Nr. 10

Die Gleichheit

gierte vertreten, 7 Orte hatten nicht delegiert. Anwesend waren außerdem der Gauvorstand, einige Vertreter der Ortsverwal­tung Berlin und die Unterzeichnete, die den Zentralvorstand ver­trat. Martha Tiesler- Berlin , Mitglied des Gauvorstandes, cr­öffnete in dessen Namen die Konferenz. Für das Bureau wurden nur weibliche Delegierte vorgeschlagen und gewählt. Die wenigen anwesenden Männer verhielten sich passiv. Genossin Tiesler er­stattete Bericht über die im Gau entfaltete Tätigkeit, um die or= ganisierten Arbeiterinnen für die gewerkschaftliche Betätigung zu schulen. Sie hatte ihrerseits vom Gauvorstand den Auftrag erhalten, in Gemeinschaft mit den Ortsverwaltungen Zusammenfünfte mit folchen organisierten Arbeiterinnen zu veranstalten, die von den Verwaltungen zur Mitwirkung bei der gewerkschaftlichen Auffiä­rungsarbeit aufgefordert worden waren. In 14 Orten haben der= artige Zusammenfünfte stattgefunden, an denen sich insgesamt 135 organisierte Arbeiterinnen beteiligten. Aus 2 Orten lagen Berichte über die Zahl der Beteiligten nicht vor; die übrigen Orte des Gaues sollen noch ihre Veranstaltung haben. Bei den Zusammenkünften ist festgelegt worden, daß die tätigen weiblichen Mitglieder sich alles aneignen müssen, was zur Agitation unter den Arbeiterinnen notwendig ist. Sie sollen des weiteren sich um die Feststellung von Adressen Unorganisierter bemühen, Agitationsfommissionen schaf= fen, die Vorbereitungen zur Hausagitation treffen, die auf be­stimmte Tage zu legen ist, und die Agitationen auch ausführen.

Nach dem Bericht kamen die Delegierten zum Wort. Die ver­schiedenen Agitationsmethoden wurden erörtert, und allgemein kam zum Ausdruck, daß die Hausagitation das beste Mittel sei, um weibliche Mitglieder zu gewinnen. Doch wurde besonders be­tont, daß den jeweiligen örtlichen Verhältnissen Rechnung getragen werden müsse. Schematisierung dürfe nicht plakgreifen. Alle Red­nerinnen erklärten es für dringend notwendig, daß die weiblichen Organisierten ganz energisch darauf bestehen müßten, zu allen Verwaltungsarbeiten mit herangezogen zu werden; sie hätten die in dieser Beziehung fäumigen Ortsverwaltungen immer wieder an ihre Pflichten zu erinnern. Namentlich sei es unbedingt not­wendig, daß in den Ortsvorständen Frauen amtieren.

Die wirtschaftliche Not der Textilarbeiterinnen kam in den be­fanntgegebenen Löhnen zum Ausdruck. In einigen Orten ver­dienen die Arbeiterinnen an den Webstühlen bei voller Ar­beitszeit in der Woche 4 bis 5 und 6 Mk., in einigen Orten 7 bis 8 Mt. im 3eitlohn, im Akkord bei der Bedienung von 3 toei Stühlen 11 bis 12 Mt. In den Leinenwebereien bringen es Arbeiterinnen bei größtem Fleiß und gutem Arbeits­material auf 11 bis 12 Mt. wöchentlich, bei der Verarbeitung von schlechtem Material sinkt der Verdienst auf 6 bis 7 Mt. In den chemischen Wäschereien, die von Berlin ausgenommen, erhalten Arbeiterinnen über 16 Jahre bei 9stündiger Arbeitszeit 5 bis 6 Mt. die Woche. Die bestbezahlte Wäscherin bekommt 30 Bf. Stundenlohn, tüchtige Deta che usen 17 Pf. Die erwachsenen Arbeiterinnen der Juteindustrie werden mit 16 bis 17 Bf. Stundenlohn abgespeist, die Jugendlichen er­halten in diesen Betrieben 14 bis 15 Pf. Die Delegierten aus den Orten mit Tuchweberei, wo der Verdienst ein höherer ist, teilten demgegenüber mit, daß in ihrer Heimat auch die jugend­lichen Arbeiterinnen besser entlohnt werden. Den Verdienst der jugendlichen Jutearbeiterinnen nannten sie unerhört" niedrig. Auch Beispiele für die verschiedene Entlohnung von Frauen und Männern für gleiche Arbeit wurden angeführt. So erhalten die Sommerfelder Weberinnen an den Knobelstühlen pro Woche 13,50 Mt., die Männer aber 16 bis 17 Mt. Viel fam auch zur Sprache von unerhörten Strafen, Betriebsmißständen der schlimmsten Art, Nichtbefolgung der Vorschriften zum Schuße von Leben und Gesundheit der Arbeiterinnen und von dem Bestreben der Unternehmer, die Arbeitskräfte auf das äußerste auszunuzen. Scharf gerügt wurde aber auch, daß viele Arbeiterinnen die Pausen nicht innehalten, die Arbeit unpünktlich beginnen und eine wahre Sucht haben, durch Überstunden ihre Löhne zu erhöhen. Die Diskussion war offensichtlich von dem Willen aller getragen, an der Besserung der bestehenden Verhältnisse tatfreudig mitzu­arbeiten. Allgemein fam der Wunsch zum Ausdruck, die Gauleitung möge dafür Sorge tragen, daß die örtlichen Zusammenkünfte der organisierten Arbeiterinnen beibehalten werden und daß nicht wieder drei Jahre bis zur nächsten Arbeiterinnenkonferenz ver­streichen. Zum Schluß erstattete die Unterzeichnete ein kurzes Referat über den Überstundenunfug in der Textil industrie. Gie betonte die Notwendigkeit, die Arbeiterinnen zu der Erkenntnis zu erzichen, wie schädlich dieser Unfug ist. Diese Erkenntnis werde zur Abschaffung der Überstunden führen. Fol­gende Resolution wurde einstimmig angenommen:

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" Die Delegierten der Arbeiterinnenkonferenz zu Berlin vom 12. Januar sind bis auf weiteres als Ortsvertrauens­personen zu bezeichnen. Sie haben als solche in Verbindung mit dem Ortsvorstand die Funktionen als Vertrauenspersonen vollständig zu erfüllen. Zu den Funktionen der Vertrauenspersonen gehören: 1. Einberufung von Betriebsversammlungen nur für weibliche Arbeiter zu agitatorischen Zwecken; 2. Anordnung von Wahlen weiblicher Betriebsvertrauenspersonen; 3. Anordnung von Wahlen weiblicher Mitglieder in die Lohnkommission; 4. Anord­nung zur Adressensammlung unorganisierter weiblicher Arbeiter zum Zwecke der Hausagitation; 5. Schaffung einer dem Ort ent­sprechenden Agitationskommission, die aus weiblichen Mitgliedern besteht; 6. Anordnung von Hausagitation, die nur weibliche Ar­beiter erfassen soll; 7. Beteiligung an den Sizungen des Orts­vorstandes mit beratender Stimme; 8. Berichterstattung an den Ortsvorstand und die Gauleitung über die Tätigkeit der ver­schiedenen Korporationen; 9. zum Zwecke dieser Berichterstattung stellt die Gauleitung den Vertrauenspersonen gedruckte Formulare zur Verfügung."

Der überaus anregende Verlauf der Tagung zeigte die Fort­schritte, die seit den ersten Arbeiterinnenkonferenzen im Jahre 1910 erzielt worden sind. Die Ortsverwaltungen, die bisher ihre weiblichen Mitglieder noch nicht zur regen Mitarbeit herangezogen haben, werden nun dem energischen Drängen der organisierten Arbeiterinnen nach umfassender Betätigung nachgeben müssen, und sie werden gut daran tun, deren Wünsche recht bald zu berück­sichtigen. Durch Mitarbeit in den Reihen der Organisation fördern die Arbeiterinnen nicht nur ihre eigene Sache, sondern sie dienen auch der Gesamtheit. Der bestimmt zum Ausdruck gebrachte Wille, nicht nur Rechte beanspruchen, vielmehr auch Pflichten erfüllen zu wollen, darf nicht unbeachtet bleiben. Die Konferenz hat die Ansicht einiger der anwesenden Männer gewandelt, daß solche Tagungen ohne großen Wert, ja überflüssig seien. Sie ließ den erheblichen Nußen der Veranstaltung überzeugend hervortreten. Das allein ist schon ein nicht zu unterschäßender Erfolg.

Martha Hoppe, Berlin .

Genossenschaftliche Rundschau.

Eine auffällige Erscheinung der letzten Jahre ist die starke Zu­nahme der Bau- und Wohnungsgenossenschaften. Sie erklärt sich bei näherem Hinsehen aber sehr einfach aus den Verhältnissen, das heißt aus der Entwicklung des Wohnungs­marktes. Fast in allen Großstädten und Industriezentren Deutsch­ lands herrscht seit längerer Zeit ein empfindlicher Mangel an Kleinwohnungen, der sich von Jahr zu Jahr verschärft hat und in manchen Gegenden geradezu ein schwerer Notstand geworden ist. Besonders in Sachsen drückt die Wohnungsnot auf der ar­beitenden Bevölkerung. So ergab die letzte amtliche Wohnungs­zählung im Oktober 1912 für die Stadt Dresden noch nicht einmal 1 Prozent leerstehender Wohnungen, während von allen objektiven Wohnungspolitikern 3 bis 4 Prozent verlangt werden, damit der Wohnungswechsel zu den Umzugszeiten in normaler Weise bewerkstelligt und das Bedürfnis befriedigt werden kann. In den Arbeitervierteln aber hatte die Zählung ein noch viel un­günstigeres Ergebnis, als es der Gesamtdurchschnitt bietet. Und ähnlich sind die Wohnungsverhältnisse auch anderwärts. In Dres­ den liegen jetzt bei jedem Quartalswechsel arme Arbeiterfamilien auf der Straße, weil sie feine Wohnung finden, die sie zu be­zahlen imftande wären. Die Stadtverwaltung ist in der größten Verlegenheit, weil sie auch nicht weiß, wie sie diese schuldlos Ob­dachlosen unterbringen soll. Auf die tieferen Ursachen und wei­teren Wirkungen solcher Zustände braucht hier nicht eingegangen zu werden. Nur so viel sei gesagt, daß Staat und Gemeinden der Ent­wicklung dieser Dinge mit einer unglaublichen Gleichgültigkeit und Nachlässigkeit zusehen und erst dann eingreifen, wenn die Ver­hältnisse ihnen keine andere Wahl lassen.

Unter solchen Umständen ist es erklärlich, wenn Personen des Bürgertums mit weiterem Blick, in erster Linie aber die von dem Mißstand Betroffenen selbst, die notwendige Hilfe auf anderem Wege suchen und suchen müssen. Und so kam es, daß die Grün­dung und Belebung von Bau- und Wohnungsgenossenschaften in dieser oder jener Form stärker als je auch in Arbeiterkreisen An­flang fand. In der Umgebung von Dresden sind in den letzten zwei Jahren ganze Kolonien durch solche Baugenossenschaften ins Leben gerufen worden, und die bekannte erste deutsche Garten­stadt Hellerau in unmittelbarer Nähe der sächsischen Residenz hat einen raschen Aufschwung genommen.

Gegen die Gründung und Unterstützung von Genossenschaften zur Wohnungsbeschaffung ist natürlich an sich nichts einzuwenden,