Nr. 13

Die Gleichheit

Quelle reicher Belehrung geworden ist. Indem sie das Lassalle- Pfaffentum vernichtet, baut sie zugleich die sicherste Schußwehr auf gegen ein Marr- Pfaffentum.

Das Offene Antwortschreiben weht heute nicht mehr als Fahne dem kämpfenden Millionenheer des deutschen Prole­tariats vorauf. In allen Einzelheiten ist es überholt, und auch das Zeichen, von dem Lassalle in den Schlußworten sagte, daß es kein anderes" für die Arbeiterklasse gebe, sehen wir heute mit anderen Augen an als Lassalle. Zwar hat er auch darin recht behalten, daß er das allgemeine Wahlrecht als proletarische Waffe viel höher einschäßte als Marx und Engels, die im Hinblick auf die Erfahrungen des zweiten Kaiserreiches nicht gar viel davon wissen wollten. Auch bildete er sich nicht ein, daß je auf parlamentarischem Wege allein die Arbeiterklasse befreit werden könne; er pflegte seinen An­hängern zu sagen: Wenn ich vom allgemeinen Stimmrecht spreche, so müßt ihr immer Revolution darunter verstehen. Aber es gibt noch andere Zeichen", unter denen die deutsche Arbeiterklasse kämpft und siegen wird: so die Gewerkschaften, denen das Offene Antwortschreiben nach seinem ganzen Ge­dankengang den Weg versperrte.

Als zerschossenes Banner hängt es in der Ruhmeshalle der deutschen Arbeiterklasse, ein Zeuge rühmlicher Kämpfe und Siege. Und indem wir es an seinem fünfzigsten Geburtstag grüßen, huldigen wir zugleich den drei führenden Geistern der deutschen Sozialdemokratie.

Franz Mehring in der Neuen Zeit".

Luise Otto- Peters .

( Fortsetzung.)

Früh um 4 Uhr hörte Luise die Leute im Nebenhaus die Treppe hinabpoltern und erfuhr, daß sie in stockdunkler Nacht auf verschneiten Wegen oft stundenlang bis zu jenen Fabriken wandern mußten, die ihre Bewunderung erregt hatten. Sie crfuhr, daß viele ohne Frühstück mit leerem Magen zur Arbeit gingen. Sie sah den Lurus der Fabrikherren, hörte, wie nicht­achtend sie von den Arbeitern sprachen; oftmals wenn die Bälle der Unternehmer erst endeten, gingen die Arbeiter schon wieder an ihr Tagewerk. Luise lernte schaudernd das ganze Elend erzgebirgischer Proletarier kennen. Sie hatte noch nichts von der tiefen Kluft zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten gewußt, hier aber sah sie diese vor sich. Lange bevor Luise Otto etwas von Kommunismus oder Sozialismus gehört hatte, stellte auch sie die Frage, die so viele Denkende und Fühlende seit Beginn des Kapitalismus gestellt haben: Warum leben die einen in Wohlstand, die anderen in Not und Entbehrung?" Die richtige Antwort, die der Sozialismus gibt, ist nie bis zu ihrer Seele gedrungen.

Ihrer tiefen Erschütterung über das geschaute Elend gab sie in dem Gedicht:" Im Erzgebirge " Ausdruck.* In schlaf­Ioser Nacht sieht sie im Hause gegenüber beim matten Lampen schein die Klöpplerin sizen:

,, Sie klöppelt nicht für Mutter oder Kinder, Sie flöppelt nur, daß sie nicht selbst erfriere, Daß sie sich ehrlich trocknes Brot gewinne, Ihr einzig Gut, die Unschuld, nicht verliere, Der längst der reiche Lüstling nachgestellt, Sie klöppelt, daß sie nicht aus Hunger fällt."

An der Nebenwand hört sie den Webstuhl gehen. Der Weber arbeitet auch noch um Mitternacht:

,, Wie diese Winternacht ist all sein Leben! Er hat es ruh- und friedenlos verbracht,

Er hörte Tag und Nacht nicht auf zu weben,

Und kaum, daß er erhielt den siechen Leib, Des Elends Bildnis ist so kind als Weib."

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In Öderan war aus der weltfremden Dichterin, die für den Völkerfrühling schwärmte, eine scharfblickende Kämpferin gegen die Leiden der Arbeiter geworden. In Dresden , wohin sie im Januar 1841 zum Besuch einer Freundin ging, er­wachte zum erstenmal das Weib in ihr. Sie hatte sich zu­geschworen, nur der Befreiung der Völker und der Frau ihr Leben und Dichten zu weihen. Nun brach die Liebe über fie herein, eine glückliche Liebe. Eine lange Dauer war diesem Frühling nicht beschieden, die Schwindsucht entriß Luise den Verlobten bald. Wieder wurden Studium, Natur und Dicht­kunst ihr Trost. Sie träumte von Dichterruhm und sah sich in ferner Zukunft als die Führerin von Deutschlands Frauen, konnte jedoch einstweilen niemand finden, der ihre Werke vor die Öffentlichkeit gebracht hätte. Endlich ver­schaffte ihr die Vermittlung eines Verwandten einen Ver­leger, allein nicht für ihre Gedichte, sondern für einen Roman, den man ihr zu schreiben empfahl, weil er mehr Aussicht auf Absatz habe. 1842 erschien in der Folge ihr Erst­ling in Prosa, Ludwig der Kellner", ein sozialer Roman. Heute ist er längst vergessen, aber damals bedeutete er eine Tat und trug Luise die Feindschaft der sogenannten guten Gesellschaft ein. Bemerkenswert sind einige Worte aus der Vorrede:... Wir haben Frühlingsanfang, und kommt der Frühling nicht heute, so kommt er doch bald." Nach wei­teren Veröffentlichungen wurde sie Mitarbeiterin an einigen damals erscheinenden freiheitlichen Zeitschriften, unter an­derem an den von Robert Blum herausgegebenen demo­kratischen Vaterlandsblättern". Mit Robert Blum und vielen anderen Freiheitskämpfern der vierziger Jahre wurde Luise bald durch innige Freundschaft verbunden. Luise mußte ihre Arbeiten zunächst unter dem Pseudonym Otto Stern veröffentlichen. Kein Verleger wollte sie herausgeben, wenn sie mit dem Namen der Verfasserin gezeichnet würden, weil wie der Leiter der Gartenlaube" erklärte- ,, es

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nicht üblich sei, daß Damen über derartige Dinge schrieben". Unter ihrem eigenen Namen trat Luise Otto zum erstenmal 1843 in die Öffentlichkeit, und zwar in ihrer Vaterstadt Meißen . Dort fand ein Sängerfest statt, wo- wie fast stets in jener Zeit die Sehnsucht nach politischer Freiheit zum Ausdruck kam. Und die junge Dichterin war es, die dieser Sehnsucht ihre Sprache lieh. Sie feierte:

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Die Saat in segensreichen Halmen, Zu der wir hoffend jetzt den Samen streun: Solch Samenkorn laßt dieses Fest auch sein!"

Der Erfolg des Gedichts war ein so starker, daß mehrere Sängervereinigungen der Verfasserin ein Ständchen brachten.

1844 verwendete Luise Otto das Honorar für einen Roman zur Erfüllung eines lang ersehnten Wunsches. Sie unter­nahm allein und selbständig eine Reise durch Deutschland . Das war zu jener Zeit eine Tat, über die alle guten Bürger erstaunt oder auch mißbilligend den Kopf schüttelten. Die Frucht der Reise war ein Bändchen: Frauenleben im Deutschen Reiche ", in dem sie beredt Sitten und Gewohn­heiten der Frauen ihrer Zeit schilderte. Am Tage nach ihrer Rückkehr schrieb sie in ihr Tagebuch: Was habe ich nicht alles gesehen und erlebt auf dieser Reise! Unterwegs wie schon hier bin ich zu dem Bewußtsein gekommen, daß ich einen Namen habe, Anerkennung und Teilnahme finde, wie ich nie erwartet mich faßt es oft wie ein Schwindel, das Herz ist übervoll und meine Seele wie auf Flügeln."

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Im Frühjahr 1845 war Quise Otto in Leipzig Zeuge der blutigen Ereignisse, des Zusammenstoßes zwischen Volk und Militär. Sie und andere Gesinnungsgenossen schlossen sich enger zusammen, die Gutgesinnten" zogen sich von ihr zu­rück, bei den Behörden begann sie mißliebig zu werden. Ihr

Den Priestern, die all dies Elend ruhig mit ansehen, flucht fie: Leben ging mehr und mehr auf in den Interessen der Ge­

Dann werde euer Sterbetissen

Der Armen Fluch und all ihr Leid!"

* Die Daten usw. sind entnommen aus: Luise Otto- Peters . Ein Lebensbild von Auguste Schmidt und Hugo Rösch . Leipzig 1898, Voigtländers Verlag.

samtheit. Im Jahre 1847 übergab sie zwei Büchlein der Öffentlichkeit Die Lieder eines deutschen Mäd­chen3" und Schloß und Fabrik". In dem letzteren Buche hat sie unter dem Einfluß des sozialen Romans in Frankreich die Eindrücke verarbeitet, die sie als junges

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