangs 5. Dagegen setzte der Besuch der Realprogymnasien durch Mädchen schon 1904 mit 15 Schülerinnen ein, stieg stetig bis auf 114 im Jahre 1908 und ging im nächsten Schuljahre auf 102 zurück neben 1094 Knaben. Dieselbe Entwicklung hatten die siebentursigen Realschulen: seit 1905 ein Ansteigen von 17 auf 131 Schülerinnen, dann ein Rückgang ihrer Zahl auf 106 neben 988 Knaben. Die sechstursigen Realschulen verzeichneten schon zu Anfang des Jahrzehnts 180 Mädchen neben 2038 Knaben und am Schlusse 738 Mädchen und 2674 Knaben. Bei den fünftursigen Bürgerschulen( Lehrplan der Realgymnasien) überstieg im vorigen Jahrzehnt die Zahl der Schülerinnen nie 10 ( 194 Knaben); hingegen setzte die Frequenz bei den fünfkursigen Bürgerschulen( Realschullehrplan) mit 97 Mädchen ein, stieg auf 142 und betrug am Schluß des Jahrzehnts nur noch 86. An den nur viertursigen Bürgerschulen nahm der Besuch stetig ab, die Zahl der Mädchen fiel von 76 auf 14, die der Knaben von 129 auf 45.
Insgesamt stiegen im ersten Jahrzehnt die Zahlen der Schüler an den öffentlichen höheren Lehranstalten Badens von 13457 auf 18283, darunter die der Mädchen von 363 auf 1495( heute 1621). Die Anstalten dieser Art vermehrten sich von 55 auf 65, die Jahreskurse von 394 auf 489, die Klassen von 521 auf 698. Das vollbeschäftigte Lehrpersonal stieg von 685 auf 938, die Zahl der Nebenlehrer von 255 auf 366. Ferner gab es 1910 zehn öffent= liche höhere Lehranstalten für die weibliche Jugend mit 5252 Schülerinnen, davon 4660 in den Vorschulen und höheren Mädchenschulen, 132 im Mädchengymnasium, 180 in der Abteilung der Oberrealschule, während zu Beginn des Jahrzehntes erst sieben solche Anstalten mit 2602 Schülerinnen vorhanden waren. Die Fortbildungs sowie Haushaltungs- und Kochschulen sind dabei nicht mitgerechnet. 1911 zählte man in Baden 6766 fortbildungsschulpflichtige Mädchen. Die vorstehenden Ziffern lassen Licht auf zwei Tatsachen fallen. Sie zeigen, daß das Drängen nach besserer Schulbildung der Mädchen einem starken Bedürfnis in manchen Kreisen der Bevölkerung entspricht. In ihm kommt es zum Ausdruck, daß für die Töchter vieler bürgerlicher Familien eine Berufstätigkeit zur Notwendigkeit geworden ist. Die Schule muß der Berufsbildung der Mädchen vorarbeiten. Des weiteren aber geben die mitgeteilten Zahlen über den Besuch von Mittelschulen durch Mädchen einen Maßstab dafür an die Hand, wie dünn heute noch die Schicht der weiblichen Jugend ist, denen der elterliche Geldbeutel eine bessere Vorbildung für den Kampf ums Dasein ermöglicht. Vergegenwärtigt man sich die vielen Zehntausende von Töchtern des Volfes, die sich in Baden mit dem harten, wenig nahrhaften Geistesbrot der Armenleutebildung begnügen müssen, so geht von der angezogenen Statistit eine eindringliche Mahnung zu dem Kampfe aus, der die Bildung aus einem Vorrecht weniger zum Erbteil aller verwandelt. mg. Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe. Post Degerloch bei Stuttgart .
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