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Die Gleichheit

doch, daß auch die Arbeiterinnen, wenn sie einig sind, den gewerk­schaftlichen Kampf zu führen verstehen.

Nicht weniger als 18 Lohnbewegungen in über 20 Betrieben wurden 1912 durchgeführt. In einem Falle kam es zum Streif; außerdem wurden 3 Betriebe teilweise von der Aussperrung be= troffen. An den Lohnbewegungen waren 365 Arbeiter und 2430 Arbeiterinnen beteiligt. Nur eine einzige dieser Bewegungen, und zwar die kleinste, war ganz erfolglos, an der übrigens Frauen nicht beteiligt waren. Vor allem gelang es, die Arbeitszeit in den Trifotbetrieben zu verkürzen, so daß heute die 9 bezw. 9/ 2stündige Arbeitszeit fast überall durchgeführt ist, bei freiem Samstagnach­mittag. Ebenso wurden Lohnerhöhungen durchgesetzt, wenn auch nicht in allzu großem Umfang, und eine Reihe von Mißständen be­seitigt. Gewiß ist dies beachtenswert, es hätte aber beträchtlich mehr geleistet werden können, wenn sich die Arbeiterinnen restlos der Organisation angeschlossen hätten. Die schwankende Haltung der Arbeiterinnen, die nur allzu leicht der Beeinflussung durch die Arbeitgeber erliegen, hat manchen sonst sicheren Erfolg vereitelt. Natürlich haben es die Unternehmer auch nicht an Einschüchte­rungsversuchen fehlen lassen. Den Beweis dafür liefert die Tat­sache, daß die Filiale nicht weniger als 1440 Mt. als Unterstützung für Gemaßregelte ausgezahlt hat. In 16 Gerichtsverhandlungen mußten die Interessen der Mitglieder vertreten werden. Durch schlau ausgeflügelte Arbeitsordnungen werden die Arbeiterinnen ungemein geschädigt. Ihre Unkenntnis und Unerfahrenheit nüzen die Unternehmer gewissenlos aus. Die verhältnismäßig geringe Aufwendung von 53 Mf. für Rechtschutz beweist aber, daß der Rechtsweg meist mit Erfolg beschritten wurde. Einen Schluß auf die rücksichtslose Ausbeutung der weiblichen Arbeitskraft läßt der Umstand zu, daß an nicht weniger als 153 weibliche Mitglieder neben 59 männlichen für insgesamt 4721 Krankentage 2149 Mt. an Krankenunterstüßung ausgezahlt werden mußten. Wenn man berücksichtigt, daß in diesen Zahlen die nicht bezugsberechtigten Kranken nicht enthalten sind, so kann man annehmen, daß min= destens ein Viertelder Mitgliederkrank gewesen i st. Das sind aufreizende Feststellungen, die den Arbeiterinnen zu denken geben müßten. Hingegen brauchten, dank der andauernd guten Geschäftslage, für Arbeitslosenunterstüßung nur 240 Mt. aufgewendet werden. Finanziell hat sich die Filiale auf eine stär­fere Grundlage gestellt. Seit 1. April 1912 wird ein Lokalbeitrag von 5 Pf. erhoben. Der als Folge dessen befürchtete Mitglieder­rückgang ist nicht eingetreten, wohl aber war es möglich, größere Aufgaben zu erfüllen und nebenbei den Kassenbestand der Filiale von 265 Mf. auf 1348 Mt. zu erhöhen. Doch hat der Bericht auch weniger erfreuliche Tatsachen zu vermelden. Leider haben die be= achtenswerten Erfolge und die unermüdliche Arbeit nicht vermocht, den größten Teil der weiblichen Mitglieder dauernd an die Or­ganisation zu fesseln. Denn während im Berichtsjahr 1229 Ar­beiterinnen neu als Mitglieder gewonnen wurden, betrug die Zu­nahme doch nur 396. Wenn die Verhältnisse auch im ganzen Reiche ähnlich liegen, so fordern sie doch die größte Beachtung heraus. Es sei hier nur nebenbei bemerkt, daß es nicht immer die Arbeite­rinnen selbst sind, die die Organisation so geringschäßig beurteilen, daß sie ihr bald wieder den Rücken kehren. In außerordentlich vielen Fällen sind es ihre männlichen Angehörigen, sehr oft selbst gewerkschaftlich und politisch organisierte Arbeiter, die dafür ver­antwortlich sind. Hierüber wird gelegentlich ein Wort zu sagen sein. Doch alles in allem berechtigt das Ergebnis des Jahres 1912 zu der Hoffnung, daß die Organisation auch im neuen Jahre im­stande sein wird, das Wohl der Arbeiterinnen kräftig zu fördern. Die Generalversammlung der Mitglieder war von dem festen Willen beseelt, das Jahr 1913 mit 2000 Mitgliedern abzuschließen. Hoffen wir, daß es Wahrheit wird.

H. R.

Wie es einer christlichen Gewerkschaft im frommen Kevelaer  erging. Am schlimmsten werden die christlichen Gewerkschaften in stockkatholischen Gegenden behandelt. Daran tragen allerdings die christlichen Gewerkschaften selbst die Hauptschuld. Sie brüsten sich mit Vorliebe damit, ein Bollwerk gegen die Sozialdemokratie und die freien Gewerkschaften zu sein und fehren ihre Stampffront Haupt­sächlich gegen diese, statt gegen den Feind der Arbeiterschaft: die Unternehmer. Und dann wundern sie sich, wenn aus ihrem Ver­halten in erzkatholischen Orten die Kapitalisten logisch schlußfolgern: Hier gibt es weder Sozialdemokraten noch freie Gewerkschafter, wozu brauchen wir da christliche Gewerkschaften? Haben diese sich nicht löblich allen päpstlichen Enzykliken unterworfen, die die Streiks und jedes Auflehnen der Arbeiter wider ihre Lohnherren" als unzulässig verwerfen? Warum das frebelhafte Beginnen, gegen christliche Ar­beitgeber christliche Gewerkschaften zu errichten? Wallfahrtet nach Kevelaer   am Niederrhein  , und ihr werdet all das bestätigt finden.

Nr. 15

Der christliche Verband der graphischen Arbeiter kann ein Lied davon singen. Vor furzer Zeit führte er in Kevelaer   einen Streit und beendete ihn mit vollem Erfolg", wie er selbst in die Welt hinausposaunte. Nach der landesüblichen Bescheidenheit, zu der sich die christlichen Gewerkschaften verstehen müssen, mag es ein Er­folg sein, wenn die Arbeitgeber lediglich versprechen, die christliche Gewerkschaft anzuerkennen und einen Tarif abschließen zu wollen, bei dem aber Lohnerhöhungen auszuscheiden haben, wie dies in den Friedensbedingungen ausdrücklich festgesetzt wurde.

Nein, nein! Von einem vollen Erfolg kann trotz aller schönen Worte keine Rede sein! Im Gegenteil: das Ende des Streits sieht einer Niederlage verteufelt ähnlich, denn zu allem anderen fügt sich noch die Abbitte, zu der sich der christliche Verband für den Frevel be­quemen mußte, den Boykott über fromme Gebetbücher verhängt zu haben. Ach, der Leidensgang der christlichen graphischen Gewerkschaft in Kevelaer   ist seit jeher voller Dornen gewesen! Es ist nicht das erste Marterl", das man ihr jetzt errichtet hat.

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Kaum hatte der christliche Verband das Licht der Welt erblickt und in Kevelaer   Fuß zu fassen versucht- vielleicht in dem naiven Glauben, daß christliche Unternehmer ihm gewiß keine Schwierigs keiten bereiten würden, da brach in der Kruzifig- und Gebet­bücherfabrik von Friz Jlding Anfang 1905 ein Streif aus. Es handelte sich dabei vornehmlich darum, daß diese Firma das Ko­alitionsrecht nicht anerkennen wollte. Durch Vermittlung der Geist­lichkeit und des Bürgermeisters wurde der Streit schnell beendigt. Der Firmeninhaber versprach schriftlich, seinen Arbeitern ihr Recht zur Drganisation nicht mehr streitig machen zu wollen; auch sollte in seinem Betrieb versuchsweise die 10% stündige Arbeitszeit ein­geführt werden. Daran kehrte sich Jlding aber nicht lange. Rücksichts­los warf er die christlich Organisierten aufs Pflaster, reduzierte die Löhne und ließ wieder täglich 11 Stunden arbeiten. Alle Vorstellungen der Geistlichkeit und sonstiger Autoritäten fruchteten nichts, ebenso­wenig das Eingreifen auswärtiger christlicher Gewerkschaftsführer. Herr Jlding wollte Herr im Hause bleiben und blieb es, denn seine christlichen Arbeiter frochen zu Streuze, und ihr Verband verschwand aus Kevelaer  .

Am Ende des nämlichen Jahres 1905 zog der Generalisfimus der christlichen Gewerkschaften, Herr Adam Stegerwald  , selbst nach Steve­laer. Es gelang ihm, für den christlichen graphischen Verband eine Zahlstelle zu gründen. Doch nur kurze Zeit währte die Freude. Allerchristlichste Unternehmer, Verleger des Heiligen Apostolischen Stubles", wie sich mit Stolz die Inhaber der Firma Buzon& Burker nannten, fuhren den Christen nun in die Parade. Leute, die 15 Jahre im Betrieb der genannten Herren zur Zufriedenheit gearbeitet hatten, wurden just zum höchsten Feste der Christenheit, zu Weihnachten hinausgejagt. Die Unternehmer bewiesen ihnen flär lich, daß hoch über der Gemeinsamkeit des Glaubens das kapita listische Profitinteresse steht, daß in einem allerchristlichsten" Drte erst recht das bischöfliche Wort gilt: Wer Knecht ist, soll Knecht bleiben!" Um die Schöpfung Adam Stegerwalds war es alsbald geschehen, die Zahlstelle des christlichen Verbandes wurde mit Stumpf und Stiel ausgerottet.

Die Empörung der Arbeiterschaft glomm aber unter der Asche weiter. Wie konnte es anders sein? Schrieb doch das Zentralblatt der christlichen Gewerkschaften" im Anfang der letzten Lohnbewegung sehr richtig, daß in der Gebetbuchbranche in Kevelaer   im Vergleich zu anderen Druckorten ganz elende Lohn- und Arbeitsverhältnisse anzutreffen find". Aber die ausgebeuteten Kevelaerer   Gebetbuch arbeiter verlangten von den christlichen Gewerkschaften endlich ein­mal andere Beweise ihrer Macht, als das ewige mutige" Zurück­weichen vor den brutalen chriftlichen" Gebetbuchfabrikanten. Des halb die kräftigen Töne, die im Anfang der letzten Lohnbewegung gegen die christlichen" Unternehmer angeschlagen wurden. Die christ­liche Bresse flagte, daß gerade in streng tatbolischen Orten diese Herren der christlichen Gewerkschaftsbewegung die Tore vor der Nase zuschlügen, während die sozialdemokratischen Gewerkschaften ein Hunderttausend an Mitgliedern nach dem anderen gewännen. Die Angst vor der sozialdemokratischen Konkurrenz trieb die christlichen Gewerkschaften zum Boykott der Kevelaerer   Gebetbücher.

Jezt aber rührten sich die Bischöfe; sie drohten mit Repressalien gegen die christlichen Gewerkschaften und die ihnen verbündeten katholischen Arbeitervereine. Bis hierher und nicht weiter! Dieses Wort, das einst christliche Gewerkschaftsführer in ihrer Sünden Maienblüte auf ihrem internationalen Kongreß zu Zürich   den hoch würdigen Herren Bischöfen" zugerufen hatten, das tönte ihnen jetzt aus deren Munde entgegen. Lezten Endes haben die Unternehmer immer ein williges Ohr bei den Bischöfen gefunden. So auch in diesem Falle. Unternehmerinteresse geht über Arbeiterinteresse, heißt es im Zentrumslager. Freilich sagt man so etwas nicht öffentlich.