Nr. 12

Die Gleichheit

ihrer Sache lezten Endes bei ihnen selbst stehen würde. Sie brachten verschiedene Zusazanträge zum Gesezentwurf ein, die die politische Gleichberechtigung des weiblichen Ge­schlechts sichern sollten. In unseren Kreisen trat man na­türlich für den Zusazantrag der parlamentarischen Ar beiterpartei ein, der das Wahlrecht für alle Groß­jährigen ohne Unterschied des Geschlechts forderte und damit also auch allen großjährigen Frauen ihre Gleichberechtigung gebracht haben würde. Er sollte von Henderson, einem Mitglied dieser Partei, begründet werden. Im Falle der Ab­lehnung zählten wir sicher auf die Annahme des Zusatz­antrags Dickinson. Er würde zwar nicht allen, aber doch einem beträchtlichen Teil der großjährigen Frauen das Wahl­recht verliehen haben, nämlich den Frauen, die allein oder zusammen mit ihrem Gatten einen eigenen Haushalt haben. Dadurch wären auch viele Arbeiterfrauen wahlberechtigt ge­worden.

Jedoch, welchen Zwed hat es, darüber zu reden? Als die Entscheidung über die Zusatzanträge vor der Türe stand, er­schien eine alte, moderige Vorschrift der parlamentarischen Geschäftsordnung auf der Bildfläche. Der Vorsitzende des Unterhauses gab die Erklärung ab, daß diese Vorschrift ihm als ordnungswidrig verbiete, den Regierungsentwurf erwei­tert durch einen der Zusazanträge aus dem Hause zur Ab­stimmung zu bringen. Denn durch eine solche Erweiterung sei aus dem ursprünglichen Entwurf ein neuer geworden, der entsprechend behandelt werden müßte. So wurde das Ver­sprechen des Ministerpräsidenten hinfällig, und die Parla­mentssession wird schließen, ohne daß in der Sache des Frauenwahlrechts eine Entscheidung gefallen ist.

Eines aber ist bei dem allem klar geworden. Daß sich die Frauen für die Erringung ihrer politischen Gleichberechtigung nur auf eine Partei verlassen können: die Arbeiterpartei. Ihre Mitglieder waren die einzigen, die von der Regierung forderten, sie müsse ihre Schuld gegen das Frauenrecht gut machen, entweder indem sie selbst einen Gesezentwurf einbringe, der das Wahlrecht für das weibliche Geschlecht festlege, oder aber wenigstens ihre volle Unterstützung einem entsprechenden Antrag aus dem Hause zusage. Allein die Arbeiterpartei hat noch mehr getan. Auf ihrem letzten Jahreskongreß zu London am 29., 30, und 31. Januar hat sie durch eine prächtige De­monstration ihre Entschlossenheit bekundet, mit allem Nach­druck für das Frauenwahlrecht einzutreten. Unter stür­mischem Beifall von mehr als 500 Delegierten machte es eine starke Mehrheit des Kongresses den Mitgliedern der Arbeiter­partei zur Pflicht, im Parlament keiner Wahlrechtsreform zugunsten der Männer zuzustimmen, wenn sie nicht gleich­zeitig auch den Frauen ihr politisches Bürgerrecht sichern würde. Der betreffende Antrag wurde von Genossin Simm unterstützt, Vorstandsmitglied der Liga für die Inter­essen der erwerbstätigen Frauen, jedoch alle übrigen Redner dazu waren Männer. Wir Genossinnen hielten es für das Richtige, daß bei dieser Gelegenheit nur Männer das Wort führten, denn wir wollten dadurch der Welt zeigen, daß in der Arbeiterbewegung die Männer für das Recht des weiblichen Geschlechts eintreten.

Mit dem Pfand dieser Stellungnahme in unserer Hand fönnen wir ruhig unsere Agitation fortsezen. Wir wissen, daß wir auf die Treue der Arbeiterpartei bauen können, und fordern alle Frauen auf, sich der Arbeiterbewegung anzu­schließen und für die zu kämpfen, die ihrerseits für die Frauen fämpfen, und zusammen mit ihnen Armut, Unwissenheit und Profitgier aus der Welt schaffen wollen. Die Arbeiterpartei allein ist in der letzten schweren Zeit eine zuverlässige Ver­teidigerin der Frauenrechte gewesen, denn sie weiß, wie wert­voll die Hilfe der Frauen in dem gewaltigen Ringen ist, das den breiten Massen des Volkes Freiheit und Frieden bringen soll. Der Kampf für die Wahlrechtsreform wird nun von der Arbeiterpartei im Parlament weitergeführt werden, und der Erfolg hängt von der Energie und Begeisterung ab, mit der die Arbeiterorganisationen, mit der die Massen der Werk­

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tätigen ihn unterstützen. Wir brauchen unseren Genossinnen in Deutschland nicht erst zu schildern, mit welchem Eifer die der Arbeiterpartei angeschlossenen sozialistischen Frauen Großbritanniens an die Arbeit gehen. Wir drücken ihnen herzlich die Hände und wünschen ihnen wie den Genos­sinnen aller Länder- einen raschen, siegreichen Ausgang unseres gemeinsamen Kampfes für das Bürgerrecht der Frau. Marion Phillips, London .

Aus der Bewegung.

Die Wahlrechtsresolution des Frauentags, die allen Ver­sammlungen zur Abstimmung vorgelegt worden ist, hat folgenden Wortlaut:

" Die fortschreitende Entwicklung des Kapitalismus revolutio­niert auch die soziale Stellung der Frau immer mehr. Allen Fähr­nissen des Lebens preisgegeben, wird die Frau durch die politische Rechtlosigkeit doppelt schwer belastet. Die volle Gleichberechtigung mit dem Manne darf der Frau nicht länger vorenthalten werden. Die Leistungen der Frauen im gesellschaftlichen Produktions­prozeß, die Pflichten, die sie unter großen persönlichen Opfern er­füllen als Mütter und als Hausfrauen, geben ihnen ein Recht auf soziale und politische Gleichberechtigung.

Die Sozialdemokratie ist die einzige Partei, die mit Entschieden­heit und Begeisterung den Kampf für das volle Bürgerrecht des Weibes führt.

Die Versammelten erklären deshalb, daß sie sich in die Reihen der Sozialdemokratie stellen und mit Leidenschaft und Ausdauer für die Erringung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts zu allen öffentlich- rechtlichen und politischen Vertre­tungskörpern für alle über 20 Jahre alten Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts kämpfen werden.

Die Versammelten geloben, mit Eifer sich nach wie vor am Kampfe gegen das reaktionäre Dreiklassenwahlrecht in Preußen beteiligen und nicht ruhen zu wollen, bis ein demokratisches Wahl­recht erobert ist.

Die Versammelten werden die Ausbreitung der sozialistischen Anschauungen fördern und an der Stärkung der sozialdemo­kratischen Organisation und der Verbreitung ihrer Presse unab­lässig mitwirken, denn die wachsende Macht der Sozialdemokratie ist die alleinige Gewähr für die Demokratisierung aller öffentlichen Einrichtungen und für die Befreiung der Arbeiterklasse von der Klassenherrschaft, wodurch auch der Frau erst volle Freiheit und Entfaltungsmöglichkeit verbürgt wird."

Von der Agitation. Im Januar veranstaltete die Parteileitung des dritten braunschweigischen Wahlkreises Versammlungen in den Orten: Schlewecke bei Harzburg , Harlingerode , Wolfhagen , Langolsheim, Seesen , Holzminden , Stadtoldendorf , Eschershausen, Drelingsen, Negenborn und Deensen . Sie standen im Zeichen der kommenden Gemeinderatswahlen, die in drei Klassen stattfinden. Die erste und die zweite Klasse be­herrschen in den Städten die Fabrikanten, auf dem Lande die Junker. Obwohl auch die dritte Selasse viele nichtproletarische Wähler umfaßt, ist es uns doch bisher gelungen, in Stadt- und Land­gemeinden Mandate zu erobern. Einzig der Ort Stadtoldendorf , der eine ziemlich starke Textilindustrie beherbergt, ist von sozial­demokratischen Gemeindevertretern noch frei. Drei ganze Männlein bilden in diesem Orte die erste Wählerklasse, in der zweiten Klasse sind es nur ein paar Wähler mehr und der dritten Klasse ge­hören der Bürgermeister, Ärzte, Apotheker, Beamte und Klein­meister an. Sogar von ihr sind die Arbeiter so gut wie ausge­schlossen. Die Erwerbung des Bürgerrechts wird ihnen obendrein durch allerhand Scherereien erschwert. Bürgerwerden kostet 9 Mt., Gebühren, die bei dem kärglichen Verdienst des Arbeiters eine große Ausgabe darstellen. Wenn Proletarier das Bürgerrecht er­werben wollen, so weist sie vielfach der Bürgermeister aus ganz nichtssagenden Gründen ab und erklärt ihnen, es habe für sie doch feinen Zwed, Bürger zu werden. Unsere Parteigenossen lassen sich. natürlich trotzdem angelegen sein, auch in dieses Gemeindeparla­ment einzudringen. Die Versammlungen waren alle sehr gut bc­sucht. Namentlich bewiesen die Frauen reges Interesse für das be­handelte Thema: Die Frauen und die Politik. Eingehend schilderte die Referentin die jeßige politische Lage in Deutschland , die Herr schaft der Junker im Verein mit den großen Industrie- und Geld­fapitalisten und die uferlosen Rüstungen für Heer und Marine. In der sehr gut besuchten Versammlung in Holzminden mehr als zwei Drittel der Anwesenden waren Frauen erstattete nach dem Referat unser Gemeindevertreter Genosse Martin Be­

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