Nr. 15

Die Gleichheit

Man verbrämt vielmehr diese Richtschnur für das Handeln mit der besser klingenden Redensart: Vor dem Gebetbuch hat der, Terror' der Arbeiter Halt zu machen; ein Boykott von Gebetbüchern ist un­fittlich!" Murrend mußten sich die christlichen Gewerkschaftsführer ducken, mußten die christlichen Gewerkschaftsblätter weitere Boykott­aufforderungen unterlassen, mußte der christliche graphische Verband einen hoffnungsvollen Stampf aufgeben und die verehrlichen Buch­händler" anwinseln, von einem Abbruch der geschäftlichen Be­ziehungen zur Kevelaerer Industrie Abstand zu nehmen beziehungs­die alten Beziehungen wieder aufzunehmen". Auf einmal sollte das Arbeiterintereffe die schleunige Wiederherstellung des guten Rufes des Kevelaerer Buchbindergewerbes" erfordern. Hat sich was mit einem guten Rufe! Noch niemals hat die Kevelaerer   Gesetbuch­industrie einen solchen gehabt, nicht einmal bei den Unternehmern anderer Orte, weil die miserablen Arbeitsbedingungen ihr die ab­scheulichste Schmutzkonkurrenz ermöglichen. Die Wahrheit von der Behandlung christlicher Gewerkschaften in Kevelaer   sieht denn doch etwas anders aus, als die Blätter der Christen das vorplaudern. ek.

Notizenteil.

Dienstbotenfrage.

Der Wert des Koftgeldes für die Dienstboten. Außerordent­lich häufig kommen die Dienstboten mit den Herrschaften" über die Frage in Streit, wieviel Entschädigung fie für Kost und Logis für solche Zeiten verlangen können, in denen sie aus irgend einem Grunde verhindert sind, ihre Dienste zu verrichten. Wie oft geschieht es nicht, daß Dienstboten plötzlich ungerechtfertigterweise entlassen werden, daß sie während der Reisezeit der Herrschaft sich bei den Eltern verpflegen sollen usw. In allen diesen Fällen haben sie außer dem Lohne   auch eine Entschädigung für Kost und Logis zu beanspruchen. Was die Dauer der Ansprüche anbetrifft, so gelten fie im vollen Umfang für die ganze Zeit, bis unter Einhaltung der vereinbarten oder üblichen Kündigungsfrist der Dienstvertrag sein natürliches Ende gefunden hat, oder bis das Mädchen anderweit in Beschäfti­gung getreten ist. Die Gerichte haben vielfach ausgesprochen, daß borzeitig entlassene Dienstboten die Verpflichtung hätten, sich sofort eine andere Stellung zu suchen, und sie haben den Entlassenen eine Entschädigung bis zu dem Termin zugebilligt, an dem die Mädchen eine neue Stelle hätten bekommen können. Meist werden die Haus­angestellten bei Auseinandersetzungen über den Umfang ihrer Kn­sprüche zu furz fommen, wenn sie über diese nicht genau unterrichtet sind. Die Herrschaften sind meist auf ihren eigenen Vorteil bedacht, während die Dienstboten viel zu leicht auf ihre Rechte verzichten.

Die verschiedenen noch bestehenden Gesindeordnungen enthalten mur mangelhafte Bestimmungen über die Höhe der Entschädigung für Kost und Logis. Die Gefindeordnung für die altpreußischen Provinzen und die für das Königreich Sachsen stellen anheim, bei Annahme des Dienstes eine freie Vereinbarung über das Kost­geld zu treffen. Geschieht das nicht, so soll die Polizeibehörde die Frage entscheiden. Die Gefindeordnung für Schleswig- Holstein  verpflichtet die Herrschaften zu verhältnismäßiger Leistung von Kostgeld". Die Gesindeordnung für Lübeck   überträgt die Entschei= dung wiederum den Polizeibehörden; die von Frankfurt   setzt 1,40 Mt. täglich fest; die von Bremen   je nach den Umständen 50 Pf. bis 1,50 Mt."; die für Hamburg   nicht weniger als 1 Mr. pro Tag; die für Braunschweig   1,50 bis 3 Mt. pro Woche; die für Baden  , Württemberg, Sachsen- Weimar   was üblich ist" und was gegeben zu werden pflegt".

In sonstigen einzelnen Großstädten haben sich entweder durch poli­zeiliche Verfügungen oder durch die Praxis der Gerichte bestimmte Säge herausgebildet. So haben in Halle a. S. die Polizeibehörden festgesetzt, daß die Entschädigung der weiblichen Hausangestellten für völlig freie Station einschließlich Wohnung und Heizung 1,25 Mk. täglich beträgt, nur für volle Beköstigung 1 Mt. In Breslau  , Danzig  , Braunschweig   legten sie nach einer Mitteilung des Verbandes der Hausangestellten diese Säße fest: für völlig freie Station männlicher Personen 1,50 Mt. täglich, weiblicher Ber­fonen 1,25 Mt. In München   beträgt die Entschädigung für männ liche Dienstboten täglich 1,60 Mt., für weibliche 1,40 Mt.; in Karls­ ruhe   1,50 bezw. 1,20 Mt.; in Hannover   für Diener und Köchinnen 1,70 Mt., für Dienstmädchen 1,20 Mt.; in Dresden   für männliche Dienstboten 1,60 wt., für weibliche 1,42 Mt.; in Jena   1,35 bezw. 1,20 Mt.; in Nürnberg   für Köchinnen 1,30 Mt., Dienstmädchen 1,10 Mt., Kinderfrauen 1,40 Mt., männliche Dienstboten 1,60 Mt.; in Leipzig   für weibliche Dienstboten 1,82 Mt. usw.

In den jetzigen Zeiten der allgemeinen Teuerung ist es für die Dienenden ein Kunststück, mit solchen Entschädigungen auszukommen.

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Sie schützen kaum vor dem Hunger, geschweige denn, daß sie zur Befriedigung anderer Bedürfnisse als der Ernährung ausreichen. Auf alle Fälle ist eine größere Einheitlichkeit und Sicherheit für die Regelung der Frage zu verlangen. Die Forderung nach Schaffung eines einheitlichen Rechts für die Dienstboten im ganzen Deutschen Reiche muß immer dringender erhoben werden. Dieses Recht müßte auch bestimmen, daß sich die Entschädigung für Kost und Wohnung nach der Höhe des Ortslohnes"( des ortsüblichen Tagelohnes) zu richten hat, der von den Versicherungsämtern festgesezt wird. Wie seither§ 1 Absatz 5 des Krankenversicherungsgesetzes und§ 6 des Gewerbeunfallversicherungsgesezes, so bestimmt nunmehr§ 160 der Reichsversicherungsordnung, daß der Wert der Natural- und Sach­bezüge nach Drtspreisen berechnet und vom Versicherungsamt von Zeit zu Zeit festgesetzt werden muß. In Ermangelung anderer Be­stimmungen waren seither schon diese für die Zwecke der Arbeiter­versicherung getroffenen Festsetzungen auch für die Ansprüche der Dienstboten maßgebend( vergleiche Kommentar zur preußischen Ge­findeordnung von Jacobi, Seite 92). Diese Feststellungen werden in Zukunft von erhöhter Bedeutung für die ins Auge gefaßten Streit­fragen sein, weil doch nun die soziale Versicherung mit auf die Haus­angestellten ausgedehnt worden ist. Die Versicherungsämter müssen in den nächsten Monaten die Durchschnittswerte der Naturalbezüge neu festsetzen. Es gilt daher, auf sie so einzuwirken, daß sie den Wert der Natural- und Sachbezüge in richtiger Höhe festsetzen. Fr. Kleeis.

Frauenarbeit auf dem Gebiet der Industrie, des Handels- und Verkehrswesens.

Die industrielle Frauenarbeit in Rußland   gewinnt ständig an Umfang. Kein Wunder, auch Schutzölle vermögen auf die Dauer der russischen Industrie nicht genügend Widerstandskraft gegen den Wettbewerb der technisch überlegenen Industrien des Westens zu geben. Diese produzieren billiger, soweit die Anwen dung von Maschinen in Betracht kommt. Die russische Industrie sucht ihre Produktionskosten durch Verwendung billigster Arbeits­fräfte zu erniedrigen. Wie sich in den einzelnen Industriezweigen die Zahl der beschäftigten Frauen zu der der Männer stellt und wie die Verwendung weiblicher Arbeitskräfte auf die Löhne der Ar­beiter einwirkt, läßt sich aus dem summarischen Bericht ersehen, den die russische Fabrikinspektion vor einiger Zeit für 1911 ver­öffentlicht hat.

In der Seidenindustrie.

Jährlicher Durch schnittslohn eines

Auf 100 Männer waren in betreffender Industrie beschäftigte Frauen

Arbeiters 455,80 Mt.

68,2

=

M

=

= Baumwollindustrie Wollindustrie

1°

468,70

54,2

528,90

88,9

#

= Chemikalienindustrie

576,20-

34,1

=

= graphischen u. Papier­

industrie

608,45

25,5

S

15,7

#

= Metallindustrie.

5,4

Lebensmittelindustrie. 636.40.

853,55.

Naturgemäß werden die Frauen am stärksten in solchen Indu strien herangezogen, die von den Beschäftigten die geringste tech­nische Schulung erfordern und die daher auch die niedrigsten Löhne zahlen. Andererseits werden durch die wachsende Konkurrenz der Frauen in allen Industrien die Löhne der Männer erniedrigt be­ziehungsweise am Steigen gehindert. Denn, wie die Tabelle lehrt, je höher der Prozentsatz der Frauen in einem Industriezweig, desto niedriger die Entlohnung der Männer. Werden Frauenhände herangezogen, so geschieht es nur, um den Lohn herabzudrücken. Aber die Konkurrenz der leichter auszubeutenden Frauen verdrängt nicht nur die Männer und verschlechtert ihre Arbeitsbedingungen. Sie schädigt auch be­reits die Arbeiterinnen, deren Klassenbewußtsein geweckt ist und die ihrem Ausbeuter nicht mehr als willenlose Sflavinnen gegenüber. stehen. Im Nordwestgebiet( Litauen  ) und in den südlichen Gou vernements werden systematisch die jüdischen organisierten Fabrik­arbeiterinnen durch unorganisierte litauische und kleinrussische Dorfmädchen erfeßt, die als Analphabetinnen nur in einem ge­ringen Maße organisationsfähig sind und ihre junge Arbeitskraft zu einem Epottpreis hergeben. S. K.

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.

Der sozialistische Frauentag in den Vereinigten Staaten  ist am 23. Februar begangen worden. Große Vorbereitungen für Massenversammlungen bewiesen überall das steigende Interesse an dieser Veranstaltung. Fast sämtliche sozialistischen   Zeitungen hatten zum Frauentag besondere Agitationsnummern herausgegeben,