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Die Gleichheit

Im Jahre 1909 hatte die Sozialdemokratie die Mehrheit in 2 Provinzstädten erobert- dieses Mal dagegen in 11, während in 15 anderen Provinzstädten ihr nur je 1 Mandat an der absoluten Mehrheit fehlt. Von ganz besonderem Interesse ist unser Fort­schritt in einer großen Anzahl Landgemeinden. In solchen Kom­munen, wo 1909 sozialdemokratische Kandidatenlisten aufgestellt waren, hatten diese im ganzen 27 800 Stimmen auf sich vereinigt, heuer aber beträgt unsere Stimmenzahl in den nämlichen Land­gemeinden zwischen 50 000 bis 60 000. 1909 wurden in Land­kommunen zusammen 600 sozialdemokratische Vertreter gewählt, 1913 dagegen 800.

Die Beteiligung an der Wahl war eine sehr starke. 80,1 Prozent der Wahlberechtigten sind zu den Urnen gegangen, während das 1909 nur 74,2 Prozent von ihnen getan hatten. Die Ausübung des Wahlrechts durch die Frauen soll ganz wesentlich zu dem hohen Prozentsaz der Abstimmenden beigetragen haben. Doch haben wir noch keine authentische Bestätigung dieser Behauptung. Es ist bis jetzt auch noch nicht möglich, die genaue Zahl der erwählten Frauen anzugeben. In Kopenhagen   sind 5 Genossinnen in die Stadtverordnetenversammlung gewählt worden. In einer Pro­vinzstadt Nakskov   ist der Wahlausfall besonders günstig für die Sozialdemokratie gewesen. Wir eroberten hier 1 Mandat über die Majorität, 90 Prozent der Wahlberechtigten hatten abgestimmt. Chne Zweifel sind es in dieser Stadt die Frauen, denen die Ehre für den Wahlausfall zukommt. Unser dortiges Parteiblatt wür­digte die Wahl in einem Artikel, der auch dem Verhalten der Frauen rühmend gerecht wird. Was das Blatt schreibt, illustriert so ausgezeichnet das erwachende Verständnis der Frauen für das fommunale Leben, ihre Betätigung in der Öffentlichkeit, daß cs hier wiedergegeben sei:

" Ja, laßt es uns zuerst aussprechen, es waren die Arbeiter= frauen, die den Ausschlag gegeben haben. Vor vier Jahren versagte ein Teil von ihnen, sie waren zu bescheiden, um das ihnen eingeräumte Wahlrecht zu benußen. Aber schon ein. halbes Jahr später gingen sie zahlreicher zu der Urne, als es sich um die Wahl der Steuereinschäßungskommission handelte. Gestern nun ist endlich der Umschwung ein vollkommener gewesen. Sie famen alle! Es war rührend, zu sehen, wie die Frauen ihr Krankenlager verließen, um sich zur Wahlurne fahren zu lassen; da draußen in den Arbeitervierteln zeigten sie eine Sorge für cinander, wie sie nur in den Kreisen der Proletarier zu finden ist. Gestern gab es keinen Unterschied zwischen mein und dein. Man lieh einander Kleidungsstücke und Schuhwerk, damit niemand zu Hause bleiben brauchte; man pflegte gegenseitig die Kinder, und man agitierte von Haus zu Haus, so daß alle, alle an der Wahl teilnehmen konnten. Es fehlen uns Worte der Dankbarkeit gegen diese mutigen Heldinnen unserer Klasse; einem jeden müssen sie die tiefste Hochachtung abzwingen, unsere Partei und unsere Ge­nossen können ihnen nur ihre höchste Anerkennung zollen."

Th. Stauning, Kopenhagen  .

Frauen in den Gemeinderäten von Großbritannien  . Gegen­wärtig amtieren in Großbritannien   44 Frauen als Gemeinde- be­ziehungsweise Bezirksgemeinderäte. In England und Wales wurden 17 Frauen zu diesem Ehrenamt gewählt, in Schottland   2, in Irland   3, dazu kommen noch die 22 Frauen, die in London  bei den letzten Munizipalwahlen in die Bezirksgemeinderäte ent sendet wurden. Unsere Genossin Williams in Swansea   ist die vierte englische Frau, die als Bürgermeisterin erwählt wurde. Ge­meindevorsteherinnen waren: Frau Anderson in Aldeborough 1908/1911, Fräulein Morgan in Brecon 1910/1911 und Frau Lees in Oldham   1910/1911. en

Ein Erfolg der Frauenwahlrechtssache in Frankreich   ist eine seltene Erscheinung, auch wenn es sich nur um eine grundsätz­liche Anerkennung der politischen Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts handelt. Und eine solche kommt zunächst in unserem Falle in Frage. Die parlamentarische Kommission, die über die Reform des geltenden Wahlrechts berät, hat ihren Vorsitzenden be­auftragt, der Stammer einen Geseßentwurf vorzulegen, der das Frauenwahlrecht zu den Gemeinde- und Departements­wahlen einführt. Der Vorsitzende der Kommission ist Buisson, ein überzeugter bürgerlicher Radikaler, von dem man eine eindring­liche Befürwortung der Vorlage erwarten kann. Die sozialistischen  Mitglieder der Kommission haben dem Antrag zugestimmt, damit es möglich wird, über das Frauenwahlrecht im Plenum der Kammer eingehend zu diskutieren. Sie haben sich aber das Recht vorbehalten, bei den Verhandlungen über die Reform des politischen Wahl­rechts jederzeit für die Forderung des Frauenwahlrechts auch zu den gesetzgebenden Körperschaften einzutreten.

Die Frau in öffentlichen Aemtern.

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Nr. 14

Frauen in den höchsten Verwaltungsstellen des öffentlichen Schulwesens und im Schulrat der Vereinigten Staaten  . Wie in dem öffentlichen Schulwesen der Union   die Frau von den Lehr­ämtern mit der Zeit zu den höchsten Verwaltungsstellen empor­gestiegen ist, davon kann man sich aus einer kürzlich vom Er­ziehungsamt der Vereinigten Staaten   veröffentlichten Zusam­menstellung überzeugen. Danach haben vier Staaten- Kolo­ rado  , Idaho  , Washington   und Wyoming   Frauen an der Spitze ihres staatlichen Erziehungswesens, und in der ganzen Union   gibt es zurzeit 495 weibliche Countyschulvorstände ( Grafschafts- beziehungsweise Bezirksvorstände), fast doppelt so viel wie vor zehn Jahren. Es scheint fast, als hätten in einigen Staaten die Frauen ein ausschließliches Vorrecht auf die höheren Stellen des öffentlichen Schulwesens. In Wyoming   ist eine Frau Staatsschulinspektorin, und auch ihre Hilfskraft ist eine Frau. Jn 14 Bezirken des Staates liegt die Leitung der Schulen mit einer Ausnahme in den Händen von Frauen. In Mon= tana mit 30 Bezirken finden wir nur einen einzigen Mann in der Stellung eines Grafschaftsschulinspektors.

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Am auffallendsten ist die Zunahme in der Zahl der Bezirks­schulinspektorinnen im Westen, doch können sich auch einige öst­liche Staaten damit sehen lassen. So wartet New York   jetzt mit 42 Bezirksschulinspektorinnen auf, während es im Jahre 1900 nur 12 Schulfommissärinnen" hatte. Auch andere Staaten zeigen einen beachtenswerten Zuwachs in der Zahl ihrer weiblichen Schulinspektoren: Jow a von 13 im Jahre 1900 auf 44 im letzten Jahre, Kansas   von 26 auf 49, Nebraska   von 10 auf 42, Nord Dakota von 10 auf 24, Oklahoma   von 7 auf 14. Nur in zwei Staaten sind die Zahlen der Bezirksschulinspekto­rinnen zurückgegangen. Tennessee   hatte 9 im Jahre 1900 und 1912 nur 5, und Utah   verzeichnete im letzten Jahre eine solche Beamtin weniger als vor einem Jahrzehnt.

Neben diesem Aufstieg der Frau im Schulverwaltungswesen macht sich auch in vielen Gemeinwesen ein Eindringen der Frau in die Schulaufsichtsbehörde bemerkbar, in den sogenannten Schul­rat. So haben folgende Städte von 100 000 und mehr Ein­wohnern eine oder mehr Frauen in ihrem Schulrat: New York  , Chicago  , Cleveland  , San Francisco  , Mil­maukee, Washington, Indianapolis  , Rochester, St. Paul, Denver, Columbus, Worcester  , Grand Rapids  , Cambridge   und Fall River  . Auch in vielen kleineren Städten gehören Frauen dem Schulrat an. A. H.

Keine Zulassung der Frauen zur Advokatur in Rußland  , das ist die Entscheidung des Reichsrats über den entgegengesetz­ten Beschluß der Duma. In Rußland   hatten sich hervorragende wissenschaftliche Vereinigungen und Gelehrtenforporationen dafür ausgesprochen, daß den Frauen die Ausübung des Berufs als Ad­vokat freizugeben sei. Sie beriefen sich dabei darauf, daß sich die Frau als Ärztin vorzüglich bewährt habe. Ihre Stellungnahme entsprach einer starken Strömung in der bürgerlichen Intelligenz und den gebildeten Kreisen des Landes. Unter dem Eindruck dieser Strömung wurden einige Russinnen, die im Ausland mit Erfolg ihre juristischen Studien beendet hatten, zu Staatsprüfungen in Rußland   zugelaffen und erhielten Stellungen bei hochangesehenen Advokaten in Petersburg   und Moskau  . Die Duma trug der all­gemeinen Stimmung Rechnung, sie nahin einen Initiativantrag aus dem Parlament an, der die Frauen zur Advokatur zuließ. Die Reform wäre gesichert gewefen ohne den Widerstand des Justiz­ministers, der Regierung. Der ablehnenden Haltung dieser irdischen Vorsehung gehorsam, lehnte der Reichsrat den Initiativantrag der Duma mit& gegen 66 Stimmen ab. Der Reichsrat ist ungefähr das gleiche was das Herrenhaus in Preußen: ein festeres Bollwerk der Reaktion als sogar die Staatsstreich- Duma von Stolypins Gnaden.

Familienrecht.

Die volle rechtliche Gleichstellung der unehelichen und che­lichen Kinder in Norwegen   sieht eine Gesezesvorlage vor, die dem Parlament zuging. Sie will dem unehelichen Kinde den Namen des Vaters und volles Erbrecht an dessen Eigentum sichern. Die Vor­lage ist eine Ergänzung des Gesetzes von 1892, das dem Vater eines unehelichen Kindes die Verpflichtung auferlegte, die ledige Mutter zu unterstüßen, und ihm die Bürgerrechte aberkennt, wenn er sich dieser seiner rechtlichen Verpflichtung entzieht.

Verantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart  .

Druck und Berlag von J. H. W. Dieg Nachf. G.m.b.8. In Stuttgart  .