Nr. 18

Aus der Bewegung.

Die Gleichheit

Von der Agitation. Eine Agitationsreise durch Ostsachsen unternahm die Unterzeichnete im April. Sie sprach zunächst in Ebersbach  , wo zirka 200 Besucher aufmerksam dem Referat folgten: Die Rüstungstreibereien im Jubiläumsjahr und was sagen die proletarischen Frauen dazu?" Fünfzehn Frauen und elf Männer wurden für die politische Organisation geworben. Am nächsten Tage ging es nach Dürrhennersdorf  , wo der Be­such etwas geringer war, aber auch entsprechend Neuaufnahmen gemacht wurden. Die Arbeiter und Arbeiterinnen dieser beiden Orte scheuen sich noch etwas vor der Organisation, weil sie den Gewaltigen der Gegend, den bekannten Großindustriellen Wünsche fürchten. Obgleich der Referentin der Erfolg unbedeu­tend erschien, meinten doch die ortsansässigen Genossen, es sei schon zu begrüßen, daß die dortigen Frauen überhaupt politisch wach würden. In Neugersdorf   war die Versammlung größer. Hier hat unsere Partei bereits eine feste Position, wie die Wahlkämpfe bewiesen haben. Trotzdem ist die Reaktion dort noch recht starf. Welches Mäntelchen sie trägt, das läßt der Sak erkennen, der über dem neuerbauten Schulhaus prangt: Glauben und Tugend, das Höchste der Jugend!" Die Referentin empfahl dagegen den Neu­gersdorfern als das Höchstzuerstrebende für ihre Kinder Gesundheit und Lebensmut. In dem herrlich gelegenen Oppach   wurden in der gut besuchten Versammlung fünfzehn neue Mitglieder gewon­nen. Dreißig Textilarbeiterinnen traten der Partei in Weigs= dorf bei Kunewalde bei, wo die Referentin eine Festrede bei einer Gewerkschaftsfeier hielt. Im Löbauer Bezirk hatte die Auf­Härungsarbeit Erfolg. Dem Sächsischen Postillon" waren die Vorträge der Unterzeichneten auf die Nerven gefallen. Er hatte gegen uns mobil gemacht. Trotzdem nahmen wir in Löbau   selbst 24 neue Mitglieder auf. Auch in Lauba bei Löbau war der Be­such ein recht reger und ganz besonders in Herwigsdorf, wo mehr als 300 Männer und Frauen anwesend waren. Dort war

Werner erſchienen,

dicken Aftenmappe, die mit Zitaten aus den Sozialistischen Mo­natsheften" gespickt war, die der gute Mann offenbar gewissenhaft aufgestapelt hat. Wir ließen diesem Gegner volle/ Stunden Zeit, um uns zu vernichten. Er vermochte aber nicht, die Darlegungen des Vortrags zu erschüttern, und so wurde ihm mitsamt seinen Gewährsmännern und Gewährsfrauen im Schlußwort gründlich heimgeleuchtet. Der Biedere flüchtete dann an den treuen Busen des Sächsischen Postillon", an dem er sich schluchzend ausklagte, dabei das unmöglichste Zeug zusammenphantasierend. In Soh= land und Wilthen   war der Besuch der Versammlung schwach. Die dortigen armseligen Sch e uertuchweber und Scheuer­tuchweberinnen, die noch auf Handstühlen arbeiten, sind so abgeſtumpft in ihrem Elend, daß sie sich vermutlich nur ganz lang­sam zum Zusammenschluß aufraffen werden.

-

Im 8. Wahlkreis ließ leider die Vorarbeit sehr zu wünschen übrig, ohne die ein Erfolg unmöglich und die oft wichtiger ist als das Referat selbst. In Sebnik waren kaum 50 Personen zur Stelle, und das läßt sich nicht allein mit dem Daniederliegen der Industrie künstlicher Blumen erklären, wenn es auch zu einem schlechten Besuch beigetragen haben mag. In diesem Bezirk hat die vorbereitende Hand gefehlt. Das war noch stärker in Kopit, Pirna   gegenüber, zu verspüren. Keine Plakate, keine Handzettel, keine gute Annonce- nur ein unzweckmäßiges Sammelinserat vor allen Dingen gar keine Hilfe von Genoffinnen. Die Versamm­lungen in Kopik ließen sich leicht vorbereiten. Es ist von Pirna   nur durch eine Brücke getrennt, über die die meisten Arbeiter abends und morgens strömen. In der" Pirnaer Volkszeitung" tauchten die Berichte über die von der Referentin abgehaltenen Versamm= lungen überhaupt nicht auf, und vielleicht dachten deshalb unsere Genossen und Genossinnen, es lohne sich nicht, den Vortrag zu hören. Eine Feuersbrunst, die gerade vor Beginn der Versammi­lung in Piena ausbrach, kann auch nicht als Entschuldigung an­gezogen werden. Die ungeschminkte Darlegung des erhaltenen Ein­drucks wird hoffentlich dazu beitragen, daß die Dinge im Bezirk sich bessern. Die Versammlung in Großhartmannsdorf  war nicht übermäßig besucht, aber trotzdem verspürte man wieder den Hauch des Schaffenwollens. In Klein- 3schachwih vor Dresden   war die Veranstaltung gut besucht. In dem 1. Wahlkreis gab es in Großschönau   eine sehr gut besuchte Versammlung, in Leutersdorf   und Reichenau   war der Besuch schwächer, dagegen in Zittel vor Zittau   recht gut. Eine ziemliche Anzahl Aufnahmen wurden an den vier Orten gemacht. Im allgemeinen war die Referentin von dem Stand der Frauenorganisation in Ostsachsen keineswegs befriedigt. Hier, wo die Frauen härter als

281

in anderen deutschen Gegenden fronden müssen, steht unserer Ar­beit noch ein weites Feld offen. Abgesehen von den Großstädten, deren Frauenbewegung die Referentin nicht zu beurteilen Gelegen­heit fand, scheinen die ostsächsischen Proletarierinnen noch ziemlich gleichgültig beiseite zu stehen. Verschiedentlich wurde erzählt, daß auch die Gesamtbewegung in manchen Orten stagniere. Um so not­wendiger ist es, daß alle Kräfte angespannt werden, um die Sache der Partei unter Männern und Frauen zu fördern. Die Sache der Partei ist ja die der Enterbten, die ans Licht treten müssen. R. Ruben.

Die Maifeier in Chemnik erhielt dieses Jahr ihr Gepräge durch die starke Beteiligung der Frauen an dem Demonstrations­zug der klassenbewußten Arbeiterschaft. An dem wundervollen Maienmorgen bot sich in den Straßen ein ganz anderes Bild als sonst an Sonn- und Festtagen. Schon vor 8 Uhr früh sah man überall festlich gekleidete Menschen geschmückt mit einer roten Rose den verschiedenen Versammlungslokalen zueilen, um von dort ge­meinsam nach dem Sammelplatz an der Planißstraße zu wandern. Von da begann um 11 Uhr der Abmarsch der Demonstranten in geschlossenem Zuge nach dem anderthalb Stunden entfernten Luna­park in Altendorf, wo von drei Rednertribünen unsere Maiforde­rungen begründet wurden. über 40 000 Menschen gingen im Zuge. Viele Tausende bildeten Spalier. Keine bürgerliche Veranstaltung hatte je so viel Männer, Frauen und Kinder als Teilnehmer und Zuschauer. Die Sonne schickte zwar glühende Strahlen herab, doch ein Mailüfterl" milderte die drückende Hitze. Damit die Zugteil­nehmer nicht allzusehr durch Staub belästigt würden, hatte die städtische Straßenverwaltung sämtliche Straßen besonders bc= sprengen lassen, die durch den Zug berührt wurden. Im Zuge be= fanden sich über dreißig Musikchöre. Einen prächtigen Anblick boten die vielen Banner, von denen einzelne sehr schwere wie die der fozialdemokratischen Partei des 16. sächsischen Reichstagswahl­freises, der Buchdrucker, Textil- und Metallarbeiter je in einem zweispännigen Wagen gefahren wurden. Sehr groß war die Zahl der Frauen und Mädchen im Zuge. Born in Zuge allein mar­schierten reichlich 1000 organisierte Proletarierinnen, und außer­dem waren Frauen bei allen Gruppen, bei den Radfahrern, den Bezirksvereinen, Transportarbeitern, Textilarbeitern, Buchbindern usw. Recht wirksam war die Demonstration der Textilarbeite­rinnen. Gegen 200 von ihnen waren in weißen Kleidern erschienen. Ihnen voran schritten zwölf Arbeitsschwestern gleichfalls in weiß, mit breiten roten Schärpen, barhäuptig, mit leuchtenden roten Bändern im Haar; sie trugen ein Transparent mit der Inschrift: Wir fordern den Achtstundentag, wir fordern den freien Sonn­abendnachmittag. Gerade diese Gruppe machte den stärksten Ein­druck auf die Zuschauer. Interessant war überhaupt die Wirkung, die unser Zug auf die Bevölkerung ausübte. Während aus den einen Fenstern den Demonstranten Blumen zugeworfen wurden, glotten aus anderen Spießer mit großen erschrockenen Augen auf die Menschenmassen herab, die es wagten, offenkundig ihre For­derungen zum Ausdruck zu bringen. Wir Frauen können in Chem­nik mit Stolz auf diese wohlgelungene Demonstration zurück­blicken. Helene Wagner.

Jahresbericht über die proletarische Frauenbewegung im sechsten sächsischen Wahlkreis. Die anhaltende Teuerung, die ständige Kriegsgefahr und das wahnsinnige Wettrüsten mit seinen schlimmen Begleiterscheinungen für die arbeitende Klasse haben schon die Augen mancher Arbeiterfrau und manchem proletarischen Mädchen geöffnet, die bisher unserer Bewegung noch gleichgültig gegenüberstanden. Die harte Lehrmeisterin Erfahrung hat ihnen gezeigt, daß auch sie teilnehmen müssen am proletarischen Kampf, um die Arbeiterklasse aus Nacht und Elend zu befreien. Immer größer und größer ist die Zahl unserer Anhängerinnen geworden. Schon in den früheren Jahren konnten wir aus dem sechsten Wahlkreis berichten, daß die Zahl der weiblichen Mitglieder zu­nahm, aber noch nie war die Ernte unserer Agitation unter den Frauen so reich wie in dem verflossenen Tätigkeitsjahr, das über­dies nur neun Monate umfaßt. Die planmäßige Aufklärungs­arbeit hat den Beweis geliefert, daß auch die Frau für die poli­tische Organisation zu gewinnen ist. Von 1898 ist die Zahl der weiblichen Mitglieder auf 2610 gestiegen, also um 712. Zum ersten­mal sind für die Organisation mehr weibliche als männ= liche Mitglieder gewonnen worden.

Wenn wir einen so starten Zuwachs an Kämpferinnen buchen können, so ist das unstreitig mit ein Erfolg der 22 Versamm­lungen, in denen Genossin Röhl- Berlin   referiert hat. Sie ver­stand es, in schlichten Worten den Frauen die Notwendigkeit des politischen Kampfes und der politischen Kampfesorganisation zu schildern. So sind denn auch in diesen Versammlungen allein