Nr. 16

Die Gleichheit

Im Bezirk Halle hielt Genossin Wartenberg- Altona Lichtbilder­vorträge über: Das Wirtschaftsleben der Gegenwart mit seinen ungeheuren Schäden für die Volksgesundheit." Die Versammlungen, die in den Kreisen Halle  , Zeiz- Weißenfels, Sangerhausen  , Mansfeld   und Wittenberg   stattfanden, waren durch: veg sehr gut besucht. Das ist beachtenswert, weil überall zur Deckung der Un­kosten 20 Pf. Eintrittsgeld erhoben wurden und die Vorträge den Charakter einer geschlossenen Vereinsveranstaltung haben mußten. Unsere hiesigen Behörden würden nämlich gegen öffentliche Abhaltung der Vorträge Schwierigkeiten gemacht haben. In einem kleinen Vor­ort Halles war selbst der geschlossene Vereinsvortrag wegen, Ge­fährdung der Sittlichkeit" verboten worden! Natürlich war das Verbot nicht aufrecht zu erhalten, aber man hatte inzwischen Zeit gefunden, uns das Lokal wieder abzutreiben, und so konnte der Vortrag in dem Orte nicht stattfinden. Die Vorträge fanden großes Interesse. Es wurde überall der Wunsch geäußert, Genossin Wartenberg möchte einmal in einem besonderen Vortrag das Gebiet der Frauenkrankheiten behandeln, das sie nur flüchtig hatte berühren können. In ihrer leichtverständlichen Vortragsweise, die durch die Lichtbilder wirksam unterstützt wurde, lenkte die Referentin die Auf­merksamkeit der Zuhörer auf die großen gesundheitlichen Schäden, die die Folgeerscheinungen der bestehenden Wirtschaftsordnung sind, und sie gab viele beachtenswerte Ratschläge, wie weit der einzelne diesen entgegenzuwirken vermag.

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rd.

Für Partei, Gewerkschaften und Jugendorganisation agitierte die Unterzeichnete in einer Reihe von Orten in Sachsen  . Ver­sammlungen fanden statt in Gommern   bei Dresden  , Neun= dorf bei Pirna  , Falkenstein   im Vogtland  , Großsedlik und Kesselsdorf   bei Dresden  , Gohrisch   bei Königstein  . Frauenversammlungen waren einberufen in Sporbik und Großzschach wit und in Mügeln   bei Dresden  ( 2). Gut besucht waren die Veranstaltungen zum Frauentag am 2. März in Gohrisch   bei Königstein   und am 3. März in Zittau  . Für die Jugendorganisation fanden zwei Versamm­lungen in Mügeln Dohna bei Dresden   und Dresden­Pieschen Trachenberge statt, die glänzend besucht waren. Eine rége Debatte der Jugendlichen schloß sich dem Vortrag an. Guten Erfolg brachten die sechs Betriebsversammlungen für den Fabrikarbeiterverband, Zahlstelle Dresden  , des= gleichen eine Versammlung für die Hausindustriellen Blumen­arbeiter, die diese mit den Bestimmungen des Hausarbeit­gesetzes vertraut machen sollte. In Hainichen   hatte das Ge= werkschaftskartell eine öffentliche Versammlung einbe­rufen mit dem Thema:" Der Kampf der gegnerischen Gewerk­schaften gegen die freien Gewerkschaften." Der Deutsch­nationale Arbeiterverein hatte ein Flugblatt ver­breitet, das der glänzend besuchten Versammlung als gutes An­schauungsmaterial zu dem Thema diente. Noch besser aber wurde die Kampfesweise der gegnerischen Gewerkschaften illustriert durch die Rede eines Herrn Pastor Richter aus Königswalde  , den die Unternehmer eigens, bezogen" hatten als Anwalt der arbeiter­verräterischen Bestrebungen der Deutschnationalen. An der Spize eines halben Dußends nationaler Arbeiter, Unternehmer und Meister hatte sich dieser Gottesstreiter in unserer Versammlung eingefunden. In der Diskussion ergriff Herr Richter das Wort, und eine schmuzige Flut von Verleumdungen, Fälschungen und Entstellungen ergoß sich länger als eine Stunde über die Ver­sammelten aus dem Munde des Predigers der Nächstenliebe und der Wahrheit. Unter anderem bezichtigte dieser Vorkämpfer der Deutschnationalen die Führer und Angestellten der freien Ge­werkschaften der Unterschlagung. Die Versammlungsleitung hatte Not, die Zuhörer in Ruhe zu halten. Es lag uns sehr viel daran, daß die Hainicher Arbeiter nicht nur immer Proleten, sondern auch einmal einen Herrn aus den besseren Ständen, einen Aka­demiker und noch dazu einen Pastor hören sollten. In der Er­widerung wurde dem Mann Gottes nichts geschenkt. Das Er­gebnis der pastoralen Beredsamkeit für den Deutschnationalen Arbeiterverein war gleich Null. Wir bitten Herrn Pastor Richter aus Königswalde  , sich recht oft in unseren Versammlungen, ein­zufinden. Er erspart uns manche Beweisführung und steckt in den Köpfen der Unaufgeklärten ein Licht an.

M. W.

Aus den Organisationen. Für die weiblichen Mitglieder der Ortsgruppe Weimar   sind seit Beginn des letzten Winterhalbjahres Leseabende eingeführt worden. Sie sollen den Genossinnen in leichtverständlicher Form Belehrung und Anregung geben. Leider haben von 140 weiblichen Parteimitgliedern nicht viel mehr als ein Drittel an den 16 Leseabenden teilgenommen, nämlich 53. Auf den einzelnen Abend kommen durchschnittlich nur 22 Teilnehmerinnen; bloß zwei Genossinnen waren an allen 16 Leseabenden anwesend,

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während ein Drittel der Besucherinnen nicht öfter als zweimal er­schien. 87 Genossinnen haben nicht ein einziges Mal den Weg zu dieser Bildungsgelegenheit gefunden. Die unerfreuliche Tatsache wird damit zu entschuldigen gesucht, daß der Abend nicht glücklich gewählt war. Bei allgemeinen öffentlichen Versammlungen ist die Beteiligung der weiblichen Parteimitglieder stärker. Eine größere Schulung und Aufklärung der Frauen tut aber bitter not. Es muß daher alles darangesezt werden unter Vermeidung etwaiger begangener Fehler, die ständige Besucherzahl der Leseabende zu heben.

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Politische Rundschau.

a. b.

Die erste Lesung der Wehr- und Deckungsvorlagen ist beendet. Der Reichstag   hat die Riesenforderung des Imperia­lismus und das übelduftende Bukett ihrer Deckung an die Kom­mission verwiesen, und das Problem ist nun, wie die Mehrheit für die Regierungsvorlagen zusammenzufriegen ist und wie diese noch vor Beginn des Hochsommers fertiggestellt werden können. Das heißt, das Problem entsteht nur durch die Frage der Deckung die Wehrvorlage könnte in wenigen Tagen erledigt sein, wenn sie eben nicht hinterher bezahlt werden müßte. Denn von einer wirklichen bürgerlichen Opposition gegen die Riefen­forderung des Imperialismus kann in Wahrheit nicht die Rede sein trotz aller gelegentlichen rebellischen Außerungen einzelner fortschrittlicher und Zentrumsblätter und einzelner Abgeordneten dieser Parteien. Längst sind die Zeiten vorbei, wo ein Bismarc nur mit Aufgebot der verzweifeltsten Mittel seine Militärvor­lagen durchbrüden konnte, wo er in Kürassierstiefeln mit dent Pallasch rasselnd die chauvinistischen Instinkte aufstacheln und den Spießer mit Turko und Kosak schrecken mußte, um die nötige Stimmung im Lande zu schaffen. Heute brauchen sich die Herren vom Regierungstisch nicht mehr in Unkosten zu stürzen, heute werden Heeresverstärkungen bewilligt, ohne daß Kanzler und Kriegsminister einen Finger krumm zu machen brauchen. Die Begründung einer Militärvorlage ist heutzutage ein Lurus, ci im Grunde ganz überflüssiges Ding, das nur anstandshalber bci­gegeben wird. Die bürgerlichen Parteien würden die Forderung des Militarismus schließlich auch ohne jegliche Begründung be= willigen. Denn sie wissen ganz gut, daß alles, was in dieser gc­sagt wird, doch nur Vorwand ist, hinter dem der wahre Grund des Wettrüstens dem Volfe und den anderen Nationen verborgen werden soll. Dieser wahre Grund ist eben der Imperialismus, die Politik der Macht und Gewalt, die den Krieg selbst oder doch die Kriegsdrohung als Mittel benutzt und die daher auch bestän= dig mit der Gefahr des Krieges zu rechnen hat. Deshalb kann in der Tat für eine Regierung und für die Parteien, die imperin­listische Politik zu treiben entschlossen sind, die Armee sowohl wie die Flotte nie stark genug sein. Und der Imperialismus ist heute das Kredo aller bürgerlichen Parteien, weil er außer der nackten Gewalt das einzige ist, was sie dem Sozialismus noch entgegen­zustellen haben.

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Von einer großen Debatte, von einem ernsthaften, grundsätz lichen Kampfe ist im Reichstag   nichts zu spüren gewesen. Da die Sozialdemokratie ja noch die Minderheit im Reichstag bildet und mithin das Schicksal der Vorlage gesichert ist, so fehlt den bürgerlichen Parteien jede Veranlassung zu wahrer leidenschaft­licher Erregung. Was sie anstandshalber, der Wähler wegen an Fragen und Bedenken vorbringen, dem fehlt die Wucht der tiefgewurzelten überzeugung, das verrät die Mache. Und wa3 sie für die Vorlage zu sagen haben, das erhebt sich nicht 1 Schwung und Größe, weil die Redner nicht durch die Notwendig­feit gespornt werden, Widerstrebende für ihre Ansichten gewinnen. So ist denn von bürgerlicher Seite feine einzige wirf­lich großzügige, fortreißende Rede gehalten worden eine De batte von weltgeschichtlicher Bedeutung, die von der Ordnungs­presse gefordert wurde, läßt sich wahrhaftig aus diesen Verhand­lungen nicht machen. Nicht einmal dem äußeren Anstrich nach. Selbst dazu fehlte den bürgerlichen Parteien die Spannkraft, durch ein bißchen buntes Redefeuerwerk über die Öde des In­halts der Debatte hinwegzutäuschen. Bethmann Hollweg  , der ihnen voranzugehen hatte, versteht sich freilich auf solche Kunst­stücke gar nicht, die dem Schaumschläger Bülow jederzeit zu Cc­bote standen. Er ist immer der korrekte Bureaukrat. So hat er denn den Reichsboten eine fade Wassersuppe vorgesetzt. Daz wenige Richtige, das seine Ausführungen enthielten, ist zu einer Begründung der Wehrvorlage schlechterdings nicht zu gebrauchen. Denn wenn der Kanzler versichert, daß das Verhältnis zu Eng­land sich gebessert hat, wenn er erklärt, daß Deutschland   zu den Nachbarstaaten in den besten Beziehungen steht, so spricht das