Nr. 12
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Die Gleichheit
Merseburg ist allerdings der größte Ort des Kreises. Hier haben unsere Genossinnen vorigen Sommer Diskussionsabende geschaffen, die stets gut besucht waren. In Merseburg wirkt das Erwachen der Arbeiterfrauen und ihre Betätigung aufmunternd auf manche Männer ein. Hier gibt es leider noch Arbeiter und ihre Zahl ist nicht gering, die den Schlaf nicht abzuschütteln vermögen, und die der Parteiorganisation fernbleiben. Da ist es vorgekommen, daß die Frau zuerst politisch organisiert war und nicht ruhte, bis der Mann nachgehinkt kam. Ihr war gelungen, was die besten Genossen nicht fertig gebracht hatten. Jetzt stehen wir vor zwei Wahlen: zunächst der Landtagswahl und im Herbste der Stadtverordnetenwahl. Vergessen wir nicht, daß bei der letzten Stadtverordnetenwahl in Merseburg 628 Wähler nicht zur Urne ge= gangen sind, die in ihrem eigenen Interesse für die Sozialdemofratie hätten stimmen sollen. Ihr Fernbleiben verschuldete, daß die Wahl nicht zu unseren Gunsten ausfiel. Diese Tatsache zeigt uns, wie notwendig es ist, daß die Genossinnen und Genossen nicht in dem Bestreben erlahmen, die schlummernden Proletarier zu er= wecken, die Lauen und Flauen mit Energie und Begeisterung zu erfüllen. Teuerung, Rechtlosigkeit, Ausbeutung und Kriegsgefahr find aufklärende Dinge, sorgen wir dafür, daß ihre Lehre verstanden wird. Geschieht das, so werden wir bei den kommenden Wahlen gut abschneiden. Genossinnen und Genossen! Auf zur Agitation, zum Rampfe gegen unsere Bedrücker, für den Sozialismus! K. Herz.
Politische Rundschau.
Der 11. Februar hat die sozialistische Internationale in tiefe Trauer gestürzt. An diesem Tage erschoß in Wien ein christlich sozialer Arbeiter einen der Besten unter den Führern des österreichischen Proletariats, den Genossen Franz Schuhmeier . Welch scheußliche Verwüstungen richtet der Kapitalismus und der in seinem Dienste tätige Klerikalismus in der Arbeiterklasse an, wenn es dahin kommen konnte, daß ein Proletarier nicht bloß zum Verräter an seiner Klasse, nein, sogar zum Mörder an einem Vorkämpfer seiner Klasse wurde, zum Mörder an einem Manne, dessen Leben aufging in der Arbeit für die Befreiung der Proletarier. Die bürgerliche Presse heult über den Terrorismus der Sozialdemokratie, der den Mörder zur Verzweiflung und zu feiner Tat getrieben haben soll. Das ist bereits urkundlich widerlegt durch die von Unternehmern beglaubigte Feststellung, daß Sunschat jahrelang arbeiten konnte, ohne von den organisierten Arbeitern behelligt zu werden. Sie hatten wohl Grund, dem Burschen zu grollen, der sich nicht nur geweigert hatte, seiner Berufsorganisation beizutreten, sondern der auch die erste Anflage und Verurteilung wegen Erpressung über Arbeiter gebracht hatte, als sie die Arbeitsgemeinschaft mit ihm zurückwiesen. Wohl wallte damals das Blut der klassenbewußten Arbeiter zornig auf, aber sie ließen dann den Glenden ruhig laufen. Die Darstellung, daß die Not, die ihre Verfolgung über Kunschat gebracht habe, ihm den Revolver in die Hand drückte, ist glatt erlogen. Was natürlich nicht hindert, daß diese Lüge von der bürgerlichen Presse ohne Bedenken weiterverbreitet wird. Soll sie doch das Geschrei der Scharfmacher nach der Erdrosselung des Koalitionsrechtes rechtfertigen. In Wahrheit ist lebten Grundes der Kapitalismus der Schuldige an dieser Meucheltat. Er ist es, der, um die Arbeiterklasse niederzuhalten, ihre Einigkeit zu verhindern sucht, der durch verwerfliche Mittel Verräter in ihren Reihen züchtet. Teils tauft er Proletarier, teils gelingt es ihm, durch Zwang oder auf Umwegen, mit Hilfe der Kirche, durch Aufpeitschung religiöser und nationaler Instinkte Scharen rückständiger Arbeiter von ihren Klassengenossen fernzuhalten. Blind gegen ihre wahren Interessen, halten die Irregeführten die für ihre Befreiung Kämpfenden für ihre Feinde. Planmäßig wird der Kampf von Arbeitern gegen Arbeiter geschürt, ein Kampf, in dem es ohne Wunden nicht abgeht. Was die Gegner Terrorismus der Arbeiter nennen, ist weiter nichts als deren Notwehr gegen Schädlinge, die ihnen in ihrem Befreiungskampf in den Rücken fallen. Wenn es au solcher Notwehr kommt, kommen muß, wenn einzelne darunter leiden, so tragen jene die Schuld daran, die solche Schädlinge bewußt züchten, die Unternehmer und die Pfaffen. Ihre Heze gegen die Arbeiterklasse und das Vorgehen von Polizei und Gerichten, das diese Heze ergänzt, hat in den stumpfen Gehirnen mancher Arbeitswilligen schon die Vorstellung geweckt, organisierte Arbeiter seien vogelfrei und könnten ungestraft totgeschlagen und totgeschossen werden. Sie hat auch im Kopfe Kunschaks den Mordplan reifen lassen. Offenbar spielt bei der Entstehung dieses Planes auch die Enttäuschung und die Wut des fanatischen Christ
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lichsozialen mit. Er mußte gerade in der letzten Zeit sehen, wie seiner Partei Niederlage auf Niederlage von der Sozialdemofratie beigebracht wurde, und diese Schläge trafen nicht zuletzt seinen Bruder, den christlichsozialen Abgeordneten Kunschak . In dem Feldzug gegen die korrupten Christlichsozialen hat aber Schuhmeier an vorderster Stelle gestanden, und gegen Schuhmeier hat sich der Haß der Geschlagenen vor allem gerichtet. Aber dafür hingen auch die Wiener Arbeiter an dem Gehaßten. Sic wußten, daß dieser Mann, der aus ihrer Mitte hervorgegangen war, der ihre Sprache sprach, der ihre Leiden mitlitt, für sie lebtc. Und sie haben es tief empfunden, daß er für sie gestorben ist. Sie haben es ihm gedankt: ein Leichengefolge, wie es Franz Schuh meier geworden ist, hat Wien noch nicht gesehen.
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Die Angaben über die neue Militärvorlage verdichten sich. Zu Ostern schon soll sie dem Reichstag präsentiert werden. Und kosten soll sie pro Jahr 150 Millionen Mark. Der jezigen Vorlage gingen die von 1911 und 1912 voraus, die auch nicht billig waren. Die neue aber soll mindestens so viel kosten wie ihre zwei Vorgängerinnen zusammen. Innerhalb ziveier Jahre wären die jährlichen Ausgaben für die Landrüstung somit um 800 Millionen Mark gesteigert worden. Der Wahnsinn des Wettrüstens geht unaufhaltsam weiter schon kommt die Antwort von jenseits des Rheins. Frankreich macht krampfhafte Anstrengungen, mit Deutschland Schritt zu halten. Die neue deutsche Heeresverstärkung, die nach der Behauptung unserer bürgerlichen Politiker eine fräftige Friedenssicherung ist, wird von den bürgerlichen Parteien Frankreichs als eine schwere Bedrohung angesehen, und sie hat die Kriegsgefahr aufs neue gesteigert. Nur das klassenbewußte Proletariat beider Länder behält den Kopf klar und bekundet hüben wie drüben den festen Willen, den Rüstungstaumel aus aller Straft zu bekämpfen. Jm bürgerlichen Lager aber findet der militaristische Wahnsinn feinen Widerstand. Frankreich , dessen Bevölkerung stillsteht, kann Deutschland in der Vermehrung der Truppenzahl nicht mehr folgen. Daher denkt seine Regierung daran, den einzigen demokratischen Fortschritt, der seit langem auf militärischem Gebiet gemacht wurde, die zweijährige Dienstzeit, wieder aufzuheben und die dreijährige oder doch die zweieinhalbjährige einzuführen, damit wenigstens das stehende Heer vergrößert werde. So werden auf beiden Seiten des Rheins die Lasten der Völker gewaltig gesteigert und die Gegensätze zwischen ihnen gefährlich verschärft. Der Abschluß des Marokkovertrags wurde uns hoch gepriesen, weil er eine Quelle der Kriegsgefahr verstopft hätte der Vertrag sollte ja viele Reibungen zwischen Deutschland und Frankreich beseitigen und zu einent schiedlich- friedlichen Verhältnis führen. Diese Erwartung hat sich als Trugbild erwiesen. Freilich hat Deutschland nunmehr den Entschluß fundgegeben, das Wettrüsten auf dem Meere gegen England vorläufig etwas zu dämpfen. In der Budgetkommission erklärie fich Marinestaatssekretär v. Tirpik damit einverstanden, daß die deutsche Schlachtflotte zur englischen in einem Verhältnis von 10 zu 16 gehalten werde, ein Sträfteverhältnis, das England nach Erflärungen seiner Regierung behaupten will. Jedoch was vorläufig auf dem Wasser gespart wird, das wird zu Lande verpulvert, und was etwa an Verbesserung der deutsch - englischen Beziehungen gewonnen wird, das wird durch die Verschärfung des deutsch - französischen Gegensages aufgewogen. Und wenn erst die„ Lücken" der Landrüftung ausgefüllt sind, so wird das Flottenwettrüsten wieder in gesteigertem Tempo losgehen. Denn die Marineleitung hat nur für eine mehr oder minder kurze Frist den Maßstab 10 zu 16 angenommen späteren Veränderungen ist damit nicht vorgebeugt. Wer aber soll die ungeheuren Lasten zahlen, die die Riesenrüstungen zu Lande bedingen? Das ist die Frage, die jetzt den geheimen Zentralpunkt aller Erwägungen unserer bürgerlichen Barteien bildet. Den geheimen; denn in der Öffentlichkeit huscht man gern und leichthin über diese kizlige Frage hinweg. Aber all die Angriffe, die Zentrum und Junker von verschiedenen Seiten gegen die Regierung richten, dienen dem Ziele, sie in der Besitzsteuerfrage dem schwarz- blauen Willen so gefügig zu machen, daß von dem Projekt dieser Steuer nichts mehr übrig bleibt. Um der schlappen" Regierung möglichst viel Schwierigkeiten zu bereiten, schrien sich die Junker auf den Tagungen der agrarischen Woche schier heiser nach dem Ausnahmegesetz wider die Arbeiterklasse der Brutalfte der Dstelbier, der Staatsstreichschwärmer v. Oldenburg auf Januschau suchte auf der Generalversammlung des Bundes der Landwirte dieser Forderung durch den niederträchtigen Hinweis auf das englische Brügelstrafgesetz gegen Zuhälter mehr Nachdrud zu geben. Alle Kazbuckeln Bethmann Hollwegs, der den im Landwiri schaftsrat versammelten Herren allerlei Freundlichkeiten sagte, verfängt bei den zielbewußten Junkern nicht. Das Zentrum be gnügt sich nicht mit Worten, es versetzt Nadelstiche, indem es die
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