Nr. 17
-
Die Gleichheit
Frauenbewegung in Stettin und insbesondere die Entwicklung der Leseabende. Sie brachte sicher die allgemeine über zeugung der Genossinnen zum Ausdruck, als sie ausführte, daß zweifellos ein noch kräftigeres Fortschreiten zu erwarten sei, wenn in Pommern gleich wie in Schlesien eine Sefretärin angestellt werde. Dieser Gedanke wurde von Genossin 3yliegan begeistert unterstützt, sie fügte noch hinzu, daß die Sekretärin so bald als nur möglich angestellt werden möchte. Die Unterzeichnete ging zum Schluffe nochmals auf alle Gesichtspunkte ein, die während der Debatte berührt worden waren. Sie erklärte gleichfalls, daß ihrer Meinung nach feineswegs zwanzig Jahre zu verstreichen brauchten wie ein Zwischenrufer gemeint hatte, um die Vorbedingungen für die Anstellung einer Sekretärin zu schaffen. Es liege in der Hand jedes einzelnen, alles zur Förderung der Frauenbewegung zu tun, damit diese recht bald die Höhe erreiche, die die Anstellung einer Sekretärin für den Bezirk vollauf rechtfertige. Mit dem Wunsche, daß die Konferenz zum weiteren Aufschwung der Frauenbewegung in Pommern beitragen möge, und mit einem Hoch auf die Sozialdemokratie fand die äußerst anregende Tagung ihr Ende. Die Genoffinnen Juchacz und Leu sind zurzeit in dem Bezirk agitatorisch tätig gewesen und werden über die Ergebnisse ihrer Arbeit selbst berichten. Auf allen Konferenzen wurde selbstverständlich auf das nachdrücklichste betont, wie wichtig und unentbehrlich zur Schulung der Genossinnen das Studium der ,, Gleichheit" ist, die in den Bezirken, über die wir heute berichten, den Genossinnen obligatorisch geliefert wird. Ferner wurde empfohlen, die Broschüren der Sozial. demokratischen Frauenbibliothek den Genosfinnen billiger zugänglich zu machen, indem der Bezirk sie in mindestens tausend Exemplaren bezieht. 42. 3iez. bid 306 Hanapini
Kommunale Mitarbeit der Frau in Bayern .
In Bayern hat endlich die Frau Zutritt zum Rathaus erhalten, um an den kommunalen Aufgaben mitzuarbeiten. Die Forderung der Sozialdemokratie: Mitwirkung der Frau bei allen Gemeindeangelegenheiten, ist somit zum Teil anerkannt und erfüllt worden. Die Frauen in Bayern und namentlich Die Anhängerinnen der Sozialdemokratie gaben in ihrer Forderung nicht nach. Sie bombardierten den bayerischen Landtag mit Petitionen, in den Rathäusern wurde das Verlangen unermüdlich von den sozialdemokratischen Gemeindevertretern erhoben. Auf die Dauer konnte der Erfolg nicht ausbleiben.
-
Das erste Gebiet kommunaler Tätigkeit, das den Frauen in Bayern geöffnet wurde, war das der Armenpflege. Die ministerielle Entscheidung dazu vom 7. August 1909 begründet die Neuerung unter anderem wie folgt:„ Die günstigen Erfahrungen, die insbesondere in außerbayerischen Gemeinden mit der Mitwirkung von Frauen bei der öffentlichen Armenpilege gemacht worden sind, lassen es wünschenswert erfcheinen, daß auch die Gemeindebehörden und Armenpfleg schaftsräte in Bayern dieser Mitwirkung in weitergehendem Maße sich bedienen. Eine gesetzliche Regelung dieser Angelegenheit soll später bei einer eingeleiteten weitergehenden Änderung der Armengefezgebung durchgeführt werden." Indessen so betonte der Erlaß ausdrücklich auch schon nach dem geltenden Rechte sind die Gemeinden und Armenpfleger nicht gehindert, Frauen zur geordneten Mitwirkung bei der öffentlichen Armenpflege heranzuziehen. Insbesondere besteht die Möglichkeit, je nach den örtlichen Verhältnissen für die ganze Gemeinde oder einzelne Gemeindebezirke Hilfsarmen pflegerinnen mit einem näher zu bestimmenden Wirkungsfreis usw. mit beratender Stimme beizuziehen. Das Minifterium erklärte ferner:„ Eine Mitarbeit der Frauen wird insbesondere da veranlaßt und erfolgreich sein, wo es sich um Unterstützung oder Verpflegung bedürftiger weiblicher Per sonen oder von Kindern handelt- überhaupt in allen Fällen, in denen der Natur der Sache nach eine Frau
-
261
ein größeres Verständnis mitbringt und daher auch mehr Vertrauen und Erfolge zu erwarten hat als ein Mann." Den Gemeinden und Armenpflegschaftsräten ward daher nahegelegt, unter Würdigung der örtlichen Verhältnisse die Mitarbeit der Frauen bei der Armenpflege in Erwägung zu ziehen. Sofern von dieser Befugnis in einer Gemeinde Gebrauch gemacht wird, ist von der Distriktsverwaltungsbehörde hierüber an das Staatsministerium des Innern zu berichten, ebenso auch über die im Laufe der Zeit gemachten Erfahrungen. dining
Die längst für ihr Wirken gerüsteten Frauen nahmen nun bald ihre Tätigkeit als Helferinnen bei der Armenpflege auf. Sie wurden feierlich in ihr Amt eingeführt. Der Bürgermeister oder sein Stellvertreter verpflichtete im Rathaussaal durch Handschlag die Frauen, thr neues Amt gewissenhaft und zum Wohle der Gemeinde auszuüben. Die Zahl der Frauen, die in der Armenpflege mitarbeiten, beträgt zurzeit mehrere hundert, darunter viele Vertreterinnen der Sozialdemokratie. In den Städten München und Nürnberg allein sind je über 60 Frauen als Helferinnen in der Armenpflege tätig. Auch zu den Verwaltungsarbeiten der Armenräte wurden die Frauen herangezogen. Sie figen als Mitglieder in den Ausschüssen für Armenanstalten, für Beschaffung von Kleidung und Heizmaterial, für Beschaffung von Nahrungsmitteln usw. Der lette veröffentlichte Verwaltungsbericht der Stadt Nürnberg meldet unter dem Kapitel Armenpflege von einer neuen Einrichtung, die die Mitwirkung der Frauen beleuchtet. Es handelt sich um die Kinderfürsorge in einem Armenhaus. Die Notivendigkeit einer derartigen Kinderfürsorge war von einer Genossin empfohlen worden, die Mitglied des Verwaltungsausschusses für Armenanstalten ist. Der Verwaltungsbericht sagt über die Einrichtung:„ Es hat sich gezeigt, daß die Kinder der in Armenhäusern untergebrachten Familien nicht ordentlich erzogen und insbesondere sehr mangelhaft
beaufsichtigt werden. Um diesen Übelſtänden entgegenzutreten
und eine Verwahrlosung der Kinder zu verhüten, wurde in einem entsprechenden Raume des bezeichneten Armenhauses die Kinderfürsorge errichtet und zur Überwachung und Belehrung der Kinder eine Kindergärtnerin aufgestellt. Die Familien mit Kindern werden nur noch in diesem Armenhaus untergebracht. Nach den bisherigen Beobachtungen hat sich diese Einrichtung sehr gut bewährt."... Und die Kindergärtnerin berichtet:„ Die Kinder waren früher sich selbst überlassen, sie drückten sich in Gängen des Armenhauses( einer früheren Fronfeste) oder auf der Straße herum und mußten so einer gewissen Verwahrlosung entgegengehen. Nunmehr werden die Kinder von zwei bis zwölf Jahren, deren Mütter tagsüber außer dem Hause beschäftigt sind, unter Aufsicht gestellt. Die Kleinen werden vormittags zum Spielen und zu rein praktischen Sachen, wie Staubwischen im Spielzimmer usw., angehalten, um das Reinlichkeitsempfinden zu pflegen. Nachmittags nach der Vesperpause werden Schulaufgaben gemacht und dann gespielt oder vorgelesen oder gearbeitet. Der Gesundheitsstand der Kinder war schon innerhalb drei Monaten verhältnismäßig durchaus befriedigend. Die Innehaltung einer gewissen Ordnung und Regelmäßigkeit, sowie der möglichst häufige Aufenthalt in frischer Luft haben sehr vorteilhaft auf das Aussehen der Kinder gewirkt."
Aber nicht nur in der Armenpflege, sondern auch in der Waisenpflege und Säuglingsfürsorge sind Frauen zur Mitarbeit herangezogen worden. Es geschah dies auf Grund einer Aufforderung des Magistrats in einzelnen Städten. In der Säuglingsfürsorge wurden dank der Mitarbeit von Frauen wesentliche Neuerungen eingeführt: Neben unentgeltlicher ärztlicher Behandlung von Kindern kostenlose Verabfolgung von Säuglingsmilch, auch Schwangerenunterstützung. In Nürnberg wurde die Bertreterin der Sozialdemokratie, als Verwaltungsmitglied des Ausschusses für Säuglingsfürsorge, beauftragt, Frauenversammlungen einzuberufen, in denen Ärzte und eine Arztin über das Thema„ Mutter und Kind" sprachen. Die Kosten trug die Stadt.