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Die Gleichheit
und Arbeiterinnen nicht ein. In Massafiscaglia , einer etwa 7000 Einwohner zählenden Ortschaft in der Provinz Ferrara , ruht die Arbeit seit mehr als 70 Tagen vollständig. Auch die nur mittelbar an der Sache beteiligten Proletarier streiken. Mit jedem Tage wird ein größeres Aufgebot bewaffneter Macht nach dem Städtchen entsendet, über das der Belagerungszustand verhängt worden ist. Als Anfang April aus Padua Streifbrecher eingeführt wurden, trat trop polizeilichen Verbots eine Gruppe streifender Frauen an sie heran, um sie davon zu überzeugen, daß sie feine Streifbrecherdienste leisten dürften. Vier dieser mutigen Frauen wurden von der Polizei gewaltsam zurückgestoßen, an den Armen gepackt der einen Proletarierin ward das Kleid dabei in Feben gerissen. und ins Gefängnis gebracht. Unter den Verhafteten befindet sich eine Mutter mit ihrer Tochter. Trotz der Armut, die in der Gegend herrscht, und der dort üblichen Hungerlöhne haben die Streifenden bis jetzt keine Hilfe von auswärts erbeten. Aus den benachbarten Ortschaften jedoch werden ihnen Mehl und andere Naturalien zugeschickt. Die Proletarier dort sind außerstande, ihre streifenden Brüder und Schwestern mit Geld zu unterstützen. So teilen sie mit ihnen das Stück Brot im buchstäb= lichsten Sinne des Wortes. Die Streifenden sind fest entschlossen, so lange im Kampfe auszuharren, bis die Arbeitgeber die prole= tarische Organisation und die Rechte der Arbeiter anerkennen. a. b. In der Suppenküche der Streikenden. Aus Brüssel wird dem„ Vorwärts" geschrieben:
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36 Suppenküchen sind für Brüssel und die Vororte zur Speisung für die Streifenden eingerichtet. Der Liter Suppe wird um 10 Centimes verkauft. Aber nur bis zum Montag. Von da an wird die Suppe an die Streifenden gratis verabreicht.
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Wir nehmen die Trambahn und fahren nach dem Arbeitervorort Anderlecht bis ans dortige Volkshaus." Ons Huis", denn wir sind inmitten flämischer Arbeiterbevölkerung. Auf der Front lesen wir die Inschrift, die jetzt auf allen Volkshäusern prangt: Soldaten, schießt nicht auf friedlich Streikende! Vor mir zappeln zwei kleine Mädchen mit baumelnden, echt flämisch blonden Zöpfchen. Sie tragen die Kannen für die Suppe. Und ich folge ihnen durch den Vorgarten zu dem Bretterraum, der als Suppenküche eingerichtet ist. Es scheint, ganz Anderlecht ist auf Suppen lüstern. In der Tat, der Ansturm sett den braven Genossinnen nicht übel zu, die mit roten Backen vor dem ungeheuren Kessel stehen und Liter um Liter ausschöpfen. Wie wird es am Montag bei der Gratissuppe sein?
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Wir treten näher, da der Ansturm vorbei ist, und hören uns begrüßen. Wir sehen näher hin und erkennen in der Leiterin der Suppenstation niemand anderen als die bekannte Führerin der belgischen Frauenbewegung, Genossin Tillemans, im Köchinnenfostüm, mit aufgestülpten Ärmeln, den Suppenschöpfer in Händen. Mit ihrem frischen jungen, fröhlichen Gesicht man versteht, daßdie Kongreßteilnehmer mißtrauisch lächelten, als die Genossin ihnen im Vorjahr erzählte, sie sei 24 Jahre in der belgischen Arbeiterinnenbewegung tätig lacht uns die Genossin zu. Ja, es war feine kleine Arbeit heute. Die Leute sind ja wie die Wilden auf unsere Suppe. Ist sie denn so gut? frage ich. Der kleine Rest, der noch da ist, ist zwar schon borverkauft", aber ich bekomme doch noch eine„ Bol" zum Verkosten. Und ich koste und finde, daß Genoffin Tillemans eine nicht minder gute Köchin als Rednerin ist. Und ich mag es gerne glauben, daß sich auch Nichtstreifende Suppenbons zu verschaffen trachten, um einen Liter der vorzüglichen Suppe zu bekommen. Aber Genossin Tillemans wacht, daß der Vorteil den Streifenden, und nur den Streifenden zugute fommit. Sieben verschiedene Suppen, erzählt uns die Genossin, haben wir für die Woche. jeden Tag eine andere. Alle sind Fleischbrühen und erhalten dann die beliebten Brüsseler Kräuter als Zusak oder sind mit Erbsen passiert usw., und das Fleisch wird immer hineingemahlen. Nebenan bemerken wir auch die Fleischmühle. Die Genossinnen, Mitglieder der Frauenfektion des Vorortes, arbeiten in„ Schichten"- allemal unter Führung ihrer Sektionsleiterin, der Genossin Tillemans. Ihr drücken wir die Hand. Auf Wiedersehen am Montag bei der Gratisausteilung!
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Frauenstimmrecht.
I. K. Die Frauen und das Kommunalwahlrecht in Italien . An dem am 5., 6. und 7. April in Mailand abgehaltenen Verbandstag der Gemeinden( Congresso dell' associazione dei Comuni) wurde auf Veranlassung unseres Genossen Sichel, Abgeordneten, auch das Gemeindewahlrecht der Frauen erörtert. Die Frage stand nicht als besonderer Punkt auf der Tagesordnung, sondern wurde im Zusammenhang mit der Frage
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des Wahlrechts im allgemeinen besprochen. Die Diskussion über sie war trotzdem eine lebhafte. Genosse Siche I beleuchtete das Frauenwahlrecht vom sozialistischen Standpunkt und begründete unter Zustimmung eines Teils der Anwesenden eine Resolution zugunsten der kommunalen Rechtsgleichheit des weiblichen Geschlechts. Der reaktionäre Gemeinderat Tello wendete sich gegen die Resolution und gab seiner Entrüstung Ausdrud, daß überhaupt von der Ausdehnung des Gemeindewahlrechts auf die Analphabeten und Frauen die Rede sein könne. Merkwürdigerweise hat ein sozialistischer Gemeinderat, Rechtsanwalt Curtini, ebenfalls gegen die Resolution gesprochen und gestimmt. Um nicht mit den Reaktionären verwechselt zu werden, begründete Curtini feine Stellungnahme dadurch, daß er zwar nicht etwa prinzipieller Gegner des Frauenwahlrechts sei, aber die Frauen geistig und moralisch nicht für reif genug halte, um der Ausnüßung ihres Wahlrechts durch die Klerikalen und Reaktionäre zu widerstehen und den richtigen Gebrauch von ihrem Stimmzettel zu machen. Der Redner legte daher dem Kongreß eine Resolution vor, die ausspricht, daß es notwendig sei, die Frau zu bilden und zu schulen, damit sie befähigt wird, diejenigen politischen Rechte zu erkämpfen und auszunüßen, die mit der weiteren allgemeinen kulturellen Entwicklung ihr nicht versagt werden können". Die Abstimmung ging unter ziemlicher Erregung vor sich. Von den anwesenden 156 Stimmberechtigten votierten 72 für das Frauenwahlrecht, 82 dagegen und 2 enthielten sich der Abstimmung. Die be= Verteidiger des Frauenwahlrechts- meist Parteigenossen grüßten das unerwartet günstige Ergebnis mit lautem Beifall; Genosse Sichel wurde lebhaft Glück zu seinem Vorstoß gewünscht. Der„ Avanti", das Zentralorgan der sozialistischen Partei, weist darauf hin, daß Genosse Curtini sich durch seine Stellungnahme zum Frauenwahlrecht in Widerspruch gesetzt hat zu den Beschlüssen der internationalen Sozialistenkongresse und Frauenkonferenzen wie auch des italienischen Parteitags zu Modena . Er hebt scharf tadelnd hervor, wie reaktionär, unsozialistisch dieses Auftreten war. Die erste Mainummer des sozialistischen Frauenblatts ,, La Difesa delle Lavoratrici" bringt einen Aufruf des Nationalen So= zialistischen Frauenverbandes, in dem die Auffassung der Partei vom Frauenwahlrecht festgestellt und die aus ihr folgende Pflicht aller Genossen und Genossinnen zur Agitation dafür stark betont wird, wie auch die Pflicht der Genofsinnen und Arbeiterinnen, sich. eifrig an der nächsten Wahlrechtskampagne zu be= teiligen. Diese Nummer der„ Difesa" trägt den Charakter einer Sonderausgabe und wird ausschließlich der Maifeier gewidmet sein. Alle in der Partei tätigen Genossinnen sind in ihr durch Beiträge vertreten.
Die Frau in öffentlichen Aemtern.
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a. b.
Die Zahl der weiblichen Gewerbeaufsichtsbeamten in Deutsch land ist im Verlauf der Zeit auf 40 gestiegen. Sie verteilen sich wie folgt: Preußen hat 14 Assistentinnen, davon 8 in Berlin ; Bayern 7, von denen 2 den Titel führen Inspektorin im Gewerbeaufsichtsdienst" und den Gewerbeassessoren im Range gleichstehen; Sachsen 5 Assistentinnen; Württemberg 2 Gewerbeassessorinnen und 2 Assistentinnen; Baden 1 wissenschaftlich gebildete Hilfsarbeiterin, außer der demnächst eine Hilfsassistentin amtieren wird; Hessen 2 Assistentinnen; SachsenWeimar, Sachsen- Koburg- Gotha, Anhalt, OIdenburg, Hamburg , Bremen und die Reichslande haben je 1 Assistentin. Alle weiblichen Kräfte der Gewerbeaufficht haben Beamtenrang, doch wie ihr Titel ist auch die Art ihrer Verwendung und der Grad ihrer Selbständigkeit verschieden, ebenso das Gehalt, das sich zwischen 1800 und 4200 bezw. 5000 Mark bewegt. 1911 wurden in Betrieben, die der Gewerbeaufsicht unterstehen, 1317 682 erwachsene und 172 535 jugendliche Arbeiterinnen beschäftigt, dazu 7434 Kinder unter 14 Jahren. Schon diese Zahlen lassen erkennen, daß 40 Beamtinnen viel zu wenig für die vorliegenden Aufgaben sind. Das ist aber um so mehr der Fall, als den meisten, wenn nicht allen von ihnen auch die besondere Bewachung der Bestimmungen des Kinderschutzgesetzes übertragen worden ist. Für den Ausbau der Gewerbeaufsicht fehlt es den Regierungen natürlich an Geld, weil es ebenso natürlich an gutem Willen fehlt.
Als Wohnungspflegerin in Schöneberg ist seit dem 1. April Fräulein Rosenst o d angestellt worden, die bisher Leiterin der Zentralstelle für Lehrstellenvermittlung in Groß- Berlin war.
Verantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe , Post Degerloch bet Stuttgart .
Drud und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.8. in Stuttgart .