Nr. 18
Die Gleichheit
Aus der Holzarbeiterbewegung. Die Arbeitslosigkeit in der deutschen Holzindustrie hat in diesem Frühjahr ganz ungewöhnlichen Umfang angenommen. Meldeten doch für den letzten Tag des Monats April die berichtenden Zahlstellen bei einem Mitgliederstand von rund 190700 zusammen 8825 am Ort und 346 auf der Reise befindliche arbeitslose Mitglieder. Das sind 4,63 Prozent sämtlicher Mitglieder, ein Prozentsaz, der um die gleiche Jahreszeit seit dem Krisenjahr 1908 nicht wieder erreicht wurde. Aber auch die Vormonate seit November 1912 übertreffen durch den Prozentsatz der Arbeitslosen die Vorjahre mit Ausnahme des Jahres 1908, das ähnliche Ziffern aufwies. Diese starke Arbeitslosigkeit ist zu einem großen Teil die mittelbare Folge des Balkankriegs und der durch ihn heraufbeschworenen Kriegsgefahr für Europa . Die Anspannung des Geldmarktes durch den Krieg, die Abhebung von Bargeldern von Banken und Sparkassen infolge der Kriegsfurcht, wie zum anderen die ständige Ungewißheit über die kommenden Dinge wirken eben lähmend auf die Unternehmungs- und die Kauflust. Auch wurden bestimmte Exportindustrien durch den Krieg unmittelbar in ihrer Tätigkeit unterbunden. Stark wirkt auf die Holzindustrie das durch die gleichen Ursachen bedingte Daniederliegen des Baugelverbes ein. Besonders kraß tritt natürlich die Arbeitslosigkeit in den Großstädten in Erscheinung, die häufig schon in gewöhnlichen Zeiten von Arbeitsuchenden überlaufen sind. Jetzt besteht dort für den Zureisenden gar keine Hoffnung auf Erwerbsgelegenheit. So waren zum Beispiel am 9. Mai am Berliner paritätischen Arbeitsnachweis als arbeitslos eingetragen: 894 Bau- und 1663 Möbeltischler, 290 Maschinenarbeiter, 464 Polierer, 73 Drechsler und 815 sonstige Holzarbeiter. Zu diesen kommen noch etwa 300 Angehörige anderer Zweige, die den eigenen Nachweis des Verbandes benutzen. Von den gut 29000 Mitgliedern der Zahlstelle Berlin waren also etwa 3500 ohne Arbeit. Und das zu Beginn des Sommers! Andere Großstädte waren zwar etwas besser gestellt, immerhin wiesen auch sie ungewöhnlich hohe Arbeitslosenziffern auf. So hatten Hamburg 740, Dresden 420, Leipzig 340, München 340, Stuttgart 200, Bremen 190, Hannover 190 Arbeitslose; das kleine Halle wies deren 75, Posen 60, Breslau 165 auf. Es steht ja zu hoffen, daß mit dem Verschwinden der Kriegsgefahr auch in der Holzindustrie allmählich wieder normale Erwerbsverhältnisse eintreten. Doch wird es besonders in den Großstädten noch langer Zeit bedürfen, ehe sie dem Zuziehenden wieder Aussicht auf Arbeitsgelegenheit bieten. Diese wird in ihnen selbst in ruhigen Zeiten durch die ständige Abwanderung der Industrie auf das Land wenig vielsprechend bleiben.
In der Nürnberger Pinselindustrie haben am 10. Mai die rund 1700 Arbeiter und Arbeiterinnen gekündigt die weiblichen Arbeitskräfte machen weit über die Hälfte aller Beschäftigten aus. Die Einstellung der Arbeit erfolgte darauf bereits in der Woche nach Pfingsten. Heraufbeschworen wurde dieser Streik dadurch, daß die Fabrikanten sich weigerten, auf die eingereichten Forderungen der Arbeiterschaft einigermaßen annehmbare Zugeständnisse zu machen. Doch sind bereits wieder neue Verhandlungen eingeleitet. Die Nürnberger Pinselfabriken sind wohl die bedeutendsten in Deutschland . Sie waren in den letzten Jahren meist recht gut beschäftigt und sind dies auch jetzt noch, so daß ihre Besizer große Gewinne einstrichen. Der größte Betrieb hat eine Filialfabrik in Schopfloch in Bayern , deren Arbeiterschaft ebenfalls an der jezigen Lohnbewegung beteiligt ist.
-
fk.
Der Deutsche Textilarbeiterverband im Jahre 1912. Von einer Hochkonjunktur, wie sie in den Zahlen für die Gesamtvolkswirtschaft zum Ausdruck kommt, kann in der Textilindustrie im Jahre 1912 nicht gesprochen werden. Wie an dem Aufschwung des deutschen Wirtschaftslebens in den Jahren 1898 bis 1900 die Textilindustrie nur ganz kurze Zeit an ihrem Ende teilnahm, so scheint das auch wieder der Fall zu sein in der mit dem Jahre 1909 einsetzenden Prosperitätsperiode. Die Berichte, die allmonatlich von den Ortsverwaltungen des Verbandes über den Grad der Beschäftigung und, soweit das den Arbeitern möglich ist, über den Geschäftsgang dem Vorstand erstattet werden, lassen keinen Zweifel darüber, daß mit Ausnahme der Spinnereien, Wirkereien, Jutefabriken, Seide- und Samtbetriebe die Lage des Tertilgewerbes im Jahre 1912 recht viel zu wünschen übrig ließ. Aus allen diesen Berichten ist klar ersichtlich, daß der Arbeitsmarkt für die Textilarbeiterschaft sehr ungünstig war. Der Druck der Krise hat gewiß nachgelassen, aber noch immer standen zahlreiche Maschinen still. Von einer lückenlosen starken Inanspruchnahme der vorhandenen Arbeitskräfte wie etwa in den Jahren 1906 und 1907 fann in feinem der großen Zweige unserer Industrie die Rede sein. Die Ende des Jahres 1911 allgemein festzustellende Besserung des Beschäftigungsgrads hielt nicht an. Sehr bald machten sich wieder Schwankungen der Geschäftslage bemerkbar. Die Baumwoll
285
und Kammgarnspinnereien freilich sind von diesen Schwankungen nicht berührt worden, sie haben unter der Krise überhaupt am wenigsten gelitten. Diese Spinnereien sind bei weitem nicht imstande, den deutschen Garnbedarf zu decken. E3 müssen alljährlich für viele Millionen Baumwollgarne hauptsächlich aus England eingeführt werden; ebenso bezieht Deutschland etira 20 Prozent seiner Wollgarne vom Ausland. Aus diesen Tatsachen ergibt sich die fortdauernd gute Beschäftigung bei den Spinnereien. Desgleichen waren einige andere Zweige, die Jute-, Samt- und Seidefabriken, stark beschäftigt.
Der ungehinderten Entfaltung des Textilgewerbes wirkt ver allem die sich immer mehr verschärfende Teuerung entgegen. Die Textilindustrie ist in der Hauptsache auf den Massenkonsum angewiesen; Arbeiter, Handwerker, Bauern kaufen ihre Massenartikel. Ist die Kaufkraft dieser Schichten geschwächt, so wird der Absatz von Textilerzeugnissen erschwert. Verminderter Absatz führt aber zu einer Einschränkung der Produktion. Das Jahr 1912 war nun ein Jahr hochgeschraubter Lebensmittelpreise. Die kleinen Leute, also die Hauptabnehmer für die Erzeugnisse der großen Zweige der Textilindustrie, waren troz aller Einschränkungen in Verbrauch von besseren Lebensmitteln genötigt, einen größeren Teil ihres Einkommens für Ernährung der Familie auszugeben. Da die Einnahmen nicht entsprechend den gesteigerten Ausgaben stiegen, unterblieben die an sich notwendigen Käufe von Textilfabrikaten. Diese ungünstige Lage des Gewerbes ist bei der Beurteilung der Ergebnisse der Tätigkeit des Verbandes im vergangenen Jahre im Auge zu behalten. Der Deutsche Textilarbeiter verband zählte am 31. Dezember 1911 82 981 männliche, 48 445 weibliche, zusammen 131 426 Mitglieder, am 31. Dezember 1912 87 884 männliche, 54 750 weibliche, zusammen 142 634 Mitglieder. Die Zunahme an Mitgliedern beträgt mithin 11 208 oder 8,5 Prozent, und zwar beträgt die der männlichen 4903 oder 5,9 Prozent und die der weiblichen Mitglieder 6305 oder 13,0 Prozent. Die Arbeiterinnenbewegung schreitet ständig vor= wärts. Das beweisen die steigenden Zahlen unserer weiblichen Mitglieder, die nicht nur verhältnismäßig, sondern auch absolut stärker als die männlichen zugenommen haben. Dieser Aufschwung ist zu einem beträchtlichen Teil der Tätigkeit von Textilproletarierinnen selbst zu verdanken, die, durch die Arbeiterinnen= fonferenzen und Diskussionsabende geweckt und zur Mitarbeit geschult, sich selbstlos und aufopfernd an allen Agitationsarbeiten beteiligten. Besonders ist es die Hausagitation, der sich die Arbeiterinnen immer mehr zuwenden. Daß diese Agitationsart den Arbeiterinnen besonders zusagt und daß sie sehr ergiebig ist, beweisen die überraschenden Erfolge, die an verschicdenen Orten erzielt wurden.
Die Einnahmen und Ausgaben des Verbandes schließen mit je 4 186 028 Mt. ab. Am 1. Januar 1912 war ein Kassenbestand bon 1464 263 Mt. vorhanden, am 31. Dezember 1912 ein solcher von 1 694 047 Mt. Die bedeutenderen Ausgabeposten des Verbandes zeigen folgendes Bild:
Krankenunterstützung Arbeitslosenunterstützung
Sterbeunterstüßung.
Reiseunterstützung
=
•
1912 366448 Mt. 141631
1911 352809 Mt. 152918 W
•
17221:
14847 V
•
41426
=
.
Streifunterstützung
708065
•
Gemaßregeltenunterſtügung.
48277
M
Umzugsunterstützung
13784
.
Notunterstützung
.
Rechtsschutz
10203= 11024=
37357= 397352= 42155 9819 9929 10309
=
=
=
"
Die starke Steigerung der Streifunterstüßung beweist, daß der. Kampf um wirtschaftliche Besserstellung, um günstigere Lohn- und Arbeitsbedingungen im Berichtsjahr lebhafter denn je geführt worden ist. Das Jahr 1911 brachte der Organisation 259 Bewegungen in 963 Betrieben mit 70 622 Beteiligten, dagegen waren im Jahre 1912 326 Bewegungen in 766 Betrieben mit 73 896- c- teiligten zu verzeichnen. Der Verlauf der Bewegungen war wesentlich günstiger als im Vorjahr. Insgesamt wurde bei diesen Bewegungen durchgesetzt für 16 651 Personen 49 760 Stunden Arbeitszeitverkürzung in der Woche gleich 2 488 000 Stunden im Jahre und für 36 558 Personen 43 179 Mt. Lohnerhöhung in der Woche gleich 2 158 950 Mt. im Jahre. Außerdem wurden für 3910 Personen bessere Bezahlung der Überzeitarbeit und für 22 731 Personen sonstige Verbesserungen des Arbeitsverhältnisses erreicht sowie Verschlechterungen abgewehrt. Tarife wurden 18 für 2280 Personen abgeschlossen.
Im Vorjahr sind von den Mitgliedern an Beiträgen 2 174 814 Mark geleistet worden. Nimmt man diesen Betrag als werbendes