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Die Gleichheit

Reichlich 10 Millionen Verunglückter, nahezu 22 Mil­lionen Schwerverletter, 190 662 Getötete! Ein Riesenopfer von Kraft und Leben, dargebracht im Kampfe um ein färg­liches Brot und im Dienste wucherischen Reichtums. Das aber in der kurzen Spanne Zeit von 26 Jahren, die zum größten Teil mit der Regierungszeit Wilhelms II. zusammen­fallen. Wenn die schweifwedelnde bürgerliche Welt demnächst zum 25jährigen Regierungsjubiläum dieses Monarchen alle

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Nr. 19

wert macht sie blind dafür, daß an dem steigenden Blut­strom jeder mitschuldig ist, der nicht unbekümmert um den eigenen Vorteil, nur der fremden Not eingedenk- seine ganze Kraft bis zum letzten Hauche eingesetzt hat, die Quel­len der furchtbaren Erscheinung zu schließen. Der stumpfe Sinn dieser Klassen, ihres Herzens Härtigkeit ist der nicht fortzudeutelnde Beweis dafür, wie niedrig die Arbeiterklasse das vielberufene soziale Gewissen" der Besitzenden und muß.

Errungenschaften seiner Herrschertätigkeit preiſt, ſo darf sie Herrschenden einſchäßen gewissen der

so

nicht von den Proletariern schweigen, die zu Nuß und From­men des kapitalistischen Profits zerfetzt, vergiftet, verstüm­melt, erschlagen worden sind. Nicht etwa, als ob der Kaiser persönlich für diese Geopferten mehr verantwortlich wäre als irgend ein anderer Nußnießer und Verteidiger der bürger­lichen Ordnung. Aber war es nicht Wilhelm II. , der seiner­zeit das stolze Wort gesprochen hat: Herrlichen Beiten führe ich euch entgegen!"? Das Wort ist Wahrheit geworden, so­weit es sich um die besitzenden und herrschenden Klaffen han­delt. In der Regierungszeit Wilhelms II. hat sich der Kapita­lismus in Deutschland zu kaum geahnter Blüte und Macht entfaltet. Die deutsche Industrie steht weltherrschend, be­drohlich konkurrierend neben der englischen, ja sie hat sie in manchen Zweigen überflügelt. Die deutsche Landwirtschaft holt auf der Grundlage dieser Entwicklung mittels des Zoll­und Steuerwuchers samt seinem Drum und Dran von Maß­regeln fette Gewinne vom Tische des Volkes. Das deutsche Spekulationskapital sackt diesseits und jenseits aller mög­lichen Grenzpfähle märchenhafte Schäße ein. überall, wo die Ausbeutenden wohnen, sich amüsieren oder langweilen, kün­det wahnwißiger Lurus die Reichtümer, die sie erlisten, er­raffen.

Gleich einer blutigen Riesenfaust weisen die Zahlen der Unfallversicherung auf die Kehrseite dieser glänzenden Ent­wicklung hin: die Arbeit, die Gefahr, die Not des aus­gebeuteten Proletariats. Und diese Begleiterscheinung un­serer herrlichen Zeiten" vermag fein Raiserwille zu ban­nen. Hat nicht Wilhelm II. bereits 1890 im preußischen Landesökonomiekollegium sein Entsetzen darüber ausgespro­chen, daß so viele landwirtschaftliche Arbeiterinnen an Ma­schinen berunglücken, hat er nicht durchgreifende Schutzmaß­regeln für nötig erklärt? Seit diesem Jahre aber ist bis 1911 in landwirtschaftlichen Betrieben die Zahl der Schwerver­wundeten von 12 573 auf 55 387 gestiegen, und die der Ge­töteten von 1877 auf 2853. Dem Umfang der Frauenarbeit in der Landwirtschaft entsprechend befinden sich zahlreiche Arbeiterinnen unter diesen Opfern der Ausbeutung. An den ehernen Gesetzen der kapitalistischen Plusmacherei zersplittern Monarchenwünsche wie Glas, und der ausbeutende Kapita­lismus zwingt auch den leidenschaftlichsten und ruhmbegierig sten Herrscherwillen in seinen Dienst. So will es die Ord­nung, die die Herrschenden und Regierenden als eine gott­gewollte bezeichnen.

In 26 Jahren reichlich 10 Millionen Verletzter, nahe an 21 Millionen Schwerverwundeter, 190 662 Erschlagene!

Aus allen Poren schmuß- und bluttriefend, ist nach einem Ausspruch von Mary der Kapitalismus ins Leben getreten. Wie je, ja mehr als je aus allen Poren schmuß- und blut­triefend, knechtet und vernichtet er ausbeutend das lebendige Menschentum des Proletariers auch heute noch. Hügel zer­stückelter Glieder und Leiber, Fluten vergoffenen Blutes fäumen den Weg des friedlichen Hineinwachsens in die so­zialistische Ordnung". Sie predigen mit der aufreizendsten Sprache, die es gibt mit der Sprache der Tatsachen-, daß der Kapitalismus eine blindwütende Bestie ist, die sich nicht mit den Brosamen ethischer Gefühle und Nedensarten zähmen läßt, die vielmehr im Kampfe Brust an Brust be­zwungen und unschädlich gemacht werden muß.

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Wir täuschen uns nicht darüber: dieser Kampf heischt Opfer und führt durch Gefahren. Aber muß nicht die tägliche Abwürgung ihres Menschentums, die stündliche Gefahr die Ausgebeuteten entsagungsfreudig und kühn vorwärts trei­ben? Die kapitalistische Ordnung zwingt sie, für einen jäm­merlichen Verdienst tagaus tagein Gesundheit und Leben aufs Spiel zu setzen. Wie könnten sie sich da bedenken, um ihres Rechtes und ihrer Freiheit willen freiwillig alles zu wagen, was je der Ernst einer entscheidungsschweren Stunde fordern sollte? Alles, was die Proletarier angeht, wird nur als Massenerscheinung wirksam. Täglich zerfleischen Sägen. und Hobel fleißige Hände, zermalmen Räder zuckende Leiber. Das gehört zum Lebensprozeß der kapitalistischen Güter­erzeugung wie der Verbrauch von Kohle, wie der schwarze, dicke Qualm, der sich aus den Fabrikschloten wälzt. Wer fragt nach dem vernichteten einzelnen, nach dem Los der Seinen? Aber zur Masse zusammengehäuft, wie sie die Statistik der Unfallversicherung zeigt, werden die Verstümmelten und Er­schlagenen bis zum letzten Mann und zur letzten Frau zu einer gesellschaftlichen Größe. Und aus ihr heraus gewinnen fie ein neues Leben voller Macht. Diese stummen Opfer reden lauter als Posaunen, und von diesen grauen, zerfetzten Leibern geht ein Licht aus, heller als von lodernden Bränden. Die Toten mahnen die Lebenden, die Krüppel die Kraft­vollen! Auf die Massenvernichtung proletarischen Lebens durch den Kapitalismus muß der Massenkampf proleta­rischer Kräfte gegen den Kapitalismus antworten. Für diesen Kampf gilt es bereit sein, bereit machen in dem Be­wußtsein, daß der Kapitalismus für die Proletarier ein Schrecken ohne Ende ist und daß darum unter seiner Herr­schaft ihnen das Leben nicht der Güter höchstes sein kann.

Das steht auf einem einzigen Blatte aus der Geschichte des Die Tätigkeit der Frau in der

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fapitalistischen Massenmordes in Deutschland , und dieses Blatt ist wie wir andeuteten nicht einmal vollständig beschrieben. Der kapitalistische Friede" darf sich an Grauen­haftigkeit dreist neben Kriege und Revolutionen stellen. Der Deutsch - Französische Krieg zum Beispiel soll gegen 700 000 Opfer gefordert haben. Das Blut des proletarischen Abel aber dampft zum Himmel, ohne daß der kapitalistische Rain unstet und flüchtig wird. Die Schatten der um seines Profits willen Gemordeten und Verstümmelten schrecken ihn weder beim Bibelbuch noch im Champagnerrausch. Die Zahlen der Reichs­bersicherung mahnen ihn nicht an verschliffenes warmes Menschenleben. Sie verkörpern ihm nichts als die paar Mark Beiträge zur Unfallversicherung, um die sein Profit ge­schmälert worden ist. Nach uns die Sintflut dieses ver­gossenen Blutes", das ist die Losung, unter der die kapita­ listischen Klassen weiter wirtschaften. Der winkende Mehr­

Von Anna Blos .

II.

Gemeinde.

Die Frau in der Schulfommission. Der frühere Gouverneur von Kolorado hob in einer Rede für das Frauenstimmrecht namentlich die vorzüglichen Er­fahrungen mit der Tätigkeit der Frauen im Schul- und Er­ziehungswesen hervor. Er sagte: Die Schulangelegenheiten sind den Frauen überwiesen worden. Wir haben immer einen weiblichen Staatsschulinspektor gehabt. Wo immer Frauen in Ämter hineinkamen, haben sie sich nicht einen einzigen Mißbrauch zuschulden kommen lassen, und nicht der leiseste Verdacht ist je auf sie gefallen." Bei uns in Deutschland wird allerdings noch keine Frau auf einen so hohen Posten be­rufen. Aber auch bei uns war das Schul- und Erziehungs­wesen so ziemlich das erste Gebiet öffentlicher Tätigkeit, zu