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Die Gleichheit

Hausfrau einen Beitrag von ein paar Pfennig für die Nü­stungen. Jede Arbeiterfrau sollte es sich merken: wenn sie ihren Kindern das farge Mahl bereitet, muß sie gleichzeitig zur Fütterung des unersättlichen Raubtiers, des Militaris­mus, beitragen. Dieses Untier frißt mit, frißt am gierigsten aus der Schüssel der Armen. Denn es ist längst durch die Wissenschaft erwiesen, daß die Last der indirekten Steuern am schwersten auf die Armen drückt.

Zwar versichert man uns, daß die Milliarde Mark für einmalige Ausgaben und die 186 Millionen dauernder jähr­licher Mehrausgaben diesmal durch Steuern auf den Besitz aufgebracht werden sollen. Es ist eine Lüge. Erstens will die Regierung die einmalige Abgabe auch von den kleinen Ver­mögen bis herab zu 10 000 mt. erheben. Das ist eine freche Ausplünderung der Kleinbauern, der kleinen Handwerker, aller jener Leute, die noch nicht ganz proletarisiert sind, die aber schwer mit der Not zu kämpfen haben. Zweitens sind unter den neugeplanten Steuern solche, die auch die Ar­beiterschaft schwer treffen, wie die Steuer auf Versicherung des Haushaltes gegen Feuerschaden. Ferner solche, die auf die Massen abgewälzt werden, wie die Stempelsteuern. Außerdem soll die Ermäßigung der Zuckersteuer unter­bleiben, die schon längst gesetzlich festgelegt war. Aber es kommt ein weiteres hinzu: die Rechnung, die der Schatz­sekretär Kühn aufgestellt hat über die Deckung der Kosten, ist eine Täuschung. Er rechnet darauf, daß die Einnahmen aus den bestehenden Zöllen und Steuern beständig wachsen werden, und diese Summen verrechnet er auf die Rüstungs­ausgaben. Er verschweigt dabei, daß die übrigen Ausgaben des Reiches auch steigen und daß beim Eintreten einer Krise - und eine solche wird kaum ausbleiben die Ein­nahmen stark zurückgehen. Die ganze Deckungs" rechnung ist daher reiner Schwindel. Es kommt der Regierung jetzt nur darauf an, erst einmal die Bewilligung der Ausgaben 31 ergattern. Nach Jahr und Tag wird sich zeigen, daß kein Geld vorhanden ist. Dann wird man es machen wie 1909: cine Finanzreform" wird vorgenommen, das heißt es werden Hunderte von Millionen durch neue indirekte Steuern erpreßt. Das behaupten nicht nur wir Sozialdemokraten. Rein, auch ein Mann wie Graf Posadowsky , der gewesene Staatssekretär, hat es im Reichstag klipp und klar ausge­sprochen: werden die Ausgaben für die Vermehrung des Heeres jetzt bewilligt, so wird es ohne neue indirekte Steuern auf Gegenstände des Massenkonsums nicht abgehen. Der Mann muß es jedenfalls wissen, er ist vom Bau. Zu der neuen Steuer aber an Gut kommt die Steuer an Blut. 136000 junge Männer mehr als bisher sollen in die Kasernen, sollen zwei Jahre ihres Lebens, ihrer Arbeitskraft opfern. Nun wohl, Frauen des arbeitenden Volkes, Mütter! An euch ist es, gegen diesen Wahnsinn zu protestieren. Eure Pflicht ist es, mit aller Macht zu protestieren.

Aus der Bewegung.

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J. K.

Von der Agitation. Versammlungen zur Stärkung der gewerk­schaftlichen und der politischen Organisation hielt Genossin Brandenburg- Hamburg im Februar ab. Jn Blumen­thal und Vegesack hatte der Vorstand des Deutschen Tegtil­arbeiterverbandes zwei Agitationsversammlungen ver­anstaltet, deren Tagesordnung lautete:" Die Scharfmacherheze, die Feinde des Deutschen Textilarbeiterverbandes, seine Kämpfe und seine Erfolge." Die Wollkämmerei in Blumenthal beschäftigt gegen 3000 Arbeitskräfte, in der Mehrzahl Frauen und Mädchen. Lohn- und Arbeitsverhältnisse, Strafsystem und Behandlung der Arbeiterschaft geben viel Grund zu Klagen. Ge­rade deswegen läßt die Direktion sich angelegen sein, durch die Förderung eines nationalen Arbeitervereins" einen Keil in die Ausgebeuteten zu treiben. Auch sonst trachtet sie danach, deren Koalitionsfreiheit illusorisch zu machen. Trotz alledem herrscht unter der Arbeiterschaft dieses Betriebs eine geradezu sträfliche Gleichgültigkeit, die die Direktion weidlich für den kapitalistischen Profit ausnußt. Wann endlich werden auch diese Lohnfklaven des Textilkapitals von dem sieghaften Gedanken erfüllt sein: Be­

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freiung der Ausgebeuteten aus Lebensnöten und Daseinsplage durch die unterdrückte Arbeiterklasse selbst." Dann wird keine feige Rücksicht, keine Knechtseligkeit sie vom Kampfe ihrer Brüder

und Schwestern zurückhalten.

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In Estebrügge sprach Genossin Brandenburg über Die politische und wirtschaftliche Lage der Gegenwart". Aus Bugte­hude, York, Borstel, Kranz, Neuenfelde und der Lühe waren Genossen und Genossinnen zusammengekommen, etwa 250, bei dem weiten Wege bis zum Versammlungslokal eine stattliche Zahl. Mit großem Interesse folgten die Anwesenden dem Vortrag. Allseitig und lebhaft wurde der Wunsch laut, daß öfter Genossinnen aufs Land zur Agitation gesandt werden möch­- es hatte zum ersten Male eine Frau im Ort gesprochen. In Stade mit seiner prächtig aufblühenden Arbeiterbewegung war die Versammlung sehr gut besucht, die der Forderung des Frauenwahlrechts galt. Was hat die Frau mit der Politik zu tun?" so lautete das Thema, über das die oben genannte Ge­nossin in Lehe bei Bremerhaven vor zirka 500 Personen sprach. Diese Versammlung nahm einen äußerst erfolgreichen Verlauf. Die sehr besorgte Polizei hatte zunächst versucht, den immer zahl= reicher herbeiströmenden Genossinnen wegen überfüllung den Zu­tritt zu dem Versammlungslokal zu verbieten. Sie mußte sich aber vom Wirt belehren lassen, daß der Saal mit polizeilicher Genehmigung 500 Personen aufnehmen dürfe. Als dann der Frauenchor Vorwärts" die Versammlung mit einem Lied an die Arbeit einleiten wollte, wurde der Gesang als nicht poli= zeilich genehmigt" verboten. Laute Pfuirufe und minuten­Tanges Händeklatschen dankten der wachhabenden Polizei für ihre liebevolle Fürsorge und für ihre uneigennützige Propaganda, der Partei neue Anhängerinnen zu werben. Begeisterte Stimmung beseelte die Versammlung bis zum Schlusse. Lauter Jubel er­tönte bei der Mitteilung, daß nach dem Referat 50 Parteimit­glieder und 30 Gleichheitabonnenten gewonnen worden waren. Nach einer mit vielem Geschick geführten Diskussion verließen die Versammelten unter kräftigem, freudigen Gesang der Verse des Sozialistenmarsches den Saal:

Der Erde Glück, der Sonne Pracht, Des Geistes Licht, des Wissens Macht, Dem ganzen Volke sei's gegeben,

Das ist das Ziel, das wir erstreben.

Die Polizei hatte wieder einmal gewirkt als ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft". e. g. Im zweiten weimarischen Wahlkreis Eisenach - Dermbach ver­anstaltete der Kreisvorstand im Februar acht Volksversamm­lungen, die die Aufklärung und Organisierung der Frauen för­dern sollten. Sie fanden statt in Farnroda , Kreuzburg, Mosbach , Kittelsthal, Ruhla , Eisenach , Lengs­feld, Ostheim. Genossin Eifinger Mainz sprach über " Die Frau im Kampfe um die Existenz". Die Versammlungen waren überall zahlreich von Frauen und Mädchen besucht. Ge­noffin Gifinger wies vorzüglich und klar nach, daß die kapita­listische Entwicklung neue wirtschaftliche und soziale Verhältnisse geschaffen hat. In der Folge wurden auch die Frauen und Kin­der in das Joch des Erwerbslebens gespannt. Der Profithunger der Kapitalisten drängt nach billigen Arbeitskräften und läßt die Frauenarbeit rasch anwachsen, ebenso die Kinderarbeit. In treffenden Ausführungen schilderte die Referentin das Elend der ausgebeuteten Frauen und Kinder und die Verschärfung der proletarischen Not durch die Verteuerung des Lebensbedarfs. Sie zeigte, welche ungeheure Schuld unsere wirtschaftspolitische Ge­setzgebung an der Belastung der Arbeiterklasse trägt. Durch Bei­spiele beleuchtete sie, wie notwendig für die Frau die politische Betätigung geworden ist. Die politische Rechtlosigkeit der Frau mit ihren Schäden wurde von Genossin Eifinger scharf gegeißelt. Der Vortrag endete mit einer flammenden Aufforderung an die ausgebeuteten und rechtlosen Frauen, mit ihren Klassengenossen zusammen den Kampf gegen ihre Rechtlosigkeit, die Auswuche­rung des Volkes aufzunehmen. Die Zahl der Versammlungs­teilnehmer belief sich zusammen ungefähr auf 1100, die politische Organisation gewann 114 Mitglieder. Das ist für die Verhält­nisse im Kreise ein schöner Erfolg. Die Versammelten versprachen überall, die sozialistischen Anschauungen zu fördern und an der Stärkung der politischen Organisation und der Verbreitung ihrer Presse unablässig mitzuwirken. Sie sind davon überzeugt worden, daß die Sozialdemokratie die einzige politische Partei ist, die für die Demokratisierung aller öffentlichen Einrichtungen und für die Befreiung der Arbeiterklasse von der Klassenherrschaft kämpft, ein Ziel, das allein auch der Frau volle Freiheit und Gleichberech­tigung berbürgt. Joh. Runknagel.