204
Die Gleichheit
Schließlich machen die Besitzenden mit dem Opfer" noch ein gutes Geschäft. Denn eine einmalige Vermögensbesteuerung ist natürlich cin weit geringeres übel für die Kapitalisten als eine dauernde Besitzsteuer, die wirklich etwas Erkleckliches ergibt.
Von den Oppositionsgelüften und Auflösungsplänen des Zentrums ist es plöblich sehr still geworden. Die Schwarzen haben offenbar ein Haar in der Suppe gefunden. Verschiedene Anzeichen verraten, daß jene Richtung der Klerikalen, die unbedingt die Negierungsfähigkeit wahren will, die Oberhand bekommen hat. Die maßgebende Zentrumspresse läßt sich zurzeit an patriotischer Begeisterung von keiner anderen bürgerlichen Presse übertreffen.
In Frankreich rast der Orkan des Chauvinismus weiter, der durch die deutsche Heeresvorlage entfesselt wurde. Die Rückkehr zur dreijährigen Militärdienstzeit ist so gut wie sicher. Unsere Genossen in der französischen Kammer, die den Gefebentwurf mit einer lauten und heftigen Protestkundgebung empfingen, wurden als Landesverräter, als Preußen beschimpft. Aber folche Ausdrücke bürgerlichen Haffes können die Vertreter des Proletariats nicht abhalten, ihre Pflicht zu tun. In einem gemeinsamen Aufruf der deutschen und französischen Sozialdemokratie gegen das wahnsinnige Wettrüsten, der gleichzeitig in Berlin und Varis erschien, hat sich die internationale Solidarität der Arbeiter der Kriegs- und Rüstungsheße der Bourgeoisie entgegengestellt.
Die deutsche Heeresvorlage hat übrigens nicht nur in Frankreich das Signal zu neuen Rüstungen gegeben. Auch in Österreich , in Italien werden schleunigst neue Heeresverstärkungen vorbereitet, und Rußland hat bekannt gegeben, daß es drei neue Armeekorps aufstellen will. In England hat die Agitation für die allgemeine Wehrpflicht einen neuen Aufschwung genommen. überall wurde die endlose Schraube gedreht, und Deutschland darf den Ruhm beanspruchen, daß es dabei vorangegangen ist.
Das ungarische Proletariat hat eine Niederlage zu beklagen: die Parteileitung der ungarischen Sozialdemokratie hat den Generalstreit in letzter Stunde abgesagt. Sie hatte sich darauf verlaffen, daß die junkerlich- bürgerliche Opposition den Streit durch Obstruktion gegen die Beratung der schändlichen Tiszaschen Wahlgefeßvorlage unterstüben werde, und hatte erwartet, daß die Regierung diesem doppelten Ansturm weichen müsse. Aber der vermeintliche Verbündete hat das Proletariat schmählich im Stiche gelassen, hat sich mit einem platonischen Protest gegen die Beratung der Wahlvorlage begnügt und einen dicken Strich zwischen sich und den Generalstreik gezogen. Da glaubte die Parteileitung, die Verantwortung für den voraussichtlich sehr opferreichen Kampf nicht tragen zu können die Regierung hatte Massen von Soldaten in Budapest angesammelt. So ist denn das Wahlgesez, das die Erhaltung der politischen Rechtlosigkeit der Proletarier bedeutet, im Reichstag durchgegangen.
-
Auch in Belgien ist eine Absage des auf den 14. April angesetzten Generalstreits erfolgt. Hier soll aber die Sozialdemofratie unter der Hand die Versicherung erhalten haben, daß eine Wahlreform fommen werde. Man muß nun abwarten, ob sie nicht getäuscht wird.
Gewerkschaftliche Rundschau.
H. B.
Um die klassenbewußte Arbeiterschaft moralisch in Verruf zu bringen, arbeiten die Scharfmacher planmäßig mit Berleumdungen, und die bürgerliche Presse öffnet ihnen zu diesem edlen 3wede bereitwillig ihre Spalten. Die Klopffechter der Ausbeuter treiben ihr Verleumderhandwerk um so unverschämter, als sie bisher noch selten gerichtlich gefaßt wurden. In jüngster Zeit bemühen sie sich, der Öffentlichkeit den Glauben beizubringen, daß die freien Gewerkschaften die Sabotage empfehlen und auch anwenden lassen. Die Sabotage ist ein Kampfmittel, das in Frank reich Befürworter hat. Es besteht darin, daß die Arbeiter für schlechten Lohn absichtlich schlechte Arbeit leisten und vor allem durch Beschädigung von Maschinen und Werkzeugen die Unternehmer zur Erfüllung ihrer Forderungen zu zwingen suchen. Daß diese Art des Kampfes unter unseren organisierten Arbeitern feinen Boden findet, weiß jeder, der vom Wesen der deutschen Gewerkschaften auch nur die blaffeste Ahnung hat. Troßdem: der großen Menge der urteilslosen Leser der bürgerlichen Breffe fann man das Gegenteil ruhig aufbinden; der Spießer ist für derlei Schauermärchen nur allzu empfänglich. Wird bei einem Streit durch die Ungeschicklichkeit eines Streifbrechers eine Maschine defekt und das kommt leicht vor bei den„ gelernten Berufsarbeitern", die die Unternehmer von den Streifórecherlieferanten beziehen, flugs behauptet die Scharfmacherpresse, die Streifenden wären die übeltäter, sie hätten Sabotage verübt. So geschah
-
9ir. 13
es beim Streit auf der Hamburger Hochbahn . Als dort die elektrische Leitung zerstört worden war, wurde sofort in alle Welt hinaustelegraphiert, die Streifenden hätten dies getan. Und erst kürzlich wollte man einem Angestellten des Metallarbeiterverbandes zur Last legen, er hätte zur Sabotage aufgefordert. Das Verleumdergesindel wird immer dreister. Die„ Kreuzzeitung " stellte die schmutzige Behauptung auf, unter den Vertrauensleuten der roten Gewerkschaften sei ein Leitfaden über die Ausübung der Sabotage verbreitet. Darin soll beispielsweise angeführt sein, wie Fließenleger zu arbeiten haben, damit die Fließen sich nach kurzer Zeit werfen; wie bei der Legung von Gas- und Wasserrohrleitungen zu verfahren ist, um möglichst viel unbrauchbare Rohrabfälle zu erzielen. Der Leitfaden soll für so ziemlich alle Berufe entsprechende Anweisungen enthalten. Mit den roten Gewerkschaften können nur unsere Zentralverbände gemeint sein. Daher hat der Vorsitzende der Generalfommission, Genosse Legien, in der Parteipresse eine Erklärung veröffentlicht, in der er den Verfasser jener Notiz und den Redakteur der Kreuzzeitung" gemeine Verleumder nennt. Hoffentlich lassen diese Ehrenmänner eine solche Kennzeichnung nicht auf sich sisen. Es ist ihnen nunmehr Gelegenheit gegeben, durch eine Beleidigungsklage vor Gericht den Nachweis zu erbringen, daß in der„ roten Gewerkschaftsbewegung" ein solcher Leitfaden vorhanden ist. Sie würden sich dadurch ein großes Verdienst um das deutsche Vaterland erwerben.
Das Strafsystem, das die Unternehmer in Form von Lohnabzügen über die Arbeiter verhängen, drückt dem Arbeitsverhältnis den Stempel der Sklaverei auf. Seine üppigste Entfaltung zeigt dieses System im Bergbau. Die Grubenherren üben über ihre Arbeiter eine Gerichtshoheit aus, die den Vorzug hat, sie zu Anklägern, Richtern und Vollstreckern oder vielmehr Nußnießern des Urteils in einer Person zu machen. Riesige Summen werden auf diese Weise den Arbeitern geraubt. Jm Ruhrgebiet allein wurden im Jahre 1912 auf 131 Bechen wegen Förderns unreiner Kohle 362 868 Mt. und wegen sonstiger Bergehen" 568 098 f. an Strafgeldern den Knappen am Lohne abgezogen. Also zusammen fast eine Million Mark. Am ungerechtesten sind die Strafen wegen Förderns unreiner Kohle und wegen ungenügend gefüllter Förderwagen. Es läßt sich nicht vermeiden, daß einige Steine mit eingeladen werden, da an manchen Stellen die Kohle mit ihnen berwachsen ist. Ebenso kann der Förderwagen an der Arbeitsstelle vollständig gefüllt sein, auf dem langen Wege durch den Schacht und zum Bergwerk hinaus fact sich dann aber durch die Erschütterung die Kohle. Der Bergarbeiter wird jedoch in solchen Fällen ohne weiteres bestraft. Die Unternehmer dürfen zwar diese Strafgelder nicht in die eigene Tasche steden, sie wissen sie aber sehr sinnreich zu Nutz und Frommen ihres Ansehens und ihrer Macht zu verwenden. Sie treiben Wohlfahrt mit diesem Gelde, richten Kassen cin, aus denen franke und invalide Arbeiter Unterstübungen befommen. Kurz, die Ausbeuter verwenden das Geld der Arbeiter dazu, um diese noch stärker zu fesseln, und gefällige Schwäber wissen dann sehr viel von der Fürsorge der Bergherren für ihre Arbeiter zu berichten, verschweigen aber die Herkunft der Gelder. Im Jnnungsterrorismus den Bogel abgeschossen hat die 3wangsinnung der Breslauer Tapezierer. Diese Körperschaft hatte die Aussperrung verfügt, nachdem in cinem Konflikt mit den Gehilfen Verhandlungen ergebnislos verlaufen maren. Da aber der größte Teil der Meister nicht aussperrte, ordnete die Junung kurzerhand die Aussperrung awangsweise an. Der Vorstand verfügte, daß jeder Meister, der dem Aussperrungsbefchluß nicht nachkam, in eine Ordnungsstrafe von 20 Mt. au nehmen sei. Bisher hatten die Unternehmer den Terrorismus gegen ihresgleichen nur soweit getrieben, daß die Mitglieder in eine Strafe genommen wurden, die Tarife wider den Willen der Unternehmerorganisation abschlossen. Beschwerden gegen ein folches Zwangsverfahren wurden bekanntlich selbst von den Aufsichtsbehörden abgelehnt. Schade nur, daß die Behörden im Breslauer Fall nicht in die Verlegenheit kommen, den Terrorismus des Innungsvorstandes heiligen zu müssen. Die Tapeziererinnung fam nämlich nicht weit mit ihren Gewaltmitteln, sie mußte sie bald aufgeben.
Von den großen Tarifbewegungen sind erst zwei entschieden. Während im Baugewerbe und im Holz gewerbe noch verhandelt wird, konnte die Bewegung im Schneidergewerbe für beendet erklärt werden. Arbeiter und Unternehmer nahmen die Schiedssprüche der Unparteiischen an. Damit ist die Tarifbemegung für die Orte erledigt, in denen der Unternehmerverband Mitglieder hat. In einer größeren Anzahl von Orten aber, in denen der Unternehmerverband feine Filialen hat, finden jeht Lohnbewegungen statt. Diese haben schon zu vereinzelten Ausständen ge