Nr. 10
Die Gleichheit
gelehnt, die eine neue Zuchthausvorlage forderte. Indes darf die große Mehrheit gegen die Resolution die deutschen Arbeiter keineswegs in Sicherheit wiegen. Weder den Nationalliberalen noch dem Zentrum ist in diesem Punkte zu trauen. Stimmten doch von den Nationalliberalen neun Abgeordnete mit den Scharfmachern und ebenso auch einige Zentrumsvertreter.
Im preußischen Landtag haben dieselben Parteien ihren volksfeindlichen Charakter rücksichtslos enthüllt. Ein Antrag der Fortschrittlichen Volkspartei für die Reform des Wahlrechts blieb infolge der Haltung der Nationalliberalen und des Zentrums völlig ergebnislos. Selbst der bescheidene 1interantrag fiel, das Dreiklassenwahlrecht wenigstens durch direktes und geheimes Wahlverfahren zu verbessern. Zen trum und Nationalliberale stimmten zwar dafür, aber vom Zentrum fehlten 31, von den Nationalliberalen 19 Manndie zum Teil kurz vor der Abstimmung erst den Saal verließen, und so kam der Antrag zu Fall. Die Junker hatten durch ihren Sprecher Heydebrand in aufreizendster Weise ihren Widerstand gegen jede Wahlrechtsreform verfinden lassen. Die preußische Thronrede hatte von dieser feierlich versprochenen Vorlage geschwiegen, und der preubische Polizeiminister erklärte in den Etatsdebatten des Landtags, sie werde erst dann kommen, wenn die bürgerlichen Parteien sich wieder mehr genähert hätten. Diese Herausforderung des arbeitenden Volkes wurde durch eine ausgesucht brutale Haltung der junkerlichen Dreiklassenfraktion und ihres Präsidenten v. Erffa gegen die sozialdemokratischen Abgeordneten verschärft. Die Nervosität und Parteilichkeit dieses Herrn führte schließlich zu einem Zusammenstoß mit dem Genossen Borchardt, und das Ende vom Liede war, daß der sozialdemokratische Abgeordnete polizeilich aus dem Sitzungssaal geworfen wurde. Die unerhörte Szene fand im Herbst ein Nachspiel vor dem Landgericht in Berlin . Die Genossen Borchardt und Leinert wurden dort zu Geldstrafen verurteilt wegen ihres pflichtgemäßen Widerstandes, den sie gegen die Anwendung des verfassungsund gesetzwidrigen Hausknechtsparagraphen der Geschäftsordnung geleistet hatten, der erstere außerdem noch wegen Hausfriedensbruches. Die Klassenjustiz fand am Hausknechtsparagraphen nichts auszusehen das war eine gewisse Genugtunng für die Junker. Sonst aber hat ihnen der Prozeß wenig gefallen, da das Gericht sich änglich hütete, das Verfahren des Junkerpräsidenten zu rechtfertigen, ein Mangel, der seine Kumpane schmerzlich bedrückte.
H. B.
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Die Frauenarbeit überwiegt hier die der Männer nach wie vor: über 16 Jahre alte Arbeiter waren in der Textilindustrie nur 98206 beschäftigt, das ist ein Verhältnis von etwa 4 zu 5. Noch stärker tritt die überwiegende Verwendung weiblicher Arbeitskräfte in dieser Industrie bei den jungen Leuten" im Alter von 14 bis 16 Jahren in die Erscheinung. Von insgesamt 21702 Beschäftigten dieser Altersgruppe waren 13766 weibliche Jugendliche. Das sind über die Hälfte der in allen inspektionspflichtigen Betrieben beschäftigten 25 361 jugendlichen Arbeiterinnen im Alter von 14 bis 16 Jahren. Ganz in den Rahmen dieses Bildes paßt auch die Kinderarbeit in der Textilindustrie. Die Textilindustrie allein beutete 904 von 2615 Menschlein unter 14 Jahren aus, die ihre schulfreie Zeit zum großen Teil dem Moloch Rapital opfern mußten, um sich frühzeitig die Schwindsucht zu erarbeiten.
Geringer als in der Textilindustrie ist der Prozentsaz der Männer an der Gesamtarbeiterschaft nur in der Bekleidungsindustrie. Unter den hier insgesamt beschäftigten 60 166 Arbeitskräften befanden sich 34741 über 16 Jahre alte weibliche. Dazu famen noch 5563 Jugendliche, von denen 3821 Mädchen von 14 bis 16 Jahren waren, und 308 Kinder, darunter 167 Mädchen. über 50 Prozent Arbeiterinnen weist auch die Zigarrenfabrikation auf. Von insgesamt 7843 Beschäftigten waren hier 4388 weibliche. Diese Zahlen fallen jedoch bei ihrer absoluten Kleinheit für die Gesamtheit nicht so schwver ins Ge-, wicht. Bemerkenswerter ist das Verhältnis in der Nahrungsund Genußmittelindustrie. Unter 31114 überhaupt Bcschäftigten befanden sich 12961 Arbeiterinnen, einschließlich der 810 Jugendlichen, das sind etwa 35 Prozent. Auch in den polygraphischen Gewerben- Buchdruckereien und Schriftgießereien ist die Frauenarbeit bekanntlich stark vertreten, besonders unter dem Hilfspersonal. Hier wurden insgesamt 33306 Beschäftigte gezählt, worunter sich) 9916 Arbeiterinnen befanden. Einen großen Prozentsaz weiblicher Arbeitskräfte weist ferner die Papierindustrie auf. In ihr waren 40041 Personen tätig, zu denen die Frauen 14100 stellten. Weiter folgt die Industrie der Metallverarbeitung mit 11514 Arbeiterinnen von insgesamt 61570 Arbeitskräften. Verhältnismäßig start ist auch die Verwendung weiblicher Arbeitskraft in der Maschinenindustrie: 6400 Arbeiterinnen kamen hier auf 121 108 Beschäftigte.
Bezeichnend ist das Verhältnis in der Industrie der Steine und Erden: Steinbrüche, Steinhauereien, Ziegeleien, Glashütten , Glasschleifereien usw. Es handelt sich hier zum Teik um sehr. schwere und auch gesundheits- und lebensgefährliche Berufe, wo viele Verrichtungen für die Frauen ganz ungeeignet, ja im höchsten Maße schädlich sind. Danach fragt aber das Kapital in seinem
Frauen- und Kinderarbeit in Sachsen . Drängen nach Profit nicht. Es nimmt die vorteilhaftesten,
I.
Nach den Berichten der sächsischen Gewerbeinspektion für 1911 waren in diesem Jahre in den ihr unterstellten 30623 Anlagen 757518 Arbeitskräfte beschäftigt. Darunter befanden sich 236507 über 16 Jahre alte Arbeiterinnen, das sind 6154 mehr als im Jahre 1910. In allen 17 Berufsgruppen zusammen wurden 61562 Jugendliche im Alter von 14 bis 16 Jahren beschäftigt, darunter 25361 Mädchen. Von den über 16 Jahre alten Arbeiterinnen fallen 85977 auf die Altersgruppe von 16 bis 21 Jahren, 150530 waren über 21 Jahre alt. Von den 2615 beschäftigten Kindern waren 802 Mädchen und 1813 Knaben. Die Arbeiterinnen machten 31,2 Prozent der Gesamtarbeiterschaft aus, das ist 0,1 Prozent weniger als im Vorjahr. Diese geringe Abnahme ändert nichts an der Tatsache, daß die Frauenarbeit in Sachsen von der größten Bedeutung für das ganze wirtschaftliche Leben ist, und für einzelne Industriegruppen geradezu die Grundlage bildet. Die Textilindustrie zum Beispiel verwendete allein mit 125157( 2000 mehr wie 1910) 50,9 Prozent der weiblichen Arbeitskräfte. Während die Zahl der Arbeiterinnen im Verhältnis zu derjenigen der Arbeiter im allgemeinen etwas zurückgegangen ist, hat sie in der Textilindustrie um 0,6 Prozent zugenommen.
das heißt billigsten und widerstandsschwächsten Arbeitskräfte, soweit ihm das Gesetz nicht dabei Schranken zicht. In den genannten Berufen arbeiteten 54439 Personen, darunter nicht weniger als 7336 Arbeiterinnen. Von letzteren werden 2267 in Ziegeleien beschäftigt, sie machten hier etwa den sechsten Teil der überhaupt Beschäftigten aus. 580 Arbeiterinnen wurden in Steinbrüchen und Steinhauereien ermittelt. Unter den weiblichen Arbeitskräften dieser Betriebe und der Ziegeleien befanden sich sogar 42 Mädchen im Alter von 14 bis 16 Jahren und 11 Kinder, die dem Kapital frondeten.
Das Bild von der Frauenarbeit in Steinbrüchen usw. wird durch Mitteilungen aus einzelnen Bezirken noch vervollständigt. So ist verzeichnet, daß in 27 Steinbrüchen des Meißner Inspektionsbezirkes„ mit oberbehördlicher Genehmigung“ Frauen mit der Herstellung von Klarschlag beschäf tigt wurden. Mit einer Arbeit also, die eigentlich nur Männer verrichten sollten. Auch zum Transport des Klarschlags mittels Karrens in das Schiff wurden Frauen verwendet. Diese Arbeit ist nicht nur sehr schwer, sie ist auch äußerst gefährlich. Der Karren muß zum Schiff auf einem schmalen Steg von zirka 40 Zentimeter Breite gefahren werden. Der Steg ist ein starkes Brett, das vom Ufer auf den Schiffsrand gelegt wird. Die den Karren fahrende Person kann bei dem Trans