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Die Gleichheit

übernehmen. Dadurch würden die Genossinnen nicht nur Teil­nehmerinnen für die Demonstrationsversammlungen werben, son­dern auch ein gutes Stück Propaganda für das Frauenwahlrecht leisten. Es versteht sich, daß wie in den Vorjahren die sozialdemo­kratische Presse ihre Pflicht zur Unterstützung des Frauentags tut, und daß dieser sich der tatkräftigen Sympathie der gewerkschaft­lich organisierten Arbeiterschaft erfreut. Auch im Kampfe für das volle Bürgerrecht des weiblichen Geschlechts gibt es nur eine Arbeiterbewegung, die vom Geiste des Sozialismus beseelt ist.

Aus der Agitation. Im Auftrag der Parteileitung des Wahl­freises Bochum- Hattingen- Gelsenkirchen sprach die Unterzeichnete vor Weihnachten   in öffentlichen Voltsversammlungen über Hungersnot und Kriegsgefahr und Welchen politischen Organisationen müssen Männer und Frauen des werftätigen Volkes angehören?" Die ge­spannte politische Lage, der Balkankrieg und die Kriegsheze im In­und Ausland ließen mit einem starken Versammlungsbesuch rechnen. Aber die überfüllten Säle übertrafen weit unsere Erwartungen. Man muß dabei noch bedenken, daß die Versammlungen in eine Zeit greulicher Witterung fielen und daß Hunderte von Versamm lungsbesuchern oft eine Stunde Wegs in strömendem Regen zurück­zulegen hatten. Welch reges Interesse die Bergarbeiterbevölkerung den politischen Ereignissen entgegenbringt, zeigte sich namentlich an einem Sonntag. Geradewegs aus der Kirche strömten die Massen in das Versammlungslokal, das bald von Freund und Feind unserer Bewegung gefüllt war. Mit Besonnenheit und Ruhe, ihre Zustim mung oft durch Beifall fundgebend, lauschten die Versammelten dem Vortrag. In allen Versammlungen wurde unsere Resolution ein­stimmig angenommen, und zwar stimmten stets christliche und libe= rale so gut wie freiorganisierte Arbeiter ihr zu. Erklärlich genug, denn in der Resolution kam zum Ausdruck, daß die werktätigen Massen den Frieden wollen und das Wohl der Völker ihr höchstes Ziel ist. Die Versammlungen haben erfüllt, was die Parteileitung von ihnen erhoffte. Die Bergarbeiter, die Arbeiter der schweren Eiſenindustrie, die Zimmerer und Maurer, sie alle, die tagtäglich bei ihrem Beruf lauernden Gefahren mutig ins Auge blicken, waren mit ihren Frauen zu den Versammlungen gekommen und gelobten, für die Befreiung der Völker von Ausbeutung und Krieg zu kämpfen. Für die Partei und ihre Presse wurden schöne Erfolge erzielt, nicht minder aber auch für den Bergarbeiterverband. Marie Wackwitz  . Agitation im Elsak. Im Auftrag der Mülhauser Parteileitung sprach die Unterzeichnete in öffentlichen Versammlungen über Die gegenwärtige Not des Volkes und die Frauen" in folgenden zwölf Orten: Righeim, Burzweiler, Wittenheim  , Lutterbach  , Dornach, Hüningen  , Hegenheim  , Mülhausen  , Pfastatt, Sausheim, Habsheim und Jllzach. Die Versammlungen waren fast alle gut besucht. Ziehen wir die dortigen Verhältnisse in Betracht, so können wir mit un­serem Erfolg zufrieden sein. Hatten doch in manchen der Orte die Frauen es zum erstenmal gewagt, an einer Versammlung teilzu­nehmen. Zahlreich waren die Zuhörerinnen in Righeim, und 16 von ihnen gewannen wir für die Partei. In Hüningen   und Hegenheim   an der Schweizer   Grenze hat die Bevölkerung den Beweis deutlich vor Augen, wie die Wirtschaftspolitik der Herr­schenden in Deutschland   dem Volke das Fleisch verteuert. Denn jenseits der Grenzpfähle hat sie die Möglichkeit, in dem benach­barten Basel   das Fleisch billig einzukaufen. Freilich darf einer nur 4 Pfund davon zollfrei über die Grenze bringen. In Hegen= heim waren unter 200 Versammlungsteilnehmern 50 Frauen. Rührende Sorge um das leibliche Wohl der Sozialdemokraten ent­faltete die Polizeibehörde in Mülhausen  . In letter Stunde verbot sie die Abhaltung der Versammlung in dem dazu aus­ersehenen Saale, weil eine der Türen um 8 Zentimeter zu schmal war. Wie gut, daß dieser Fehler noch rechtzeitig entdeckt wurde! Die hohen Löhne und die billigen Nahrungsmittel verführen ja so manchen Proletarier, sich zu übermästen, wie leicht hätte einer von ihnen in der zu schmalen Türe stecken bleiben können. Nur schade, daß die elsäßischen Polizeibehörden nicht immer mit solchem Eifer über die Einhaltung der baupolizeilichen Vorschriften wachen. Sonst hätte es in Bühl   bei Gebweiler im vergangenen Sommer nicht geschehen können, daß eine Textilfabrik während des Be­triebs einstürzte, wobei einige Arbeiter getötet und mehrere schwer verletzt wurden. Trotzdem wir also in Mülhausen   noch im letzten Augenblick ein neues Lokal wählen mußten, war die Ver­sammlung überfüllt. 26 neue Genossinnen gelang es uns hier der Partei zuzuführen. Gut besucht war auch die Versammlung in JIIzach. Bu ihr hatten sich einige Herren von der Fortschrittlichen Volkspartei   eingefunden. In der Diskussion brachte ein Lehrer alt­bekannte Schlagworte gegen die politische Betätigung der Frauen vor. Das gab Gelegenheit, die Stellung der Fortschrittlichen Volfs­

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partei zur Frauenbewegung im allgemeinen und ihr feiges und unehrliches Verhalten in dieser Frage auf ihrem Parteitag zu Mannheim   im besonderen zu beleuchten. Auf der Versammlungs­tour wurden insgesamt an die 100 neue Mitglieder, meistens Frauen, für die Partei und Les r für die Mülhauser Volks­zeitung" gewonnen. Mögen die neuen Mitkämpfer und-kämpfe­rinnen mit freudiger Hingabe unsere Sache fördern helfen. Denn in jenen Gegenden mit ihrer ausgedehnten Textilindustrie gilt es, unermüdliche Aufklärungsarbeit sowohl auf gewerkschaftlichem wie auf politischem Boden zu leisten. In Fabriken, Kammgarn­und Baumwollspinnereien und in Webereien fronden über 20 000 Proletarier. Die meisten von ihnen sind Frauen und Mädchen, auch mehr als 2000 Jugendliche unter 16 Jahren sind in diesen Betrieben ins Arbeitsjoch eingespannt. Der geringe Verdienst des Mannes zwingt die Frau, in die Fabrik zu gehen. Müde und ab­gerackert kehrt sie abends zurück, um noch ihre Hausarbeit zu verrichten. Erschöpft und abgestumpft durch die ewige Fron findet sie nur schwer den Weg zu ihrer Organisation. Von den über 20 000 Textilproletariern gehören erst 2000 dem Textilarbeiter­verband an. Wie soll es aber da gelingen, die Arbeitsbedingungen dieser Ausgebeuteten wirksam zu verbessern? Noch Tausende Gleich­gültiger müssen aufgerüttelt werden, noch Tausende müssen sich in der politischen und gewerkschaftlichen Organisation sammeln und klassenbewußt gegen den Feind kämpfen: den ausbeutenden, knechtenden Kapitalismus  . Therese Blase.

Ein Feft für die Kinder in Frankfurt   a. M. Wie in vielen anderen Orten, so haben auch in Frankfurt am Main   unsere Genossinnen eifrig und mit Erfolg gewirkt, um den Arbeiterkindern zu erhöhtem Feriengenuß zu verhelfen. Im Sommer und Herbst führte eine Schar Frauen täglich Tausende Kinder gruppenweise ins Freie; auf dem Rasen und im Walde gab es fröhliche Spiele, ein­mal auch ein Massenabkochen und immer warme Milch mit Bröt­chen. Die kleinen Teilnehmer sollten täglich 5 Pf. Beteiligungs­gebühr entrichten, die auf Wunsch erlassen wurde. Natürlich mußten die Organisationen große Fehlbeträge decken. Unsere Genossinnen dachten nach, wie ein großer Spartopf anzufüllen sei, damit das Werk noch ergiebiger betrieben werden könne, und als Resultat kam die Idee eines Festes heraus, das am Sonntag den 12. Januar ge= radezu zu einem großen Ereignis wurde. Von dem üblen Beigeschmack bürgerlicher Wohltätigkeitsfeste war da gar nichts zu verspüren, die ganze Veranstaltung atmete solidarisches Empfinden und brüder­lichen Geist und wirkte als Erziehung zu künstlerischen Genüssen.

Frankfurt   besißt eine wunderbar schöne städtische Festhalle, der­gleichen man in Deutschland   nirgends trifft. Der edel gegliederte Bau faßt 15000 Personen und hat eine gute Akustik. Zweimal ließ der Arbeiterbildungsausschuß darin große Tonwerke aufführen: Händels Judas Mattabäus und Mendelsohns Walpurgisnacht; das verstärkte Opernorchester wirkte neben Solisten von der Oper und einer imposanten Schar Arbeiterfänger mit. Jede Aufführung übte tiefgehende Wirkungen aus. In dieser Festhalle fand auch die jüngste Veranstaltung statt. Bei ihr wirkte der schönste Rhythmus des Tanzes auf Sinn und Gemüt, und die Tanzenden waren Kinder. Hun­derte Teilnehmer an den Spaziergängen unterzogen sich eifrig in findlicher, herzerfreuender Lust den mühevollen Tanzstudien. Die Mütter bügelten und nähten, damit ihr Töchterchen in einem hüb­schen weißen Fähnchen mit Bändern antrefen konnte und der Bub als leibhaftiger Bauernjunge sich dem Reigen einordnete. Liebevoll und mit bewundernswerter Ausdauer widmete Herr Tanzlehrer Sprankel sich dem Unterricht der Kinder, und die reizenden Tanz­bilder bezeugten sein achtenswertes Talent. Ein Fahnenreigen, wie man ihn wohl öfter sieht, und vier Tanzreigen wurden geboten: Sinnbilder der Jahreszeiten. Insgesamt haben 650 Stinder mit­gewirkt. Arbeiterfänger, Turner, Radfahrer schufen durch ihre Dar­bietungen den Rahmen, den die tanzenden Kinder aufs lieblichste aus­füllten. Der Frühling, der mit Märzglöckchen Einzug hält; der bunte blumenschwere Sommer; als Herbstbild eine Bauernkirchweih; der weiße Winter mit Schneefappen: lauter feine Naturbilder in schöner Einfalt. Helle Lust ging von den Kindern aus, Jubel erfüllte die Alten. Das war ein herrliches Familienfest. In alten Chromifen liest man, wie etiva im mittelalterlichen Nürnberg   die ganze Stadt zum Anger zog, um die Meistersinger zu feiern und bei Spiel und Tanz sich zu ergötzen. Richard Wagner   hat davon einen Nachhall auf die Bühne gestellt. So echt und rein, so anspruchslos und doch im Sinne des Kunstgenießens wertvoll verlief das Frankfurter   Fest. Seine Veranstalter haben, vielleicht unbewußt und darum um so tiefer wirkend, einen wertvollen Beitrag zur Volkskultur geleistet. Die in aller Welt herumreisende Petersburger Ballettgesellschaft verschafft den oberen Zehntausend einen angenehmen Stigel, volkstümliche Wirkungen aber gehen von ihrem Auftreten nicht aus. Echt Volks­