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Die Gleichheit

solches Ansinnen entschieden ab. Der Schiedsspruch kann nach ihrer wohlbegründeten Meinung nur als Ganzes angenommen oder abgelehnt werden.

Aus dieser Erwägung heraus verzichteten auch die Arbeiter fast aller Vertragsgebiete für jetzt auf weitergehende Forderungen, als sie der Schiedsspruch zubilligt, und erklärten sich für die Annahme. Diese Stellungnahme ist auch nicht überall ohne Widerspruch er­folgt, mußten doch berechtigte Wünsche der Arbeiter unerfüllt bleiben. In Stargard  , Stegliz, Danzig   und Ratto­witz haben sich sogar die Versammlungen des Deutschen Holz­arbeiterverbandes gegen die jeßige Neuregelung ausgesprochen. Nun haben aber auch die örtlichen Verhandlungen über die nicht durch Schiedsspruch geregelten Differenzpunkte seither noch wenig abschließende Ergebnisse gezeitigt. An einigen Orten haben die Arbeitgeber ihrem Unwillen über den zentralen Abschluß durch Entlassung einzelner Arbeiter oder durch Zurückhaltung neuer Affordarbeit Ausdruck gegeben. Ihr Vorgehen erklärt sich wohl aus der bisherigen Scharfmacherei des Arbeitgeberverbandes, läßt sich aber keineswegs mit dem abgeschlossenen Waffenstillstand ver­einbaren. In 3oppot bei Danzig   haben die nicht organisierten Unternehmer sogar am 15. Februar ihre Arbeiter einfach entlassen, weil bis dahin ein neuer Tarifvertrag nicht zum Abschluß ge= kommen war. Es liegt also gegenwärtig noch so viel Konfliktstoff in der Luft, daß eine endgültige friedliche Erledigung der Tarif­erneuerung auf der ganzen Linie durchaus nicht wahrschein­lich ist.

Genossenschaftliche Rundschau.

fk.

Vor einiger Zeit kam ein Fall zur Entscheidung, der von großer Bedeutung für die Auslegung des Genossenschafts­rechts und für die Betätigung der einzelnen Mitglieder inner­halb der Genossenschaft ist. Es handelte sich darum, ob ein Mitglied deshalb von der Genossenschaft ausgeschlossen werden kann, weil es bei Wahlen von Verwaltungsmitgliedern sich politisch be­tätigt", das heißt die Zugehörigkeit der oder des Kandidaten zu ciner bestimmten politischen Partei für die Wahl mit in Betracht gezogen hat. Ein Mitglied eines Konsumvereins war aus diesem Grunde von der Gesamtverwaltung der Genossenschaft ausgeschlos­sen worden. Das Oberlandesgericht zu Stuttgart  , das über die Angelegenheit schließlich zu entscheiden hatte, fonnte ein Urteil in der Sache selbst nicht fällen. Denn der Kläger   hatte den Form­fehler begangen und hatte gegen den Ausschluß durch die Verwal­tung nicht Beschwerde bei der Generalversammlung eingelegt. Das Oberlandesgericht gab aber trotzdem ganz eindeutig zu erkennen, daß darin noch kein Verstoß gegen das Genossenschaftsgesetz zu crblicken sei, wenn jemand als Sozialdemokrat von sozialdemo= kratischer Seite zur Wahl in die Verwaltung einer Genossenschaft cmpfohlen und schließlich auch gewählt würde. Die Hauptsache sei, daß der Gewählte auch die erforderliche Befähigung zur Aus­übung seines Amtes habe. Damit hatte das oberste württem= bergische Gericht sich auf denselben Standpunkt gestellt, den wir immer vertreten haben. Die Entscheidung rollte aber eine andere formalrechtliche Frage auf. Nämlich die, ob der Hinweis auf die Generalversammlung in einem derartigen Falle auch dann in Ordnung ist, wenn das Statut der betreffenden Genossenschaft eine besondere dahingehende Bestimmung nicht enthält. Ob also, wenn diese Bestimmung fehlt, der Ausschluß durch die Verwal= tung als für die Genossenschaft bindend anzusehen und nur die Nechtsklage dagegen übrig ist, oder ob selbst dann Beschwerde an die Generalversammlung der Klage beim Gericht voran­zugehen hat.

Das preußische Kammergericht hat nun im vorigen Jahre eine hier einschlagende Entscheidung getroffen, die von allgemeinem Interesse für die Genossenschaftsbewegung ist. Der Fall lag nach den Entscheidungsgründen folgendermaßen: Der Kläger   ist durch Beschluß von Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten aus der Genossenschaft ausgeschlossen worden. Er beansprucht Feststellung, daß dieser Beschluß ungültig sei. Die Beklagte hat in erster Reihe eingewendet, daß die Beschreitung des ordentlichen Rechtswegs so lange unzulässig sei, als nicht der Kläger   die Entscheidung der Generalversammlung angerufen und die Generalversammlung eine Entscheidung über den Ausschließungsgrund gefällt hat. Unterstellt man zunächst, daß die Sabungen der Beklagten gegen­über einem Ausschließungsbeschluß des Vorstandes und Aufsichts­rats eine Berufung an die Generalversammlung vorsehen, so ist in diesem Falle der Einwand der Beklagten begründet. Denn es ist anerkannten Rechtens, daß die Ausschließung aus einer Ge­nossenschaft gerichtlich nicht vor Erschöpfung des fazungsmäßigen

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Instanzenzugs angefochten werden kann. Dies folgt aus der Auto­nomie, die die Genossenschaften befizen und die für alle Genossen bindendes Recht schafft, soweit nicht zwingende Bestimmungen des allgemeinen und besonderen Vereinsrechts sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze entgegenstehen, daß gegen die guten Sitten und gegen ein gesetzliches Verbot nicht verstoßen werden darf. Freilich kann die Genossenschaft durch ihre Satzungen das Recht des Mit­glieds nicht beseitigen, die Rechtsgültigkeit seiner Ausschließung durch die ordentlichen Gerichte nachprüfen zu lassen. Sie hat aber volle Freiheit darin, die Organe zu bestimmen, die die Aus­schließung zu bestimmen haben. Und sie ist berechtigt, einen ge­wissen Instanzenzug in Ansehung dieser Organe mit dem Er­gebnis vorzuschreiben, daß nur der Ausschließungsbeschluß des als höhere Instanz vorgeschriebenen Organs als endgültig zu gelten hat und dementsprechend allein der Anfechtung im Rechtsweg unterliegt. Diese Beschränkung der Anfechtung ist ohne weiteres dann als gewollt anzusehen, wenn eine Berufung an ein weiteres Gesellschaftsorgan gegen den Ausschließungsbeschluß nach den Sabungen zulässig ist. Im Statut heißt es allerdings nur: Die Ausschließung erfolgt durch Beschluß vom Vorstand und Auf­sichtsrat." Es ist nicht ausdrücklich erwähnt, daß gegenüber einem solchen Beschluß die Beschwerde an die Generalversammlung zu­lässig ist. Es bedurfte aber auch an dieser Stelle gar nicht mehr der ausdrücklichen Aufnahme einer Bestimmung dahin, daß gegen den Ausschließungsbeschluß die Beschwerde an die Generalver­sammlung gegeben sei. Denn bereits in dem unmittelbar vorher­gehenden Abschnitt ist mit klaren Worten zweifelsfrei der Ge­danke zum Ausdruck gelangt, daß gegen alle Beschlüsse des Vor­stands und Aufsichtsrats a usnahmslos die Beschwerde an die Generalversammlung gegeben ist. Also selbst dann, wenn im Statut ganz allgemein das Beschwerderecht gegen Be­schlüsse der Gesamtverwaltung vorgesehen ist, fällt darunter auch die Beschwerde gegen den Ausschluß. Das entspricht durchaus dem Geiste der demokratischen Verfassung der Genossenschaften. In einem bürgerlichen Genossenschaftsblatt ist aber der Einwand erhoben worden, daß der Ausgeschlossene doch eigentlich nicht mehr in die Generalversammlung kommen und seine Beschwerde vertreten könne. Diese Auffassung ist aber offensichtlich falsch. Denn wenn Beschwerde gegen den Ausschluß durch die Verwaltung an die nächste Generalversammlung eingelegt ist, dann bleibt der so Aus­geschlossene eben vollberechtigtes Mitglied, bis die Generalver­sammlung über seine Beschwerde entschieden hat. Erst wenn sämt­liche in Betracht kommenden genossenschaftlichen Instanzen ent­schieden haben, kann der Rechtsweg in Weiterverfolgung der Sache beschritten werden.

Am Anfang des Jahres 1912 bestanden im deutschen Reich im ganzen 31 771 eingetragene Genossenschaften gegen 30 489 be= ziehungsweise 29 437 in den beiden Vorjahren. Von den Genossen­schaften im Berichtsjahre waren 20 195 mit unbeschränkter Haft­pflicht, 161 mit unbeschränkter Nachschußpflicht und 11 415 mit be­schränkter Haftpflicht ausgestattet. Von den einzelnen Gruppen stehen die Kreditgenossenschaften mit 18 126 an erster Stelle, danach folgen 3829 landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften und darauf die Konsumbereine mit 2355 an der Zahl. Die nächst­stärkste Gruppe sind die 2124 landwirtschaftlichen Rohstoffgenossen­schaften. Die landwirtschaftlichen und kleingewerblichen Genossen­schaften spielen überhaupt eine große Rolle in Deutschland  . Sie bekämpft man aber nicht, nur gegen die Konsumvereine der Ar­beiter können die Mittelständler und ihre politischen Nuznießer den Mund nicht weit genug aufreißen. über die Mitglieder­zahlen der Genossenschaften liegen neuere Angaben noch nicht vor. Die letzten reichen zurück auf den 1. Januar 1910. Damals wurden insgesamt 4 877 850 Genossenschaftsmitglieder ermittelt. Nach den Unterlagen des Reichsarbeitsblattes bestanden 1889 in Deutsch­ land   6700 Genossenschaften mit zirka 1 Million Mitglieder, 1 bis 1 Milliarden Mark Aktiven und 5 Milliarden Mark Umsatz. Für 1912 ergeben sich bei annähernd 32 000 Genossenschaften und 5 Millionen Mitgliedern 6 Milliarden Mark Aktiven und 27 Mil­liarden. Mark Umsaz. Am entwicklungsfähigsten sind noch die Konsumvereine.

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Vor einigen Wochen ist der bisherige erste Vorsitzende des Zen­tralverbandes deutscher   Konsumbereine, Herr Mar Radestod, nach einer langen, schweren Krankheit in Langebrück   bei Dresden  gestorben. Radestock war wohl eine der bekanntesten Persön= lichkeiten nicht nur in der deutschen  , sondern auch in der inter­nationalen Konsumvereinsbewegung. Er war bis kurz vor seinent Tode Geschäftsführer des Konsumvereins Dresden- Pieschen und bekleidete außer dem ersten Ehrenamt im Zentralverband auch noch das des Direktors des sächsischen Unterverbandes. Als Parteigenoffe