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Die Gleichheit

allen Seiten geäußerten Wunsch nach öffentlichen Agitationsver­sammlungen sagte Genosse Scherffig zu, daß im Oktober im ganzen Kreis Frauenversammlungen abgehalten werden sollen. Mit dem Wunsche, daß die Genossinnen aus den Verhandlungen recht viel Nuben ziehen möchten, schloß die Vorsitzende die gut ver­laufene Konferenz. Dieser kurze Bericht zeigt, daß in unserem Kreis volles Verständnis für die Frauenbewegung vorhanden ist und daß nunmehr in allen Orten die Genofsinnen mit Eifer an die Aufklärung und Schulung der proletarischen Frauen heran­treten. Der Erfolg wird bald in der gesteigerten Zahl unserer Mitkämpferinnen zum Ausdruck kommen.

Martha Schmieder.

Zwei Zusammenkünfte der Bremer Genossinnen haben statt­gefunden, die sich mit dem Frauentag beschäftigten. Bei der ersten Besprechung wurde an der Art der Referentenvermittlung Kritik geübt. Die Genossinnen betonten dabei, daß es gelten müsse, aus den gemachten Erfahrungen zu lernen und etwaige Mängel bei Vorbereitung und Gestaltung des Frauentags zu vermeiden. Jeder stattfindende Frauentag müsse für die Genossinnen das Signal zur Agitation, zur Vorarbeit für die nächste sozialdemokratische Frauenwahlrechtskundgebung sein. Dieser Auffassung gemäß wurde eine zweite Zusammenkunft beschlossen, die sich mit der Bedeutung und Gestaltung des Frauentags befassen sollte. Bei ihr leitete eine Genossin die Diskussion durch einen Rückblick auf die Entstehung des internationalen sozialdemokratischen Frauentags cin. Sie wies des weiteren nach, daß die wachsende Erwerbsarbeit der Frau auf allen Gebieten des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens die Genoffinnen aneifern müsse, mehr noch als bisher durch eine planmäßige Agitation die Massen des weiblichen Prole­tariats zu unserer Frauenwahlrechtsdemonstration heranzuziehen. Der Frauentag habe die Aufgabe, die Proletarierinnen zu wecken und um das sozialdemokratische Banner zu sammeln, sie zu Mit­fämpferinnen in den gewerkschaftlichen und politischen Organi­sationen zu machen. Er habe aber auch die Bedeutung, immer mehr Anhänger und Anhängerinnen für die volle Gleichberech­tigung des weiblichen Geschlechts und damit für das Frauenwahl­recht zu werben. Denn die Frauen des arbeitenden Volkes be= dürfen aller politischen Rechte, damit sie sich mit den gleichen Waffen wie ihre Brüder gegen die kapitalistische Ausbeutung und ihre Folgen wehren und alle Kraft zur Beseitigung der heutigen Gesellschaftsordnung entfalten können. Von diesem Gedanken be­herrscht erörterten die Genossinnen dann die Frage der Gestaltung des Frauentags und insbesondere der Referentenvermittlung. Was Genossin Vogt dazu ausführte, gab die Meinung der mei­sten Anwesenden wieder, Sie sagte, daß in Bremen   der Frauentag gut vorbereitet worden sei trotz der kurzen Zeit, die dafür zur Ver­fügung stand. Die Genossinnen arbeiteten mit aller Kraft und Begeisterung, die sehr gut besuchte Demonstrationsversammlung bewies den Erfolg. Um so größer war die Enttäuschung der Ge nossinnen, daß in letzter Stunde die Referentin wegen plöblicher Erkrankung nicht bei der Veranstaltung erschien. Das Partei­sekretariat Bremen   mußte nun rasch eine Rednerin vermitteln; natürlich unter den ungünstigsten Umständen: alle bekannten red­nerisch tätigen Genossinnen und Genossen hatten bereits ander­wärts einen Vortrag übernommen. Der Zwischenfall hatte die Aufmerksamkeit der Bremer Genossinnen darauf gelenkt, daß die Art und Weise der Vermittlung von Referentinnen verbesserungs­bedürftig sei. Der Kreis  - beziehungsweise Bezirksvorstand der so­zialdemokratischen Parteiorganisation solle künftig eine Liste der Genossinnen führen, die sich in ihrer Gegend als Vortragende be­währt hätten. Diese Liste sei von Zeit zu Zeit dem Parteivorstand zuzustellen, der in der Folge die betreffenden Genossinnen bei der Agitation verwenden könne. Dadurch würde der Wirkungskreis der rednerisch begabten und ausgebildeten Genossinnen erweitert, und ihre weitere Entwicklung erhielte gleichzeitig kräftige Anregung und Förderung. Die Neuerung werde in allen Teilen des Reiches den Genossinnen zugute kommen, die fähig und gewillt sind, an­deren das Wissen und die Erkenntnisse mitzuteilen, die sie sich durch jahrelange mühsame Arbeit angeeignet haben. In den letz­ten Jahren sind außer den alten bewährten Genossinnen von jüngeren Kräften fast nur Berlinerinnen als Agitatorinnen in weiteren Kreisen tätig gewesen. Das ist auch natürlich. Der Partei­vorstand und die Genossinnen im früheren Frauenbureau sind für die vermittelten Referentinnen verantwortlich. Es ist erklärlich, daß sie mit der Agitation zuerst solche Genossinnen betrauen, die sie persönlich kennen. Nun sind aber im Laufe der Jahre überall, wo sich eine gesunde proletarische Frauenbewegung entwickelt hat, Genossinnen herangewachsen, die Begabung und Schulung besißen, um agitatorisch tätig zu sein. Meist fehlt es ihnen aber an der

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Gelegenheit, über die Grenze ihres Kreises oder Bezirkes hinaus zu wirken, es sei denn, daß ihnen ein freundlicher Zufall zu Hilfe kommt. Im allgemeinen kann man an der Zentrale in Berlin   kein Urteil über die Leistungsfähigkeit solcher Genossinnen haben. Anders liegen die Dinge für die Kreis- beziehungsweise Bezirks­vorstände. Sie können meist auf Grund eigener umfassender Er­fahrungen urteilen. Deshalb erscheinen sie berufen, dem Partei­vorstand Referentinnenlisten vorzulegen, die in ihrer Zusammen­stellung einen guten überblick über die vorhandenen tüchtigen Agi­tatorinnen gibt. Die Bremer Genossinnen sind überzeugt, daß durch die vorgeschlagene Neuerung nicht bloß der nächste Frauen­tag, sondern unsere ganze Bewegung gewinnen würde. Alle unter den Genossinnen vorhandenen tüchtigen rednerischen Kräfte könn­ten der sozialistischen   Propaganda unter dem weiblichen Prole­tariat nutzbar gemacht werden. Sie erhielten den stärksten Anstoß, lehrend weiterzulernen. Außerdem aber würde gute Bürgschaft für die Tüchtigkeit der Referentinnen geboten, die im Namen der Partei vor die Öffentlichkeit treten. H. Schw.

Von der Tätigkeit der Dresdener   Kinderschuhkommiſſion. Im vergangenen Jahre hat die Dresdener   Kinderschutzkommission wieder eine sehr umfangreiche und vielseitige Tätigkeit entfaltet. Wir geben heute nur einen Überblick über ihr Wirken auf einem bestimmten Gebiet. Die Kommission ließ sich angelegen sein, ihre besondere Aufmerksamkeit der Kinderarbeit in den Gärt­nereien zuzuwenden. Diese hat in Dresden   und Umgebung eine sehr große Ausdehnung angenommen. Im Sommer 1912 dürften nicht weniger als 800 Schulfinder als Erwerbstätige in Gärtnereien von fremden Besitzern ausgenutzt worden sein. Wir schreiben mit allem Vorbedacht das Wort ausgenußt" statt be­schäftigt. Denn die Kinder werden nur zu oft bei Arbeiten ver­wendet, die ihre Kräfte weit übersteigen. Und warum? Wer die fapitalistische Profitgier kennt, weiß es: um erwachsene Arbeits­fräfte überflüssig zu machen. Die Kinder werden mit Stunden­löhnen von 4 bis 9 Pf. abgefunden, und so billig sind heute nicht einmal Frauen und bedürfnislose Galizier zu haben. Vom zei­tigen Frühjahr bis in den Herbst hinein ja in einzelnen Fällen auch noch im Winter halten es daher die Gärtnereibesizer mit dem Spruch: Lasset die Kindlein zu mir kommen. Nur die Beschäftigung der wenigsten Kinder entspricht den Vor­schriften des Schußgesezes. Würden diese Vorschriften von dem geduldigen Papier in die Praxis übertragen, so müßten die mit ihrer überwachung betrauten behördlichen Organe Strafen nach Strafen über die Gärtnereibefizer verhängen. Allerdings haben diese versucht, ihre Betriebe dem Geltungsbereich des Kinder­schutzgesetzes zu entziehen. Sie erklärten kurzerhand, daß die Gärtnerei zur Landwirtschaft gehöre und deshalb nicht den gesetz­lichen Bestimmungen unterliege. Allein sogar das sächsische Ober landesgericht hat einen anderen Vers zu dieser kapitalistischen  Melodie gemacht. Es stellte in zwei Urteilen fest, daß die gesamten Vroduktionsgärtnereien gewerbliche Betriebe seien und als solche dem Kinderschutzgesetz unterstehen.

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Die Kinderschußkommission hat in Dresden   und Umgebung im letzten Jahre 159 Gärtnereien besucht. 28 Besizer versicherten, keine Kinder zu beschäftigen, in 131 Betrieben wurden erwerbs­tätige Kinder angetroffen. Nur in 16 diefer Gärtnereien hatten die Kinder die vorschriftsmäßige Arbeitskarte, hier hielt sich auch ihre Arbeitszeit im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften. Die Kommission mußte sich also davon überzeugen, daß für 115 Be­triebe das Kinderschutzgesetz einfach Luft war. Hier hatten die fleinen Erwerbstätigen keine Arbeitskarten und wurden über die gefeßlich zulässige Zeit hinaus beschäftigt. Und das oft genug recht erheblich. Während der Ferien scheint in den meisten Gärt­nereien die Arbeitszeit der Kinder 9 bis 11 Stunden zu betragen, während der Schulzeit nicht selten den ganzen Nachmittag, 4 bis 6 Stunden. Es liegt auf der Hand, daß so viele Stunden Arbeit, und zwar angestrengter Arbeit, mit den Anforderungen der Hygiene und des Unterrichts unvereinbar sind. Und schließlich ist doch auch das proletarische Kind- cin Kind, das Anrecht auf Spiel und Freude hat. Die Kommission erhielt einen Einblick in mancherlei Praktiken, durch welche die Beschäftigung für die Kinder härter, für die Besitzer aber einträglicher wird. In der Gärtnerei von Bassenge in Stetsch zum Beispiel mußten die Mädchen beim Beerenpflücken singen, die Jungen pfeifen, damit sie nicht von den Früchten aßen. Es fehlte auch nicht an wahrheitswidrigen Angaben. So erklärte Herr Mietsch in Niedersedlik, daß er zurzeit höchstens ein Dußend Kinder verwende. Die Kommission zählte aber beim Feierabend um 62 Uhr in der Filiale Dohna   seines Betriebs allein 36 Kinder, die die Arbeit verließen. Die meisten Gärtnereibesitzer kannten