198
Die Gleichheit
48 Staaten, und 10 davon haben bereits das aktive und pasfive Frauenwahlrecht eingeführt. Alle diese Staaten liegen im Westen des Mississippistromes, drei davon an der Küste des Stillen Ozeans. Das weist darauf hin, in welchem Teil der Republik das Frauenwahlrecht zuerst verwirklicht werden wird. Ihr Westen ist Neuerungen zugänglicher als der mehr konservativ gerichtete Often. In einigen der westlichen Staaten besteht das Frauenwahlrecht schon seit vielen Jahren, vier von ihnen haben es während der letzten Kampagne zur Präsidentenwahl eingeführt.
Kolorado gehört zu den Staaten, deren politisches Leben wegen der Wirkungen des Frauenwahlrechts beson ders aufmerksam verfolgt worden ist. Die darüber vorliegen den Berichte lauten verschieden. Viele behaupten, daß die politische Gleichberechtigung der Frau die politische Atmosphäre gereinigt und die Geseze zugunsten der Frauen und Kinder vermehrt habe. Die Wahrheit ist, daß die Einführung des Frauenwahlrechts den Charakter des politischen Lebens in Kolorado nicht verändert hat. Die Frauen stimmen genau wie die Männer des Staats nach ihren wirtschaftlichen Interessen. Es ist wahr, daß eine große Zahl von Gesetzen zum Schuße von Frauen und Kindern angenommen worden sind, aber keine Gesetze, die sich auf die Arbeitsbedingungen beziehen. Die Arbeiterschutzgesetze, die den Proletariern in den Fabriken und Bergwerken zugute kommen, sind durch die Initiative der Frau in Kolorado nicht verbessert worden. Was an gesetzlichem Arbeiterschutz besteht, das ist durch die männlichen und weiblichen Arbeiter selbst erzwungen worden, und die Arbeiterschutzgesetze sind in Kolorado nicht besser als in anderen Staaten, wo das Frauenwahlrecht nicht besteht. Auf einem Gebiet sind die Frauen in Kolorado tätig gewesen. Sie ließen sich angelegen sein, Geseze zu sichern, die das Schuhalter minderjähriger Mädchen gegen Verführung erhöhen, Gesetze, die das Verfügungsrecht der Frauen über ihr Eigentum erweiterten und der Mutter das Recht verliehen, zusammen mit dem Vater die Vormundschaft über die Kinder auszuüben. Alle diese Geseze beziehen sich auf die Stellung der Frau als Angehörige ihres Geschlechts, sie regeln das rechtliche Verhältnis zwischen Mann und Weib, aber sie berühren nicht die wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen zwischen den Klassen. Staatsrichter Lindsay von Nolorado erklärte neulich: soweit seine Beobachtungen über die Ausübung des Frauenwahlrechts reichten, habe er gefunden, daß die Frauen genau so gut wie die Männer von dem Einfluß der großen Unternehmerorganisationen erreicht werden könnten. Dieses Zeugnis stammt von einem Manne, der ein guter Anhänger des Frauenwahlrechts ist und seine Ausübung eine Reihe von Jahren aufmerksam verfolgt hat. Kalifornien ist ein westlicher Staat, der den Frauen vor nicht zu langer Zeit das Wahlrecht verliehen hat. Vor mehr als einem Jahre führten dort die Sozialisten in der Stadt Los Angeles eine energische Wahlkampagne zur Gemeindevertretung, und von manchen wird behauptet, daß sie dabei durch die Stimmen der Gemeindewählerinnen geschlagen worden wären. Von den Sozialisten selbst wird das entschieden bestritten, sie sind der Meinung, daß der Wahlkampf auch dann nicht wesentlich anders ausgefallen wäre, wenn die Frauen das Wahlrecht nicht besessen hätten.
In Kansas haben die Frauen kürzlich ihre volle politische Gleichberechtigung erhalten, nachdem sie dort erst einige Zeit ein teilweises Wahlrecht besessen hatten. Da ich zwei Jahre in diesem Staate wohnte, hatte ich Gelegenheit, die Betätigung der Frauen im politischen Leben zu beobachten. Es ist kein Zweifel, daß in den ländlichen Gegenden des Staates, wie auch in den Städten, zumal den kleinen, die Frauen im allgemeinen fonservativer als die Männer sind, sie gingen mit den kapitalistischen Parteien. In einigen Städten haben bei Gemeindewahlen die Frauenstimmen den Ausschlag gegen die Sozialisten gegeben, weil die wohl habenden Frauen rühriger gewesen und zahlreicher zur Urne gegangen sind als die Frauen der Arbeiterklasse. Was da
Nr. 13
gegen die Grubenarbeiterschaft im Staate anbelangt, so sind deren Frauen Sozialistinnen und sie stimmen nach ihren Klasseninteressen wie die Männer. Nach der letzten Wahl in Kansas , bei der die Sozialisten mehrere bemerkenswerte Siege errangen, gab eine hervorragende Parteigängerin der Kapitalisten den Gefühlen ihrer Klasse Ausdruck. Sie erklärte: Bei folgenden Wahlen werden wir uns gegen die Sozialisten sammeln und sie aus ihren Ämtern hinauswerfen.
Diese Tatsachen, so glaube ich, lassen erkennen, wie die Sc zialistische Partei das Frauenwahlrecht zu bewerten hat. Sie zeigen, daß die Frauen wie die Männer ihren Klasseninteressen folgen und daß daher an dem Ergebnis der Wahlen im allgemeinen nichts dadurch geändert wird, daß auch die Frauen wahlberechtigt werden. Man darf nicht vergessen, daß die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts anfangs das Wahlergebnis zuungunsten der Sozialisten beeinflussen kann und schon manches Mal beeinflußt hat, weil die Frauen im allgemeinen konservativer als die Männer sind. Allein dieser Umstand hält die Sozia listische Partei in den Vereinigten Staaten keineswegs davon zurück, nachdrücklichst für das Frauenwahlrecht zu kämpfen. Der Umstand besagt nur, daß verdoppelte Anstrengungen gemacht werden müssen, um die Frauen des arbeitenden Volkes zu Sozialistinnen zu erziehen, damit sie wissen, wie sie den Stimmzettel zu gebrauchen haben, wenn sie ihn erhalten. Das wird von der Sozialistischent Partei in den Vereinigten Staaten ganz klar erkannt, und sie bietet alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel auf, um die Frauen durch die sozialistische Propaganda zu erfassen.
Bei den letzten Legislativ - und Präsidentschaftswahlen ist die Fortschrittspartei unter Roosevelts Führung für das Frauenwahlrecht eingetreten. Dies geschah zu dem Zwecke, die starke Strömung für die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts auszunußen, die in der bürgerlichen Frauenwelt vorhanden ist, und in den Staaten, wo das Frauenwahlrecht besteht, durch die Stimmen der Wählerinnen die Entscheidung zugunsten Roosebelts zu lenken. Die Fortschrittler verbreiteten die falsche Behauptung, daß ihre Partei die einzige sei, die das Frauenwahlrecht fordere und Frauen zu ihren Kongressen und Ausschüssen als gleichberechtigt zulasse. Diese Behauptung würde von mehr als einem Dußend führender bürgerlicher Frauenrechtlerinnen unterzeichnet, von denen viele wußten, daß sie unrichtig war. In mancher Beziehung sind diese Vorgänge für die Sozialistische Partei von Nußen gewesen. Bis dahin waren viele Frauen der Arbeiterklasse geneigt ge< wesen, die bürgerlichen Frauenstimmrechtsorganisationen zu unterstüßen, nun aber lernten sie aus Erfahrung, daß der Klassenkampf unter den Frauen so scharf und bitter ist wie unter den Männern.
Dank den Bemühungen des Nationalen Sozialistischen Frauenkomitees unserer Partei war eine Massenpetition an den Bundeskongreß der Vereinigten Staaten in Umlauf gesezt worden, die eine Verfassungsänderung zugunsten der vollen politischen Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts fordert. Das sozialistische Mitglied des Kongresses, Genosse Berger, hat diese Petition nebst einer entsprechenden Resolution beim Bundesparlament eingereicht. Zum erstenmal ist damit in diesem von einer politischen Partei das Frauenwahlrecht gefordert worden. Binnen kurzem wird die Sozialistische Partei überall, wo sie Zweigorganisationen besitzt, den Frauentag abhalten. Diese Versammlungen verfolgen insgesamt den Zweck, das Interesse und das Verständnis für das Frauenwahlrecht zu erhöhen und der Partei neue Anhängerinnen zuzuführen. Tausende von Frauen hören alljährlich am Frauentag zum erstenmal vom Sozialismus. Während die Sozialistische Partei stetig und eifrig für die Erringung des Frauenwahlrechts wirkt, nutzt sie gleichzeitig jede Gelegenheit aus, um die Frauen zu dem richtigen Ge