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Die Gleichheit

einer besseren Dedungsvorlage zu zwingen. Da die Sozialdemo­kraten grundsätzlich die Heeresvorlage ablehnen, so ist ohne die Echwarzblauen eine Mehrheit für sie nicht zu schaffen, also auch nicht für eine Vorlage, die Heeres- und Dedungsvorlage zu­sammenkoppelt. Das ist die Spekulation des Blockes der Blauen und Schwarzen. Indes es scheint, daß es auch ohne den Zwang eines Mantelgesetzes gelingen wird, die Nationalliberalen nach rechts zu ziehen. Schon hat die nationalliberale Presse die Nach­richt widerrufen, daß Bassermann einen Antrag auf Ein­führung der Erbschaftssteuer einbringen wolle es ist darüber noch nichts bestimmt. Und die Kölnische Zeitung  ", die hin und wieder Fühlung mit der nationalliberalen Fraktion hat, versichert, daß sie gern eine Reichsbesitzsteuer statt der veredelten Matri­fularbeiträge" in die Deckungsvorlage eingesetzt sehen würde, daß sie aber von der Durchführung dieses Wunsches sofort absehe, wenn der Reichskanzler sich dagegen erkläre. Was sich Bethmann nicht zweimal sagen lassen wird. Denn weshalb soll er sich die Feindschaft der Junker und der Schwarzen zuziehen, wenn er's nicht nötig hat?

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Nun, jedenfalls werden die Nationalliberalen vor die Entschei­dung gestellt werden, jedenfalls werden sie vor aller Öffentlichkeit ihre Stellung nehmen müssen. Denn der Fortschritt wird in der Deckungsfrage wenigstens aller Voraussicht nach bei der Stange bleiben. Und so wird es also an dem Erbschaftssteuerantrag nicht fehlen, den die Nationalliberalen annehmen oder ablehnen müssen. Freilich, die Haltung des Fortschritts bei den preußischen Landtagswahlen ist gerade nicht geeignet, Hoffnungen auf die Festigkeit seiner Vorsätze Grundsäße darf man schon nicht mehr sagen zu erwecken. In den westfälischen Kreisen Altena­Iserlohn unterstützt er nationalliberale Kandidaten, denen selbst das Pluralwahlrecht, das ihre Partei sonst vertritt, noch zu weit geht und die als echte Vertreter der Scharfmacher das geheime und direkte Wahlverfahren bei Erhaltung des Dreiflassensystems auch nur dann zugestehen wollen, wenn die Drittelung in den Ur­wahlbezirken beseitigt wird. Diese Einrichtung macht allein den Sozialdemokraten die Eroberung einiger weniger Mandate möglich. Ein Erfolg sozialdemokratischer Arbeit ist die Vorlegung eines Besehentwurfes über die Wahlurnen bei den Reichs­tagswahlen. Dadurch soll der Gebrauch von Zigarrenkisten, Euppenterrinen und ähnlichen Behältnissen endlich verhindert wer­den, mit deren Hilfe in den kleinen Wahlbezirken auf dem Lande die Abstimmung der einzelnen Wähler kontrolliert werden konnte. Als Genosse Fischer vor einiger Zeit im Reichstag auf Grund amtlichen Materials enthüllte, daß der preußische Minister des Innern sich dieser notwendigen Reform widerseße, da mußte der Staatssekretär des Innern, Delbrück  , fittliche Entrüstung über cinen solchen Vertrauensbruch" markieren. Es hat aber geholfen, wie man sieht.

Auf dem Balkan   scheint nun der Friede nahe, nachdem die Bulgaren   im Verein mit serbischen Hilfstruppen Adrianopel  im Sturme genommen haben. Die Mächte betreiben die Vermitt­lung, und es wird nur noch über wenige Punkte gestritten; sind sie erledigt, so werden Waffenstillstand und Frieden nicht lange auf sich warten lassen. Wenn es nicht vorher noch in der montene= grinischen Ecke zur Katastrophe kommt. Drohend genug sieht es dort zurzeit aus. Die Mächte lassen die Häfen Montenegros  blockieren, aber der Bergstaat, der auf den Seeverkehr nicht an­gewiesen ist, kümmert sich wenig darum und seht die Belagerung Stutaris, das nahe vor dem Fall stehen soll, ungeniert fort. Schon reden die bürgerlichen Blätter Wiens   von militärischer Gewalt, die Österreich   gegen Montenegro anwenden müsse. Das aber könnte noch am Schlusse des Balkankriegs den Weltkrieg ent­zünden. Denn hinter Montenegro verbirgt sich Rußland  , das zwar angeblich mit der Flottendemonstration einverstanden ist, aber nicht an ihr teilnimmt und inoffiziell den Balkanzwergstaat zu seiner troßigen Haltung ermutigt. Es ist daher ganz unberechen­bar, wie sich die Dinge weiterentwickeln werden.

Die belgische Sozialdemokratie hat auf ihrem Oster­fongreß den Generalstreit nun wieder auf den 14. April angesetzt. Der Beschluß wurde nach anfänglichem Widerstand einiger Führer einstimmig gefaßt. Die schwer enttäuschte Arbeiter­H. B. schaft ließ sich nicht mehr zurückhalten.

Gewerkschaftliche Rundschau.

Das Geschrei der Scharfmacher und der ihnen ergebenen oder verkauften Presse über den Terrorismus der Arbeiterorganisa­tionen wird erst dann in seiner ganzen widerlichen Heuchelei er­fannt, wenn man ihm die brutalen und gewiffenlosen Zwangs­

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maßregeln gegenüberstellt, mit denen dieselben Scharfmacher Ar­beiter um ihr Brot oder ihre Gesinnung zu bringen suchen. Un­zählig sind die Fälle, es würde ermüdend wirken, wenn man über jeden einzelnen berichten wollte. Immerhin ist es angebracht, von Zeit zu Zeit auf gewisse Taten des Unternehmerterrorismus hin­zuweisen, die vorsorglich den profanen Blicken der Öffentlichkeit entrückt sind und die als Muster für hundert andere Fälle gelten können. Letzthin ging eine Mitteilung durch die Presse, wonach der Verein der Droschkenbesizer in Dresden   einen Kutscher auf drei Monate vom Fahrdienst ausschließen wollte, weil er sich angeblich gegen einen Fahrgast unhöflich benommen haben sollte. War es schon unerhört, daß sich der Unternehmerverband die Funktionen eines Polizeibüttels anmaßte, so wurde der Hezze gegen den Kutscher im weiteren Verlauf der Sache erst die Krone aufgesetzt. Als der Kutscher nämlich dennoch bei einer Droschken­besitzerin Stellung bekam, verfügte der Unternehmerverband gegen ihn die Ausschließung aus dem Droschfenfahrdienst auf die Zeit von zwei Jahren. Und die Besizerin wurde im Namen des Unter­nehmerverbandes durch einen Rechtsanwalt mit einer Klage be­droht für den Fall, daß sie den Kutscher nicht sofort entlasse. Gleichzeitig erging an alle Fuhrunternehmer ein Rundschreiben, in dem vermerkt war, daß der Kutscher auf die Dauer von zwei Jahren nicht eingestellt werden dürfe. Der also gehetzte Kutscher ist ein Mann von älteren Jahren, der andere Arbeit nicht gleich fand. Er wandte sich an den Droschkenbesitzerverein mit der Bitte, den Beschluß gegen ihn doch aufzuheben. Umsonst, es bleibt dabei. Zwei andere Fälle beweisen aftenmäßig, in welcher Art die Metallindustriellen die Feme   gegen organisierte Arbeiter ausüben. Ihrer Gesinnung wegen werden Arbeiter ausgehungert, mögen fie in ihrem Beruf noch so tüchtig sein. Die Weltfirma Siemens& Halske hat Entlassungsscheine, die den einzelnen Werken in geschlossenem Briefumschlag zugestellt werden müssen. In einem solchen Scheine war über einen Arbeiter vermerkt, seine Führung und Leistung seien gut, er könne aber zur Wiedereinstel­lung nicht empfohlen werden, weil er ein Vertrauensmann der Noten" sei. Nicht minder drastisch wird die Erpressungstaktik der Unternehmer durch einen Brief bezeugt, den ein Metallarbeiter an die Leitung des Verbandes schrieb. In diesem Briefe heißt es wörtlich: Gestatten Sie mir, bitte, Ihnen mitzuteilen, daß ich trotz der Postkarte, die ich Ihnen in Gegenwart des Fabrikanten schreiben mußte, im Deuquen Metallarbeiterverband bleibe. Da es heute außerordentlich schwer ist, Stellung zu erhalten, so üben die Fabrikanten einen gewissen Druck aus.... Sie wollen also, bitte, die betreffende Erklärung als Zwangsfache ansehen und meine Mitgliedschaft weiter anerkennen." Angesichts solcher offenkundiger Tatsachen noch über den Terrorismus der Arbeiter zu jammeru, ist eine Schamlosigkeit sondergleichen. Und die Staatsanwaltschaft, die objektivste Behörde der Welt? Sie läßt jene Herren unge­schoren, fahndet aber desto eifriger nach Proletariern, die in der Erregung des Kampfes ehrlose Streitbrecher beim richtigen Namen genannt haben, und verschont dabei nicht einmal Mütter mit Säug­lingen. Die heuchlerische Unternehmerfippe aber schreit sich der­weilen heiser nach einem neuen Ausnahmegesetz gegen die or­ganisierten Arbeiter.

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Im Baugewerbe werden jetzt die örtlichen Verhandlungen gepflogen. Nach ihrem bisherigen Verlauf steht es mit dem Frieden sehr wackelig. Die Unternehmer machen nur ganz geringfügige Zu­geständnisse. Der Schwerpunkt der ganzen Tarifbewegung liegt aber gerade in diesen Verhandlungen. Der Bauarbeiterverband fann der Entwicklung der Dinge in Ruhe entgegensehen: er hat im letzten Jahre um 35 477 Mitglieder zugenommen, und er ver­fügt über 12 Millionen Mark. Wollen die Herren Unternehmer ein Tänzchen wagen, der Verband wird ihnen aufspielen.

Nachdem die Aussperrung verfracht ist, beginnen im Maler­gewerbe wieder Verhandlungen. Der Staatssekretär Del= brück hat bei den Unternehmern angefragt, ob sie bereit seien,? zu verhandeln. Auf eine bejahende Antwort hin fand dann unter 1 Beisein von zwei Unparteiischen zwischen Vertretern beider Par­teien eine Aussprache statt. Sie führte zu dem Ergebnis, daß dic Verhandlungen wieder aufgenommen werden sollen. Die Stellung der Arbeiter ist jetzt nach der mißlungenen Aussperrung natürlich durchaus nicht schlechter. In der Berliner   Herrenton­fektion hat der Unternehmerverband nun gleichfalls Berhand­lungen angeboten, auf die die Arbeiter eingegangen find.

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An der Lohnbewegung im oberschlesischen Bergbau werden sich nunmehr auch die frei organisierten Bergarbeiter und die Hirsch- Dunderschen beteiligen. Den Führern der polnischen Bergarbeiter ist klar gemacht worden, wie kopflos ihr ursprüng liches Vorgehen war. Im Wurmgebiet leiten die Christ­