Nr. 14
Die Gleichheit
Sonderbare Gewerkschaftsstrategen sind doch die Christlichen . In den Kevelaerer Gebetbücherfabriken waren die Buchbinder wegen Nichterfüllung ihrer Lohnforderungen ausständig. Der Kampf nahm so scharfe Formen an, daß die frommen Erzeugnisse von der Gewerkschaft boykottiert wurden. Der Streit endete mit völlig nichtssagenden Zugeständnissen der Unternehmer. Ob nun die Christlichen Angst vor der eigenen Courage bekommen haben oder ob sie auf Befehl der Unternehmer tuschen mußten: genug, sie schrieben den Buchhändlern, daß der Boykott aufgehoben sei, und daß die Kevelaerer Gebetbücher wieder in empfehlende Erinnerung gebracht werden sollen. So machen sich diese sonderbaren Heiligen zwiefach um ihre Unternehmer verdient und nennen das hinterher erfolgreiche Lohnbewegungen".
Eine Verschmelzung dreier Gewerkschaftsver bände steht in Aussicht. Der Töpferverband, der Por= zellanarbeiterverband und der Glasarbeiterverband wollen sich zu einem Verband der Keramarbeiter vereinigen. Laut Beschluß der Verbandstage der drei Gewerkschaften bereiten die Vorstände den wichtigen Schritt vor. Urabstimmungen der Mitglieder entscheiden den Zusammenschluß endgültig.
Dem Jahresbericht des Schneiderverbandes entnehmen wir, daß sich im Jahre 1912 die Zahl der weiblichen Mitglieder um 282 verringert hat, während die der männlichen um 1800 gunahm. Bei 10.000 weiblichen Mitgliedern will der kleine Verlust nicht viel besagen, immerhin sollte gerade im Schneidergewerbe die Organisierung der Arbeiterinnen ständige Fortschritte machen. Man bedenke die große Zahl von Frauen und Mädchen, die hier vom Kapital ausgebeutet werden. Genossinnen, seid dieser Tatsache eingedenk! Es ist eine eurer Aufgaben, unter den erwerbstätigen Proletarierinnen unermüdlich auch für die Gewerkschaftsorganisation zu werben. Und je zahlreicher und größer die Schwierigkeiten sind, die sich in einzelnen Berufen der Organisierung entgegenstellen wie gerade im Schneidergewerbe-, um so dringlicher ist es, daß die Genoffinnen ihre Kraft für dieses Ziel einsetzen.
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Aus der Textilarbeiterbewegung. In Krefeld ist die von den Unternehmern angedrohte Aussperrung am 15. März zur Tatsache geworden, und zwar werden mit den streikenden Färbern gegen 12 000 Arbeiter und Arbeiterinnen in den Webereien ausgesperrt. Die Färbereibesitzer haben jedes weitere Bugeständnis abgelehnt. Sie sind besonders über den Schaden erbost, den der plötzliche Streit für sie im Gefolge hat. In den Färbereien besteht nämlich bisher feine Kündigung. In den neuen Tarif wollten die Arbeiter auch die achttägige Kündigung aufgenommen haben. Für diese Forderung hatten die Unternehmer jedoch nur Spott und Hohn. Niemand kann den Arbeitern zumuten, daß sie bei kündigungslosem Arbeitsverhältnis schon Wochen vorher den Unternehmern mitteilen, wann sie streifen wollen. Wo keine Kündigung besteht, werfen die Unternehmer ja auch den Arbeiter aufs Pflaster, ohne ihn vorher zu benachrichtigen. Da es den Färbereibefizern allein nicht möglich ist, die gut organisierten Färber niederzuringen, kommen ihnen die Unternehmer der Webereien zu Hilfe. Die Webereigewaltigen können sich mit dieser Hilfeleistung aber sehr leicht ins eigene Fleisch schneiden. Da frühere Lohnbewegungen fehlgeschlagen waren, so hatten die Weber der Stoffbranche in den letzten Jahren sehr wenig Interesse für die Organisation gezeigt. Wenn aber ein Mittel geeignet ist, ihnen die Notwendigkeit des Zusammenschlusses recht fühlbar vor Augen zu führen, so ist es die gegenwärtige Aussperrung. Wollen die Fabrikanten sich nicht gegenseitig selbst schädigen, so können sie bei der Aussperrung feinen Unterschied zwischen Organisierten und Nichtorganisierten machen. Das ist bis jetzt auch der Fall. Die Aussperrung erstrect sich außer auf Krefeld auf die Orte Anrath , refrath , Hüls , Kempen , Lobberich , M.- Gladbach, Mülheim , Odt, Rheydt , St. Tönis, Süchteln und Viersen . In den Orten Kref= rath, Lobberich , Gladbach und dt sollte die Aussperrung erst am 22. März einsetzen. Nach dem 22. März dürften rund 15 000 Personen gemaßregelt sein. Auf die beteiligten Organisationen entfallen Ausgesperrte: Deutscher Textilarbeiterverband 4700, Christen 4400, Hirsch- Dunderſche 194, Freie Vereinigung 158. Gine überraschung in dem jezigen Kampfe brachte nachstehendes Schreiben, das unserer Streifleitung zuging: Der Oberbürgermeister. Krefeld , 18. März 1913. Der Zentralverband christlicher Textilarbeiter und der Arbeitgeberverband beziehungsweise der Schußverband für das niederrheinische Seidengewerbe haben sich dahin geeinigt, daß der Färberstreit und die Aussperrung der Textilarbeiter beendet werden, indem die bisherigen Angebote der Arbeitgeber in den Fragen des
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Lohnes und der Arbeitsdauer angenommen werden und hinsichtlich der Dauer des Tarifvertrags nachstehendes bestimmt wird:
Der Vertrag soll bis zum 1. Dezember 1916 dauern; für den Fall, daß er ordnungsmäßig gekündigt wird, jedoch bis zum Ablauf des Vertrags eine neue Vereinbarung nicht zustande. kommt, sollen bis zum 1. März 1917 in Sachen des Tarifs weder die Färbereiarbeiter das Recht haben, zu streiken, noch die Arbeitgeber der Färbereien befugt sein, ihre Arbeiter auszusperren; vielmehr soll in der Zwischenzeit von Dezember 1916 versucht werden, durch Fortführung der friedlichen Verhandlungen den Abschluß eines neuen Tarifvertrags zu erzielen. Das Inkrafttreten dieser Vereinbarung ist abhängig von der Zustimmung des Deutschen Textilarbeiterverbandes. Denn die Wiederaufnahme der Arbeit allein durch den christlichen Textilarbeiterverband ist schon aus technischen Gründen nicht möglich. Darüber sind sich alle Beteiligten einig.
Nachdem durch die Bereinbarung zwischen dem Arbeitgeberverband und dem Verband christlicher Textilarbeiter ein den Interessen beider Parteien gerecht werdender Ausgleich gefunden ist, ruht nunmehr die ganze Verantwortung für das Gelingen der Einigung auf dem Deutschen Textilarbeiterverband . Ich glaube nicht, daß er durch Ablehnung seiner Zustimmung die Schuld wird auf sich laden wollen für die schwere Schädigung, die unserer ganzen Industrie und unserer Stadt erwachsen wird, und für all das Unglück und Elend, das bei unseren Arbeiterfamilien einziehen wird, wenn der Streit und die Sperre noch länger anhalten wird. Ich bitte daher unverzüglich eine Entscheidung des Deutschen Textilarbeiterverbandes herbeizuführen. gez. Dr. Johansen. Die Christen wandeln also wieder einmal auf ihren Lieblingspfaden, noch ein Schritt in dieser Richtung, und der offizielle Streifbruch ist fertig. Wer hat den Führern der Christlichen denn das Mandat übertragen, mit dem Arbeitgeberverband allein zu verhandeln? Bis jetzt sind alle Schritte in dieser Bewegung von allen Organisationen gemeinsam getan worden. Nur ein christ= licher Gewerkschaftsführer fann in obiger Vereinbarung" einen„ beiden Parteien gerecht werdenden Ausgleich" er= blicken. Denn diese Vereinbarung läßt jedes neue Zugeständnis in der Frage des Lohnes und der Arbeitszeitverkürzung vermissen, ebenso auch Verbesserungen für die Arbeiterinnen. Was hier vereinbart ist, das hätten die Arbeiter schon vor der Aussperrung haben können. Da brauchten sich die Herren aus Düsseldorf nicht in Unkosten zu stürzen. Eben weil das, was sich die christlichen Führer nunmehr als Vereinbarung aufschwagen ließen, die Arbeiter in keiner Weise befriedigte, ist der Streik von allen Organisationen, die Christlichen dabei, einstimmig beschlossen worden. Die Färbereibefiber müssen ernstliche Zugeständnisse machen, wenn eine Grundlage für den Friedensschluß gefunden werden soll. Es ist vollständig unangebracht, den Deutschen Textilarbeiterverband für die Not verantwortlich zu machen, die die Aussperrung im Gefolge haben wird. Da hat sich der Herr Oberbürgermeister von Krefeld in der Adresse geirrt: An der Aussperrung trägt niemand anders die Schuld als die Fär= bereibesizer und der Schuhverband für das niederrheinische Seidengewerbe. Sie sind es, die den Arbeitern einen der Teuerung entsprechenden Lohnausgleich verweigern, sie sind es, die sich gegen Einführung der 58- StundenWoche aufs heftigste sträuben.
sk.
Aus der Angestelltenbewegung. Kaum sind die Vertrauensmännerwahlen zur Angestelltenversicherung vorüber, da ist wieder ein Kampf entbrannt, der erneut, mit aller Deutlichkeit zeigt, wo die wahren Verfechter der Angestelltenintereffen zu finden sind. Im Reichstag ist im Dezember ein Gefeßentwurf eingegangen, durch den die Bestimmungen des Handelsgesetzbuches über die KonkurrenzIlausel neu geregelt werden sollen. Die Konkurrenzklauseln, das sind Vereinbarungen zwischen Unternehmern und Angestellten, durch die die Angestellten sich verpflichten, während eines bestimmten Beitraumes nach dem Austritt aus ihrer Stellung innerhalb eines ge= wissen, manchmal sehr ausgedehnten örtlichen Bereiches in gleichartigen Geschäften weder Stellung zu nehmen, noch sich an solchen zu beteiligen. Durch derartige Vereinbarungen werden die Angestellten in ihrem Fortkommen aufs schwerste geschädigt. Die Unternehmer sind aber durch ihre wirtschaftliche Übermacht in der Lage, sie ihnen aufzuzwingen. Angeblich soll der Zweck der Konkurrenzflausel sein, den Angestellten zu verhindern, seine in einem bestimmten Betriebe gewonnenen Kenntnisse zu dessen Schaden in einem Konkurrenzbetriebe zu verwerten. In den meisten Fällen handelt es sich für die Internehmer aber darum, durch die Klausel das Personal an ihren Vetrieb zu fesseln und unbequemen Gehalisforderungen aus dem Wege zu gehen. Das zeigte sich so recht deutlich in Hamburg im vorigen