Nr. 13

Die Gleichheit

Dann lassen wir auch die Kinder mitwählen." Himmel, wie geistreich!

Herr Kopsch steht seit langen Jahren im Vordertreffen des Kampfes gegen die Sozialdemokratie. Selbstverständlich im Kampfe mit geistigen Waffen", wie seine Bittgänge zu klerikalen Leuchten genugsam erwiesen haben. Und diefer führende Fortschrittsmann" weiß bis heute noch nicht, daß die sozialistische Auffassung von fozialen Rechten im Gegensatz zu der bürgerlichen Philosophie des " Naturrechts" steht, und daß der wissenschaftliche Sozialismus in fon­sequenter Fortentwicklung dieser Philosophie zu ihrer Verneinung und überwindung kommen mußte: zum historisch bedingten Recht, das seine festen Wurzeln in der Ökonomie, der Wirtschaft der Gesellschaft hat. Aber freilich: wir Sozialisten haben dabei das eine nicht vergessen, daß die heute von unserer Theorie über­wundene Auffassung vom Naturrecht" der Menschen gestern ein gewaltiger geistiger Fortschritt über das Denken der feudalen Ge­sellschaft hinaus gewesen ist. Sie wurde zur wuchtigen Waffe im Stampfe der Bourgeoisie gegen die herrschende mittelalterliche Drei­einigkeit des absoluten Gottesgnadentums, des Adels und der Geist­lichkeit. Im Namen des Naturrechts" haben zuerst die scharf­finnigen englischen und französischen Philofophen und dann die genialen franzöfifchen Politiker und revolutionären Kämpfer das gesellschaftliche Vorrecht dieser drei bevorrechteten Stände nieder­gerungen. Die naturrechtliche Philosophie ist der geistige Odem der großen französischen Revolution gewesen, der geistige Odem des bürgerlichen Liberalismus in den Tagen seiner Kraft und seines Glanzes, che die Furcht vor dem emporsteigenden Proletariat ihm das Mark in den Knochen verdorren ließ. Sie atmet und weht in dem hohen, fühnen Gedankenflug unserer flassischen Literatur, die von dem Geiste des alten revolutionären Liberalismus erfüllt ist. Wenn Herr Kopsch sich mit der Aufgeblasenheit eines echten Krähwinklers über das Naturrecht" Iustig macht, so verhöhnt er die große Vergangenheit des Liberalismus, als dieser noch ein Mann war, so wiselt er in der Zeit liberaler Greisenhaftig­feit billig über Denker und Kämpfer, denen auch nur die Schuh­riemen zu lösen er und seinesgleichen nicht würdig ist. Doch nehmen wir an, diefem merkwürdigen freisinnigen Vertreter der Bildung" seien die hier angedeuteten Dinge unbekannt. Dann müßte er wenigstens als Redner zur Frage des Frauen­mahlrechts dieses wissen: Nicht die Sozialdemokraten, wohl aber die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen haben lange und noch auf dem Internationalen Frauenfongreß zu Berlin 1904 ihre For­derungen in erster Linie mit dem Naturrecht begründet. Ge­rade aus der sozialistischen Kritik ihrer Auffassung haben sie erst gelernt, die geschichtlich- wirtschaftlichen Gründe für die soziale Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts nach ihrer vollen Be­deutung zu würdigen. Wenn Herr Kopsch sich nicht durch das Stu­dium der Literatur zur Frauenwahlrechtsfrage unterrichten wollte, so hätte ihn jede beliebige bürgerliche Frauenrechtlerin darüber belehren können. ins 5119 Das zweite persönliche Kleinod, das Herr Kopsch zu der Debatte beigesteuert hat! Dieser Schulmann von Beruf wendete sich wieder­holt mißbilligend gegen das sozialistische Gewand", das unsere Partei durch ihren Antrag der früheren liberalen Forderung gegeben habe, das Reichstagswahlrecht unverändert auf die Bundesstaaten zu übertragen. Mit dem Gewand" meinte er das Frauenwahlrecht, die Herabsehung des Wahlmündigkeitsalters auf das vollendete zwanzigste Lebensjahr, furz, jene demokratischen Forderungen, die über das geltende Reichstagswahlrecht hinausgehen. Man braucht weder Rektor noch Reichstagsabgeordneter zu sein, um zu verstehen, daß der sozialdemokratische Antrag seinem Wesen und nicht dem Geg wand" nach von der alten liberalen Forderung verschieden ist. Das Gewand" ist das gleiche geblieben: nämlich ein Antrag an den Reichs­ tag . Was er birgt, ist jedoch ein Neues: nicht das verkrüppelte Kind des demokratischen Prinzips, sondern dessen vollsaftigen, gefundent­wickelten Sproß. Es handelt sich bei der Redewendung von dem sozialistischen Gewand" nicht etwa um einen lapsus linguae, ein Ausrutschen der Zunge. Herr Stopsch war in seinen Geistesblik so verliebt, daß er ihn ein wohlgezähltes halbes Dußend Mal funkeln ließ. Er sah bei dem Antrag immer und immer wieder das an­ftößige sozialistische Gewand". Herr Kopsch, Herr Kopsch, wo blieb Ihre Logif? Die steht auf dem Kopfe und sieht die ganze Welt verkehrt. Die armen Rangen, denen je diefer Rektor die Geheim­nisse der Logik eingepauft hat! Ausgerechnet in der Fortschritt­ lichen Volkspartei wird die Forderung des Frauenwahlrechts noch immer gern mit der Behauptung von der geistigen Minderwertig­keit des weiblichen Geschlechts bekämpft. Die liberalen" Frauen können als Antwort darauf ruhig Herrn Kopsch auf den Tisch des Hauses" fünftiger fortschrittlicher Parteitage niederlegen. Ein­

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papiert in das Stenogramm seiner Wahlrechtsrede ist er der leuch tende, lebendige Beweis, wie die todsichere Logik, das tiefgründige Wissen, kurz die geistige überlegenheit des männlichen Geschlechts aussieht. Im fortschrittlich- volksparteilichen Gewande" wenig­stens oder auch natürlich!

Das Francuwahlrecht zur Handelskammer für das Fürsten­tum Birkenfeld ist vom oldenburgischen Landtag beschlossen worden. Birkenfeld war bisher ohne Handelskammer. Die be= deutende Schmucksteinindustrie des Landes, die Haupt­sächlich in den Orten Jdar und Oberstein ihren Sitz hat, forderte schon lange die Errichtung einer Handelskammer. Der bestehende Gewerberat war angeblich nicht imstande, die Inter­essen der Industrie genügend wahrzunehmen. Die Regierung des Großherzogtums Oldenburg , zu dem das Fürstentum Birkenfeld gehört, kam den Wünschen aus den Kreisen des Handels und der Industrie nach. Sie legte dem Landtag einen Gesetzentwurf vor, der die Aufhebung des Gewerberats und die Schaffung einer Handelskammer vorfah. Nach dem Entwurf sollte den Frauen, die ein Handelsgeschäft betreiben, nur das Recht zustehen, durch einen Vertreter das Stimmrecht ausüben zu lassen. Der Landtag strich diese Einschränkung durch Mehrheitsbeschluß, und so wurde den Frauen das aktive und passive Wahlrecht zu der Handelskammer gewährt, sie können also wählen und gewählt werden. Zwar erklärte die Regierung einen solchen Beschluß für unannehmbar, doch wird sie an der Bestim­mung das Gesetz kaum scheitern lassen.

h.

I. K. Von den letzten bemerkenswerten Erfolgen des Frauen­stimmrechts in den Vereinigten Staaten hat die Gleichheit" bereits berichtet. Wir fügen den gemeldeten Tatsachen noch fol­gende Einzelheiten hinzu. In den drei Staaten Nevada , Süd­ dakota und Montana , die im Begriff stehen, den Wählern die Frage des Frauenwahlrechts zur Urabstimmung zu. unter­breiten, haben die gesetzgebenden Körperschaften bereits zweimal mit starken Majoritäten Vorlagen zur Einführung des Frauen­wahlrechts angenommen, und somit hängt die Reform nur noch von der Entscheidung der Wähler ab. Besonders erfreulich ist die Tatsache, daß in den östlichen Staaten der Union endlich auch ein Fortschritt der Frauenrechtssache zu verzeichnen ist. Die gesetz­gebenden Körperschaften der Staaten New York und Penn­sylvanien haben soeben Anträge zur Einführung des Frauen­stimmrechts angenommen. Im Staate New York war es bisher nie gelungen, bei den gesetzgebenden Körperschaften auch nur die entscheidende Abstimmung über die Frage des Frauenwahlrechts zu erreichen, und darum war der diesjährige Erfolg um so über­raschender und erfreulicher. Wenn Unter- und Oberhaus im nächsten Jahre die Vorlage noch einmal annehmen, so wird nach der Konstitution des Staates die Frage im Jahre 1915 den Wählern zur Urabstimmung vorgelegt. Es besteht also die Mög­lichkeit, daß die Frauen des Staates New York im Jahre 1916 stimmberechtigte Bürgerinnen sein werden. Der Geseßentwurf, so wie er von beiden gefeßgebenden Körperschaften zur Annahme gelangt ist, enthält die Bestimmung, daß im Staate lebende uusländerinnen unter denselben Bedingungen wie die Männer das Wahlrecht erwerben müs fen, wenn sie gleichberechtigt sein wollen. Diese Bestimmung trifft Tausende von Frauen, besonders Frauen der Arbeiterklasse, die schon seit Jahrzehnten im Staate New York leben, aber nie daran dachten, das Bürgerrecht zu erwerben, weil es ja bisher feinen praktischen Wert für sie hatte. Diese Frauen sowie die neu eingewanderten gilt es jetzt zu Bürgerinnen zu machen, da= mit ihnen künftig das Wahlrecht nicht vorenthalten bleibt. Zu diesem Zwecke trifft das Sozialistische Frauentomitee. von New York schon jetzt seine Vorbereitungen. Es wird in Verbindung mit der Parteileitung ein Frauen- Natu= ralisationsbureau eröffnen, um die Frauen über die Bc= deutung des Bürgerrechts und über die Schritte aufzuklären, die zur Erwerbung dieses Rechts notwendig sind.

Meta L. Stern, New York . Die Wahlrechtsliga katholischer Frauen in Belgien hat der Kammer und dem Senat eine Petition eingereicht, in der sie die Einführung des politischen Frauenwahlrechts fordert. Das ist ein bezeichnender Beweis für den Umschwung, der sich in der Welt des Katholizismus in der Frage des Frauenwahlrechts zu voll­ziehen beginnt. Die Liga" ist einer größeren Organisation an­geschlossen, der Christlichen Frauenrechtsbewegung in Belgien ". Der erste weibliche Senator in den Vereinigten Staaten , ja unseres Wissens überhaupt, ist in Kolorado gewählt worden. Frau Robinson hat Siz und Stimme in der Ersten Stammer dieses Staats erhalten. Auch der Zweiten Kammer gehört eine Frau als