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Die Gleichheit

zu jenen Deutschen  , denen nach Heine nur der Schwanz zum Wedeln fehlt. Aber je mehr sich in dem Bericht die Gesin­nungstüchtigkeit austobt, um so dürftiger werden die Er­gebnisse der Generalversammlung behandelt.

Es wäre nur zu wünschen, daß weite Kreise der Heim­arbeiterinnen und vor allen Dingen die Mitglieder des Ge­werkvereins selbst den Bericht aufmerksam lesen und im Ge­dächtnis behalten würden. Es müßten ihnen dann die Augen dafür aufgehen, daß diese Organisation nicht imstande sein kann, ihnen die Hilfe zu bringen, deren sie bedürfen. Die Leiterinnen des Verbandes kennen das Leben der Heim­arbeiterinnen nicht oder berücksichtigen es nicht. Sie verstehen nicht, was diesen nottut und wie die vorhandenen geseglichen Bestimmungen wirken. Wäre es anders, so könnte es bei dem Bericht über den ersten Gegenstand der Tagesordnung: Die Ausgestaltung unseres Programms" unmöglich heißen: Punkt für Punkt behandelte sie( die Re­ferentin) unsere bisherigen Forderungen und bewies, wie man an keiner von ihnen achtlos vorübergegangen ist. Eine ganze Reihe ist mittlerweile erfüllt. Wir haben jetzt die Kranken- und Hinterbliebenenversicherung, die Lohnbücher, die behördliche Listenführung, die Gewerbeaufsicht, ein Stück Wohnungsaufsicht, das Verbot der Mitgabe von Arbeit nach Hause. Man hat auch unter die Aufgaben der geplanten Fachausschüsse die Förderung der Tarifverträge aufge­nommen. Aber manches ist man uns noch schuldig geblieben." Wo, so werden die denkenden Heimarbeiterinnen fragen, haben wir das alles? Noch immer sind zum Beispiel die Mustersatzungen für die Krankenkassen vom Bundesrat nicht fertiggestellt. Es steht also noch gar nicht fest, ob die Ende Mai 1911 im Reichstag beschlossene Reichsversicherungs­ordnung schon" am 1. Januar 1914 in Kraft treten wird. Bis dahin sind die Heimarbeiterinnen nicht sämtlich frankenversicherungspflichtig. Die Hinterbliebenenversiche rung besteht freilich, fie gewährt aber im günstigsten Falle den arbeitsunfähigen Witwen 19 Pfennig pro Tag. Ähnlich sieht es mit den anderen schönen aufgezählten Dingen aus. Die Lohnbücher, die Gewerbeaufsicht, die be­hördliche Listenführung, die Wohnungsinspektion und das Verbot der Mitgabe von Arbeit nach Hause, das alles ist allerdings da. Aber in der Hauptsache nur auf dem Papier, in der Praris haben die Vorschriften keine große Bedeutung für die Heimarbeiterinnen, weil die Art der Kontrolle nicht ermöglicht, die Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen festzustellen. So wenig die Berichte der Gewerbeinspektoren sagen dürfen, darüber lassen sie keinen Zweifel. Außerdem sind die gesetzlichen Vorschriften nicht in der Lage, die Lohn­und Arbeitsverhältnisse der Heimarbeiterinnen zu ver­bessern abgesehen von Einzelfällen, wenn die ausge beuteten Frauen und Mädchen nicht selbst hierbei mitwirken. Dies können sie aber nur, wenn sie sich mit ihren Berufs­genossinnen und Berufsgenossen in Organisationen ver­einigen, denen die energische Wahrung der Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter erste Pflicht ist, und die daher ihre Spike gegen die kapitalistische Ausbeutung kehren. Die Erfahrung hat gezeigt, daß das Wohlwollen hochgestellter Personen gar keinen Einfluß auf die Gestaltung der Arbeits­verhältnisse der Heimarbeiterinnen hat. Die so dringend der Hilfe bedürfenden Heimarbeiterinnen daran gewöhnen, auf Erfolg der Sympathie von oben zu warten, das läuft in der Praxis darauf hinaus, sie zu täuschen. Wir zweifeln nicht daran, daß die Leiterinnen der christlichen Heimarbeiterinnen bewegung von der Wirksamkeit ihrer Methoden überzeugt sind. Wir halten es aber für unsere Pflicht, die Arbeiterinnen darüber aufzuklären, wie wenig durch diese Methoden bisher erreicht worden ist, und daß sie die Ausgebeuteten davon ab­halten, sich wirksame Selbsthilfe zu schaffen. Solche Selbst­hilfe ist nur zu erreichen durch den Zusammenschluß der Frondenden ohne Unterschied des Geschlechts in Arbeiter­organisationen, wie sie die freien Gewerkschaften darstellen. Wollen die Heimarbeiterinnen ihre Lebensbedin­

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gungen günstiger gestalten, so müssen sie sich diesen Organi­sationen anschließen. Daß sie außerdem auch an der poli­tischen Organisation ihrer Klasse in der Sozialdemokratie teilnehmen, daß sie politisch kämpfen müssen, sagen ihnen allein schon die Teuerungspreise des Zoll- und Steuerwuchers eindringlich genug.bedG. H.

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Luise Otto- Peters.  ( Schluß.)

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Endlich gelang es Luise Otto   auch, einen Verleger für die von ihr längst geplante deutsche Frauenzeitung zu fin­den, die bald erschien mit dem Motto:" Dem Reich der Frei­heit werb' ich Bürgerinnen." Nun hatte Luise   die Waffe, die fie brauchte, um für die Rechte ihrer Mitschwestern zu kämp­fen. Als die ersten Nummern erschienen, da lohten noch in Sachsen  , in Baden, in der Pfalz   die Freiheitsbrände; in Preußen triumphierte schon die Reaktion, die auch bald auf die anderen Staaten übergriff. Als Herausgeberin der ersten politischen Frauenzeitung hatte Luise Otto   viel zu leiden: Beschlagnahme des Blattes, Verhöre, Haussuchungen, Aus­weisungen aus verschiedenen Städten, in denen sie sich vor­übergehend aufhielt. Die Reaktion rechnete es der Dichterin und ihren Gesinnungsgenossen schon als Verbrechen an, daß sie sich der Hinterbliebenen der gefallenen Freiheitskämpfer annahmen. Die Verfolgungen befestigten nur Luisens über­zeugung und schürten ihren Eifer. Sie trug manche geheime Botschaft nach Baden und der Pfalz  , ihren Landsleuten, die im Zuchthaus zu Bruchsal   für ihren Freiheitskampf büßten, half sie, wie sie nur konnte.

Bei ihrer Schwester in Öderan   hatte Luise   einen jungen Schriftsteller, August Peters  , fennen gelernt. Kurz vor der sächsischen Volfserhebung war sie in Briefwechsel mit ihm getreten. Peters war Volksmann, Freiheitskämpfer. Als die siegreiche Reaktion den Aufstand in Dresden   blutig niedergeworfen hatte, schlug sich der junge Erzgebirgler mit seinen Leuten nach Süddeutschland   durch. Im Mai 1848 wurde auch dieser Trupp Rebellen in Rastatt   eingeschlossen und gefangen genommen. Der Tod des Erschießens war Peters und seinen Kameraden sicher. Nur einmal hatte er sich mit Luise flüchtig gesehen. Aber eines hatte die Ver­öffentlichungen des anderen gelesen. Dazu kam ein sehr bc­schränkter Briefwechsel, der nur unter Schwierigkeiten seinen Weg in die Rastatter   Kasematten hinein und heraus fand. Was die beiden voneinander wußten, genügte jedoch, daß sie sich liebten, getreu bis in den Tod".

Peters wurde gegen Erwarten nicht zum Tode verurteilt, und zwar lediglich dank einer schweren Krankheit, die so lange andauerte, daß es kein Standrecht mehr gab. So fam er vor ein ordentliches Gericht und wurde zu sechs Jahren Einzelhaft in Bruchsal   verurteilt. Sieben Jahre war Luise Otto   mit August Peters   verlobt. Viermal im Jahre durfte sie den Geliebten besuchen und sah ihn in der Zuchthaus­jacke mit geschorenem Haar. Zwei weit auseinanderstehende Gitter erlaubten den Verlobten nicht einmal, sich die Hand zu reichen; erst nach langen Jahren wurde eines der Gitter entfernt. In ergreifenden Versen hat Quise Otto den Emp findungen jener Zeit Ausdruck gegeben, wo alles, was die Verlobten einander schenken fonnten, nur ein Blick der Liebe war als Zeichen inniger Gemeinschaft, unerschütterlicher Treue: Ein Gitter fiel doch eines ist geblieben, Uns trennend, die wir ewig doch verbunden, Die wir ganz eins im Streben und im Lieben, Wie Tat und Wort seit Jahren es bekunden."

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Im Sommer 1856 fehrte August Peters in die Freiheit zurück, und im Herbst 1858 fonnte das schwergeprüfte Baar die Ehe schließen. Aber zu schwer hatten die Kerkerjahre en der Gesundheit des Mannes gerüttelt, nur wenige Jahre durften sich die beiden des Glückes erfreuen, vereinigt a sein. 1864 schon starb Peters, bis zur legten Stunde liebevol gepflegt von der Frau, die ihm über all die Jahre der Tren­nung und Entsagung hinaus die Treue gehalten hatte. 12